Berlin. Sicherheitsbehörden schlagen Alarm: Der Verfassungsschutz befürchtet, dass Corona-Proteste von Rechtsextremisten unterwandert werden.
In Deutschland formiert sich eine neue Protestbewegung: Auch an diesem Wochenende demonstrierten in vielen Städten Tausende gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Die deutschen Sicherheitsbehörden beobachten die Veranstaltungen mit Sorge: Sie befürchten, dass Rechtsextremisten versuchen, den demokratischen Protest gegen Corona-Auflagen für sich zu nutzen.
„Wir sehen einen Trend, dass Extremisten, insbesondere Rechtsextremisten, das Demonstrationsgeschehen instrumentalisieren“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der „Welt am Sonntag“.
Corona-Proteste: Verfassungsschützer schlagen Alarm
Die Rechtsextremisten suchten Anschluss an bürgerliche Spektren und riefen Anhänger auf, sich aktiv in die Proteste einzubringen. „Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich mit ihren Feindbildern und staatszersetzenden Zielen an die Spitze der Corona-Demonstrationen stellen, die aktuell mehrheitlich von verfassungstreuen Bürgern durchgeführt werden“, so der Verfassungsschutzpräsident.
Zwar gebe es keinen Schulterschluss des heterogenen Protestpublikums. „Sorge bereitet uns aber, dass Extremisten die aktuelle Lage genauso nutzen wie in der sogenannten Flüchtlingskrise.“
Antisemitismusbeauftragter warnt vor Abdriften der Proteste
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte die Proteste „ganz offenbar ein Sammelbecken für Verschwörungsmythiker, Holocaust-Leugner und sonstige Antisemiten“. In der realen Welt und online erführen Anspielungen auf angeblich geheime Pläne von jüdischen Geschäftsleuten oder des israelischen Geheimdienstes Mossad erhebliche Verbreitung, sagte Klein unserer Redaktion.
Klein: „Diese angstgetriebene Aggression ist brandgefährlich. Wie schnell aus abstrusen Gedanken tödliche Terroranschläge werden können, haben die Anschläge von Halle und Hanau gezeigt.“
Polizei geht bei Demos schärfer gegen Verstöße vor
Mit dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen Hass und Hetze, das in diesen Tage im Bundestag beraten werde, werde es eine deutlich verbesserte Handhabe insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten und Aggression im Internet geben, betonte Klein. Darüber hinaus brauche es aber auch eine wachsame und mutige Zivilgesellschaft, um dieser Aggression zu begegnen. „Gesellschaftlicher Zusammenhalt lässt sich nicht von oben herab verordnen.“
An diesem Wochenende ging die Polizei schärfer gegen die Demonstranten vor. In Stuttgart wurden wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht Bußgelder von rund 20.000 Euro verhängt, in München erteilte die Polizei 600 Platzverweise.
In Stuttgart waren diesmal nur 5000 Teilnehmer erlaubt
Da mehr Demonstranten kamen, fanden sich zahlreiche Menschen außerhalb des ausgewiesenen Geländes zusammen. In München lag die genehmigte Teilnehmerzahl für die Demonstration auf dem Oktoberfestgelände bei 1000. Neben dem Areal versammelten sich gut 2500 Menschen, laut Polizei wurde hier gegen Vorschriften etwa zum Mindestabstand verstoßen.
Protestzüge mit zum Teil mehreren hundert Teilnehmern und teilweise begleitet von Gegenprotesten gab es auch in Hamburg, Frankfurt, Köln, Dortmund, Essen, Leipzig und Dresden.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zog insgesamt ein positives Fazit: „Unserer Einschätzung nach ist das Konzept an diesem Wochenende gut aufgegangen, die Zahl der Einsatzkräfte hat gestimmt, das Versammlungsrecht wurde grundsätzlich durchgesetzt. Darum geht es, so haben die Gerichte geurteilt. Aber jede Form von Gewalt werden wir natürlich ahnden“, sagte der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, unserer Redaktion. Er betonte, das Land sei „in einer Anfangsphase ei-ner möglichen neuen Protestbewegung“.
GdP fordert Politik auf, regional unterschiedliche Lockerungen besser zu erklären
Für die Polizei sei das auch ohne Pandemie ein Spannungsverhältnis. „Die Beamten müssen vor allem die Versammlungsfreiheit unabhängig von ihrer Botschaft durchsetzen und schützen. Wenn es aber behördliche Auflagen gibt – wie eben das Abstandsgebot oder nur eine beschränkte Zahl von Teilnehmern – dann müssen die Beamten dies im Sinne des Infektionsschutzes ebenfalls im Blick haben.“
Bei neuen Protestbewegungen gebe es immer die Gefahr, dass diese von Extremen am rechten oder linken Spektrum unterwandert und vereinnahmt werden. „Deswegen müssen die Regierenden, vom Bundeskanzleramt bis hin zu den Landratsämtern, widerspruchsfrei erklären, welche Maßnahmen wo und warum nötig sind und warum es auch regionale Unterschiede gibt“, sagte Radek.
Nach Ansicht der GdP kann sich die Politik nur mit „viel Transparenz“ den Verschwörungsanhängern entgegenstellen. Sollte es zu einem zweiten Lockdown kommen müssen, wäre das enorm wichtig, so Radek. „Grundsätzlich ziehen wir bis heute aber eine positive Bilanz der Pandemie: Die Bürger haben bislang größtenteils mit viel Verständnis reagiert.“
Die Politik erkennt den Ernst der Lage
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, viele Menschen sorgten sich um ihre Existenz. Daher sei schnelles Handeln nötig. „Damit verhindern wir auch, dass Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker den Ton setzen“, betonte der Innenminister.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die Bürger auf, sich bei Demos von Extremisten und Verschwörungstheoretikern zu distanzieren. „Es sollte Lernprozesse geben, mit wem man sich gemein macht und mit wem nicht“, sagte Mützenich dieser Redaktion. Grundsätzlich zeigte der SPD-Politiker aber Verständnis für die Demonstrationen. „Wir waren im Sinne der Gesundheit gezwungen, zeitlich befristet Grundrechte einzuschränken, die jetzt berechtigterweise zurückgefordert werden“, sagte er.
Umfragen zeigen nach wie vor Zufriedenheit mit Regierungshandeln
Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer stoßen die Einschränkungen wegen der Corona-Krise bei der breiten Bevölkerung nach wie vor auf große Zustimmung. 66 Prozent halten diese für „gerade richtig“, 17 Prozent finden sie übertrieben und 15 Prozent sagen, sie sollten härter ausfallen. Nur die AfD-Anhänger halten die Einschränkungen mehrheitlich für übertrieben. 56 Prozent der Befragten halten allerdings die Anstrengungen für den Schulunterricht für unzureichend.
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