Corona-Krise: In Italien wächst der Frust über Deutschland
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Lesezeit: 10 Minuten
Berlin. Viele Italiener fühlen sich in der Corona-Krise von Deutschland im Stich gelassen. Nun fordert Rom die Vergemeinschaftung von Schulden.
An Fenstern, Balkonen und auf den Dachterrassen Roms wehen derzeit immer mehr grün-weiß-rote Italien-Fahnen. Sie sind ein Zeichen des Stolzes, dass sich nach Wochen der Angst und Ausgangssperren erste positive Signale im Kampf gegen das Coronavirus zeigen. „Andra tutto bene“ – „alles wird gut“, lautet der Schlachtruf einer ganzen Nation in diesen Tagen.
Gleichzeitig holen mehrere Bürgermeister, etwa in Grosseto in der Toskana und im Ski-Ort Limone Piemonte am Alpenrand, symbolträchtig die blauen EU-Flaggen an ihren Rathäusern ein.
Corona-Krise: Von Deutschland enttäuscht
Rechtsaußenpolitiker wie Ex-Innenminister Matteo Salvini und die in Italien sehr beliebte Giorgia Meloni, Chefin der ultrarechten Fratelli d’Italia, beklatschen das. Ihr Tenor: Europa habe Italien in den ersten Wochen der Krise die kalte Schulter gezeigt. Insbesondere Deutschland gilt als Buhmann.
Diese Haltung gibt es aber nicht nur im rechten Lager. Die Enttäuschung und das Unverständnis in Italien sind groß, dass Hilferufe an die EU-Partner zu Beginn der Krise nicht die erhoffte Reaktion fanden. Besonders negativ ist in Erinnerung, dass Deutschland - ähnlich wie Frankreich - Anfang März zeitweise Exportstopps für Material wie Atemschutzmasken, Schutzanzüge und -brillen verhängte.
Deutschland gilt bei vielen Italienern als Oberbuchhalter der EU
Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, schickten zuerst China, dann Russland und Kuba Flugzeuge mit Geräten und Personal. Zur Zeit der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Klischee vom „hartherzigen Deutschen“ schon über Wochen verfestigen können.
Es ist ein tief sitzendes Misstrauen. Bereits in der Finanzkrise 2008/2009, danach in der Staatsschulden- und in der Eurokrise verfestigte sich bei vielen Italienern das Bild von Deutschland als Oberbuchhalter der EU, dem die Probleme und Sorgen im Süden Europas gleichgültig sind.
Wie ein „Brandbeschleuniger“ der Europa-Skepsis
Die Zeit des Wartens, während die Zahl der inzwischen fast 14.000 Corona-Toten immer weiter stieg, habe wie ein „Brandbeschleuniger“ der Europa-Skepsis gewirkt, sagt der Italien-Experte Wolfango Piccoli vom Forschungsinstitut Teneo.
Inzwischen ist auch die deutsche Hilfe für Italien in großem Stil angelaufen:
Deutsche Krankenhäuser haben 81 Betten für schwerkranke Covid-19 Patienten aus den überlasteten Krankenhäusern vor allem Norditaliens zur Verfügung gestellt. 32 Patienten wurden bereits nach Deutschland gebracht, teilweise von Spezialflugzeugen der Bundeswehr.
Sieben Tonnen Hilfsgüter, darunter Beatmungsgeräte und Atemmasken, wurden nach Italien geschickt. Weitere Lieferungen sind zugesagt.
Auch kommunikativ gibt sich die Bundesregierung Mühe, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Außenminister Heiko Maas (SPD) gab der italienischen Zeitung „Corriere della Serra“ kürzlich ein Interview, in dem er sagte: „Sich gegenseitig in Europa zu helfen, sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein. Die Solidarität, gerade in schwierigen Zeiten, gehört zum Fundament der Europäischen Union.“
Kritik am harten deutschen Nein zu „Corona-Bonds“
Solche Beteuerungen werden der Bundesregierung aber nicht mehr überall in der EU abgenommen. Der Grund: Die deutsche Haltung zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Konkret: Das kategorische Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte „Corona-Bonds“.
„Corona-Bonds“ sind europäische Staatsanleihen, bei denen die Staaten der Eurozone gemeinsam Geld an internationalen Finanzmärkten aufnehmen. Für diese Schulden würden sie gemeinschaftlich für Zinsen und Rückzahlung haften.
Hoch verschuldete Eurostaaten wie Italien, Spanien oder Griechenland könnten durch die gemeinsame Ausgabe von „Corona-Bonds“ Geld am Finanzmarkt zu erheblich günstigeren Konditionen erhalten als durch die Ausgabe eigener Staatsanleihen.
Berlin setzt auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus
Für eigene Staatsanleihen müssten sie aufgrund ihrer nicht so guten Bonität wesentlich höhere Zinsen zahlen. Umgekehrt müssten relativ stabile Euroländer wie Deutschland höhere Zinsen zahlen als bei der Ausgabe eigener, deutscher Staatsanleihen.
