Duisburg. Ab Samstag dürfen Senioren in NRW unter strengen Schutzregeln wieder in Pflegeheimen besucht werden. Betreiber warnen vor einem Andrang.

Es sind nur zwei Millimeter, doch für Rita Schmidt bedeuten sie die Welt. "Wie hübsch du bist", sagt die 65-Jährige und streckt wie automatisch ihrer Enkeltochter Nina die Hand entgegen. Berühren kann sie das Kind nicht.


In der Cafeteria des DRK-Seniorenheims „Haus am Sandberg“ in Duisburg hängt zwischen den Tischen von Oma und Enkelin eine dünne Plexiglasscheibe. Zwei Millimeter, die trennen und doch in Zeiten der Corona-Pandemie endlich zusammenführen: Rita Schmidt kann ihre Nina sehen. Die Frau wischt sich noch einmal über die Augen, da erzählt die Fünfjährige auf dem Schoss ihres Vaters sitzend schon von dem pinken Fahrrad, das sie zum Geburtstag bekommen hat.

Besuche nach Termin ab Samstag möglich

Es sind Momente wie diese, die in allen nordrhein-westfälischen Altenheimen ab Sonntag wieder möglich sein sollen. Pflegebedürftige sollen nach über eineinhalb Monaten der Isolation ihre Angehörigen zu festen Besuchsterminen wiedersehen können. Dazu hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) das Besuchsverbot gelockert, das wegen der Corona-Pandemie zur Sicherheit der besonders Schutzbedürftigen erlassen wurde. Selbst bettlägerige Senioren können unter strengen Schutzmaßnahmen ihre Partner oder Kinder wiedersehen.


Ein Muttertagsgeschenk für die Familien, das die Betreiber stationärer Pflegeeinrichtungen vor große Herausforderungen stellt: Sie mussten innerhalb von wenigen Tagen Konzepte entwickeln und Schutzmaßnahmen ergreifen.

Container, Zelte oder Plexiglas: Heime sind erfinderisch

Ralf Krause war wie einige seiner Kollegen zum Glück vorbereitet: Plexiglasscheiben, die den vorzeitigen Besuch der kleinen Nina ermöglichen, hat der Leiter des Duisburger Rote-Kreuz-Heims "Am Sandberg" im Baumarkt gekauft. "Wir mussten sowieso eine Regel finden, wie wir unseren Bewohner die Möglichkeit geben können, ihre Familie zu sehen und gleichzeitig die Sicherheit gewährleisten", sagt Krause. Mancher habe den Sohn oder die Tochter zuvor im Park des Seniorenzentrums getroffen. "Da war der Sicherheitsabstand aber nicht immer gewahrt." Nun also die Scheiben. Andernorts wurden Besuchscontainer aufgestellt, die Awo Westliches Westfalen hat Pagoden für all ihre 57 stationären Einrichtungen besorgt.

Und trotzdem: Die Öffnung der Pflegeheime ab Muttertag wird alles andere als entspannt gesehen. Der Zeitdruck, den das Gesundheitsministerium aufgebaut hat, sei nicht in Ordnung, heißt es etwa von der Awo. Jeder Frisör habe 14 Tage Zeit bekommen sich vorzubereiten, die Heime nur fünf Tage, ärgert sich ein Leiter. Hans-Peter Knips, Landesbeauftragter des NRW-Verbandes privater Anbieter sozialer Dienste, findet noch deutlichere Worte: „Wir wurden kalt erwischt."

Checklisten, Schutzmasken und Fragebogen

Denn mit Trennscheiben ist es nicht getan: In den Heimen müssen strenge Regeln eingehalten und überwacht werden. Besuch ist meist nur nach telefonisch vereinbartem Termin möglich. Man darf zu zweit kommen, oft 30 Minuten bleiben. Auf einem Fragebogen muss man versichern, in den vergangenen 14 Tagen nicht unter Erkältungssysmptomen gelitten zu haben. Wer hustet, bleibt draußen.


Hände desinfizieren, Hygienevorschriften lesen, Schutzmasken tragen - die Heime müssen Checklisten führen, Ein- und Ausgangskontrollen machen. Nichts, das nebenbei gemacht werden kann. Frank J. Hensel, Vorsitzender der freien Wohlfahrt NRW, sieht auch auf die Pflege neue Aufgaben hinzukommen: „Diese Art der Besuche vor einer Plexiglasscheibe oder mit Schutzkleidung haben auch verstörende und verwirrende Elemente." Es sei zu erwarten, dass den Bewohnern mehr erklärt, sie stärker betreut werden müssten.

Besucherandrang am Muttertag erwartet

Gerade Muttertag stellt die Einrichtungen deshalb vor eine Herausforderung. Dieser Tag sei traditionell eh der besucherstärkste, heißt es vielerorts. Wohlfahrtschef Hensel appelliert an die Angehörigen. Um Gedränge zu verhindern, sollten sie sich an vorab ausgemachte Besuchstermine halten. Wer am Sonntag nicht zum Zuge kommt, sollte nicht enttäuscht sein. „Es darf nicht zu viel erwartet werden. Das Wochenende ist ein Einstieg, der uns nur gelingt, wenn Angehörige mit uns zusammenarbeiten.“

Dass Kontakte zwischen Senioren und Angehörigen wieder möglich sein müssen, befürworten nicht alle Träger rundheraus. Hans-Peter Knips von den privaten Trägern meint, dass bei jedem Besuch Bewohner potenziell gefährdet würden. "Das darf man bei allem Verständnis nicht vergessen und riskieren."


In Duisburg hat Ralf Krause andere Beobachtungen gemacht. Seine Bewohner seien in den vergangenen Wochen stiller und resignierter geworden. "Wir tragen die Verantwortung für unsere Bewohner, aber wir wollen sie ja nicht einsperren." Er sei froh, dass nun Wege zur Öffnung gefunden werden. Die Sorge um die Gesundheit der Bewohner bleibe.

>> SCHUTZKITTEL

Viele Heime sind für Muttertag bereits ausgebucht. Im Wattenscheider Caritas-Pflegeheim St. Elisabeth von Thüringen etwa sind elf Besuche am Tag möglich, 102 Bewohner warten auf Angehörige. Die ersten zwei Besuchstage seien innerhalb kürzester Zeit vergeben gewesen, sagt Geschäftsführer Frank Schwaighofer.

Ihn sorgt auch, dass die Heime Schutzkittel für Besucher bettlägeriger Bewohner selbst bereitstellen sollen: „Wir haben aber nur noch für ein, zwei Wochen ausreichend Material.“ Immerhin: Der Markt entspanne sich derzeit etwas.

In einer ersten Version des Textes hatte es geheißen, Besuche in Seniorenheimen seien erst ab Sonntag möglich. Zunächst hatte das Gesundheitsministerium kommuniziert, das seit Mitte März geltende Besuchsverbot wegen der Corona-Pandemie werde zum Muttertag aufgehoben. In der Coronaschutzverordnung vom 6. Mai steht allerdings, dass die Lockerungen in stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen bereits am 9. Mai in Kraft treten.