Berlin. Auf Grundlage einer Leopoldina-Studie berät die Politik über mögliche Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Wie das aussehen könnte.

In der Corona-Krise berät die Politik an diesem Mittwoch, wie eine Lockerung der Pandemiebeschränkungen und eine Rückkehr in die alte Normalität aussehen könnte. Es könnte der Tag der Entscheidung werden. Neben dem so genannten Corona-Kabinett der Bundesregierung berät sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch mit den Ministerpräsidenten der Länder.

Grundlage der Gespräche ist eine am Montag veröffentliche Studie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die Forscher betrachten in ihrer Stellungnahme verschiedene gesellschaftliche Bereiche, in denen sie unter strengen Auflagen eine Rückkehr zum Alltag für möglich halten. Was spricht für die einzelnen Vorschläge, welche Bedenken gibt es?

Lockerung der Corona-Maßnahmen: Wann startet der Schulunterricht wieder?

Die Experten der Leopoldina empfehlen, unter bestimmten Voraussetzungen so bald wie möglich zuerst die Grundschule für höhere Klassen sowie die Sekundarstufe I (Haupt-, Real- und Gesamtschulen bis Klasse 10 sowie Gymnasien bis einschließlich der Klassen 9 beziehungsweise 10) schrittweise zu öffnen. Die Kinder sollen in kleineren, gleich bleibenden Gruppen unterrichtet werden, vor allem in Mathematik und Deutsch.

Gemeinsame Hofpausen aller Klassen gilt es zu vermeiden. Höhere Klassen sollen vorerst weiterhin digital von zuhause aus lernen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte unserer Redaktion: „Im Interesse der Kinder und ihres Wohlergehens wäre es gut, dass möglichst viele von ihnen bald wieder in Krippe, Kita und Schule gehen können.“ Der gegenwärtige Bundesratspräsident betonte, dass Lockerungen nur schrittweise erfolgen könnten. „Einen Schnellstart wird es nicht geben.“

RICHTIG: Viele Eltern dürften nach Wochen des erzwungenen Schulunterrichts in den eigenen vier Wänden froh sein, ihren Nachwuchs wieder in die Hände von professionellem Lehrpersonal übergeben zu können. Zum einen sind Eltern nicht dafür ausgebildet, ihren Nachwuchs über lange Strecken selbst zu unterrichten. Zum anderen haben sie oft wenig Zeit, da sie selbst im Homeoffice sind.

Die Rückkehr zur Schule schließt auch zu einem gewissen Grad die sozialen Schwere, die durch den Heimunterricht entsteht. Denn viele ärmere Familien haben nicht die technischen Möglichkeiten, digitales Lernen zu ermöglichen. Ihre Kinder werden dadurch abgehängt. Auch sind viele Eltern nicht in der Lage sind, den Schulstoff zuhause zu erklären, etwa, weil sie nicht ausreichend Deutsch können.

ABER: Selbst wenn Kinder nicht an Corona erkranken, sind sie doch Überträger des Virus. Begegnen sie sich im Schulunterricht, kann sich der Erreger leichter von Kind zu Kind übertragen, ebenso wie auf die Lehrer. Von dort kann das Virus in die Familien gelangen. Die Ausbreitung des Erregers, welche durch die strengen Auflagen der vergangenen Wochen gebremst wurde, könnte sich auf diesem Wege erneut vergrößern.

Fraglich ist auch, ob es Lehrern gelingt, unter den jüngeren Schülern das regelmäßige Händewaschen sowie das Abstandsgebot dauerhaft durchzusetzen. Auch der Heimweg der Schüler, etwa im öffentlichen Nahverkehr, lässt die Ansteckungsgefahr ansteigen. Gesichtsmasken, wie sie die Forscher vorschlagen, bieten nur eingeschränkten Schutz. Lesen Sie mehr: Corona-Maßnahmen – Wann öffnen die Schulen wieder?

Gerade in ärmeren Familien fehlt oft die Ausstattung für digitalen Schulunterricht. Dadurch könnte die Schere zwischen den Leistungen der Schüler noch weiter auseinandergehen.
Gerade in ärmeren Familien fehlt oft die Ausstattung für digitalen Schulunterricht. Dadurch könnte die Schere zwischen den Leistungen der Schüler noch weiter auseinandergehen. © dpa | Stefan Puchner

Ab wann ist eine Öffnung der Kitas möglich?

Die Experten schlagen vor, jüngere Kita-Kinder weiterhin zuhause zu betreuen, da die Übertragung des Virus in dieser Altersgruppe kaum zu verhindern ist. Für 5- und 6-Jährige vor dem Übergang zur Grundschule empfehlen sie einen Betrieb mit reduzierten Gruppengrößen von maximal fünf Kindern in eigenen Räumen.