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Deutschland setzt statt „Corona-Bonds“ auf bewährte Instrumente wie den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Investitionsbank. Auch der EU-Haushalt biete Spielräume - hier ist Deutschland der größte Nettozahler.
Das deutsche Hauptargument gegen „Corona-Bonds“: Anders als bei Hilfen über den ESM gäbe es keine Auflagen - Staaten wie Italien aber hätten bereits in der Vergangenheit Haushaltsregeln nicht eingehalten. Vor allem in der Unionsfraktion gibt es massiven Widerstand.
Druck auf Deutschland wächst weiter
Deutschland hat zwar die Niederlande, Finnland und Österreich auf seiner Seite. Der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Süden Europas wächst aber.
Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen unterstützt. „Ganz Europa zählt auf Deutschland“, sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstag. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch ja gehört wird.
So mancher sieht es längst als Existenzfrage an, ob die EU bei der Krisenbewältigung noch zusammenfindet. Wie ernst die Lage ist, zeigte eine Äußerung des frühere EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Der 94-Jährige, der sich kaum noch öffentlich zu Wort meldet, zeigte sich angesichts der festgefahrenen Debatte zu einem mahnenden Appell genötigt: Die fehlende Solidarität stelle „eine tödliche Gefahr für die EU“ dar.
Angela Merkel konnte EU-Streit noch nicht entschärfen
Der Riss durch die Staatengemeinschaft verläuft nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West - vor allem in Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gerade auszuhebeln versucht.
Alle Annäherungsversuche der Lager in Videokonferenzen der Staats- und Regierungschefs sind bisher gescheitert. Um Ostern soll ein weiterer Versuch stattfinden. Dann wird sich alle Aufmerksamkeit auf Merkel richten, deren Appelle an die Bevölkerung in Deutschland zwar als sehr gelungen gelten. In Sachen Europa hat sie aber noch nicht den Ton getroffen, der den Streit entschärfen könnte.
Coronavirus-Pandemie – Bilder der Krise
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Stattdessen versucht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Gemüter zu beruhigen. „Es muss anerkannt werden, dass in den ersten Tagen der Krise angesichts der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort zu viele nur an die eigenen Probleme dachten“, schrieb sie in der italienischen Zeitung „La Repubblica“. „Es war ein schädliches Verhalten, das hätte vermieden werden können.“
Für Frankreich ist die Vergemeinschaftung der Schulden fixer Programmpunkt
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte antwortete in derselben Zeitung an die „Liebe Ursula“. Von seinen Forderungen nach einer Vergemeinschaftung der Schulden rückte er aber nicht ab: „Wenn man einen Krieg führt, muss man alle Anstrengungen unterstützen, die zum Sieg führen, und sich mit allen Instrumenten ausstatten, die für den Beginn des Wiederaufbaus erforderlich sind.“
Mit Frankreich, Spanien und Griechenland hat er mächtige Bundesgenossen. Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Le Maire hat die Vergemeinschaftung von Schulden bereits zum fixen Programmpunkt erhoben. Staaten, die Kredite über den ESM-Schirm aufnehmen, sollen nur symbolische Auflagen („leichte Konditionalität“) bekommen, fordert er.
Paris bringt einen Euro-Soli für einen Wiederaufbau-Fonds ins Gespräch
Außerdem macht sich Le Maire für einen umfangreichen Fonds für den Wiederaufbau Europas nach der Corona-Krise stark. Vorgesehen ist ein Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Alle EU-Staaten sollen diesen Fonds garantieren, also im Zweifelsfall dafür haften. Es wäre die Vergemeinschaftung von Schulden nach dem Prinzip der „Corona-Bonds“, ohne dass es so heißt.
Wie viele Milliarden Euro der umfassen soll, sagt Le Maire nicht. Aber als Finanzierungsquellen nennt er zwei Möglichkeiten: eine „Solidaritäts-Steuer“ – also eine Art Euro-Soli – oder Finanz-Überweisungen der EU-Mitgliedsstaaten. In jedem Fall hieße dies zusätzliche Belastungen für die europäischen Steuerzahler.
Es grassiert die Angst vor einem Erstarken der Rechtspopulisten
Wenn sich die Finanzminister der Eurozone – die sogenannte Eurogruppe – am 7. April treffen, steht ein großes Tauziehen zwischen Süd- sowie Mittel- und Nordeuropäern bevor.
Vor allem in Frankreich und Italien hat man die Sorge vor einem Erstarken der Rechtspopulisten. In Zeiten der Corona-Krise hätten die Regierungen zwar vergleichsweise viel Zustimmung der Bürger, heißt es. Doch nach der Krise werde es zu heftigen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen kommen.
Es drohen Massenarbeitslosigkeit und Armut. Das sei der klassische Nährboden für Rechtspopulisten. Nur ein viele Milliarden umfassendes Finanzpaket könne dem vorbeugen, hallt es aus Paris, Rom und Madrid.
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