RICHTIG: Gerade bei sehr kleinen Kindern ist es nahezu unmöglich, das Einhalten von Abstandsregeln einzuhalten. Der Bewegungs- und Spieldrang der Kinder ist groß, wodurch körperliche Annäherung und eine Übertragung des Virus wahrscheinlicher wird. Dies birgt auch für das Kita-Personal die Gefahr einer Ansteckung. Für Vorschulkinder ist der Besuch der Einrichtung wichtig, um für den Schulstart vorbereitet zu sein.

ABER: Auch über Kita-Kinder kann der Erreger in die Familien gelangen auch in die des Betreuungspersonals. Jedoch bedeutet die Betreuung der Kleinsten zuhause für viele Eltern auch, dass der aufreibende Zustand der vergangenen Wochen anhält. Wenn beide Elternteile dazu im Homeoffice arbeiten, kommen viele an organisatorischen sowie nervlichen Grenzen.

Wie kann das öffentliche Leben wieder hochgefahren werden?

Um den Stillstand des öffentlichen Lebens zu beenden und den Bürgern den Gang in Geschäfte, Restaurants und zu Behörden wieder zu ermöglichen, schlagen die Wissenschaftler die strikte Beibehaltung der bekannten Hygiene- und Abstandsregeln vor. Unter diesen Voraussetzungen halten sie gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen sowie private und dienstliche Reisen nach und nach für möglich. Zudem plädieren sie für eine Maskenpflicht etwa in Bussen und Bahnen. Krankenhäuser sollen eine ausreichende Menge von Intensivbetten für Covid-19-Patienten frei halten, aber auch wieder Patienten ohne akute Leiden behandeln.

RICHTIG: Die Deutschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie weiterhin auf Distanz zueinander gehen müssen, um sich und andere nicht zu infizieren. Wenn sich alle an die Regeln halten, könnten viele andere Geschäfte, Restaurants und Behörden öffnen. Zur Belebung von Wirtschaft und Handel wäre es ein sinnvoller Schritt. Sogar Urlaub wäre dann wieder eingeschränkt möglich.

Erste Lockerung der Corona-Maßnahmen in Österreich

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    ABER: Große Feierlichkeiten und Massenveranstaltungen bergen weiterhin eine hohe Übertragungsgefahr. Wer die Corona-Beschränkungen des öffentlichen Lebens lockern will, muss in jedem Fall dafür sorgen, dass die Hygiene- und Abstandsregeln streng eingehalten werden. Kommt es hier zu Nachlässigkeit, droht die Zahl der Ansteckungen erneut zu steigen. Das könnte Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben, das durch zu viele Covid-19-Patienten vor einer Überlastung stünde.

    Das Tragen von Gesichtsmasken kann eine Übertragung des Corona-Virus bis zu einem gewissen Grad verhindern. Allerdings bieten nur medizinische Spezialmasken vollen Schutz vor Ansteckung und Weitergabe des Erregers. Solche Masken sind weltweit Mangelware. Einfachere oder selbst gefertigte Ausführungen schützen nicht verlässlich vor einer Infektion. Lesen Sie auch: Corona-Verhaltensregeln – So schützen Sie sich und andere

    Isolierung von Risikopatienten

    Die Wissenschaftler sehen weiterhin die Notwendigkeit, gefährdete Bevölkerungsgruppen besonders zu schützen. Hierzu zählen Ältere ebenso wie Menschen mit schweren Vorerkrankungen. Jedoch warnen die Experten den Staat davor, diesen Personengruppen gegenüber als bevormundend aufzutreten. Zudem mahnen sie, wegen der Pandemie-Gefahren die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen nicht zu beschränken.

    RICHTIG: Viele Risikopatienten verhalten sich verantwortungsvoll und ziehen sich freiwillig in die eigenen vier Wände zurück, um sich zu schützen. Der Weg, den anfangs etwa Großbritannien verfolgte, ist dagegen rechtsstaatlich problematisch. Die Briten planten zu Beginn der Corona-Krise, alle gefährdeten Personengruppen abzuschotten und die jüngeren arbeiten zu lassen. Die Schwächung der Wirtschaft sollte damit gebremst werden. Dieser Weg führte nicht zum Erfolg.

    ABER: Es ist schwer, die Größe der Risikogruppe zu beziffern. Die Gruppe der Personen, die wegen eines geschwächten Immunsystems besonders gefährdet ist, ist groß. Nicht nur Ältere zählen dazu, sondern auch Menschen mit Behinderungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebspatienten, starke Raucher und Fettleibige. Viele schwere Krankheiten können auch Kinder und Jugendliche betreffen. Die Politik muss einen Weg finden, für diese Menschen den Schutz zu erhöhen, ohne in die Freiheitsrechte einzugreifen.

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