Berlin. Der Staat macht Schulden, um Firmen zu retten. SPD-Chefin Saskia Esken will dafür Millionäre zur Kasse bitten. Die Aufregung ist groß.

Die Idee von SPD-Chefin Saskia Esken wirkt auf den ersten Blick charmant: Wenn der Staat sich bis über die Halskrause mit Hunderten Milliarden Euro verschulden muss, um mit Hilfsprogrammen Firmen und Jobs zu retten, könnten doch Millionäre und Milliardäre einen eigenen Beitrag leisten. Ein Corona-Soli von denen, die es wirklich dicke haben. Oder wie es die SPD schon lange fordert: Starke Schultern könnten mehr tragen als schwache.

Eine einmalige Abgabe durch besonders wohlhabende Bürger sei „eine der Möglichkeiten, die Staatsfinanzen nach der Krise wieder in Ordnung zu bringen“, sagte Esken der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Die SPD ist nicht allein mit der Forderung. Eine Vermögensabgabe für Superreiche findet auch die Linkspartei vernünftig. Vermögen ab einer Million Euro sollten mit einer einmaligen Abgabe von fünf Prozent belastet werden. Aber wie realistisch ist das?

Corona-Krise: Eine Vermögensteuer ist für die SPD ein „goldenes Kalb“

Anders als die Linkspartei sitzt die SPD in der Bundesregierung. Geht da was? SPD-Finanzminister Olaf Scholz, der das Rennen um den Parteivorsitz gegen Esken verloren hatte, ist kein Fan einer Vermögensteuer. In der akuten Corona-Krise versuchen Scholz, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzlerin Angela Merkel mit gigantischen Hilfspaketen, Firmen und Arbeitsplätze zu retten. Allein der Bund will dafür 156 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen.

In SPD-Regierungskreisen reagierten führende Leute mit Kopfschütteln auf den Vorstoß von Esken. Die Idee sei kontraproduktiv und komme zu einem unpassenden Zeitpunkt. Politik und Wirtschaft seien im Krisenmodus, um das Schlimmste zu verhindern. Sollte man da Arbeitgebern, denen von heute auf morgen Aufträge wegbrechen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen, nun absehbar einen Corona-Soli aufbrummen?, fragte ein Bundestagsabgeordneter irritiert.

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    Reiche abkassieren? Da macht das Verfassungsgericht nicht so einfach mit

    Eine „Reichensteuer“ oder Vermögensteuer ist für die SPD seit vielen Jahren ein goldenes Kalb. Viele in der Partei argumentieren, damit könnte man effektiv gegen die wachsende Vermögensungleichheit in der Republik vorgehen und Milliarden von oben nach unten umverteilen. In der Praxis ist das nicht so einfach.

    Denn die Vermögensteuer wird seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der Mitte der Neunzigerjahre nicht mehr erhoben. Die obersten Richter in Karlsruhe hatten seinerzeit nicht die Steuer selbst gerügt, sondern die unterschiedliche Bewertung von Vermögensgegenständen.

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      Einfach erklärt: Die Steuer ist verfassungsrechtlich sehr kompliziert zu berechnen. Es würde nicht reichen, bei Konzern-Eigentümern oder Topverdienern aufs Konto zu schauen. Was ist mit Schmuck, Gemälden, Häusern, Fabriken, Fonds und Aktien? Die Finanzämter müssten jedes Jahr prüfen, wie sich die Werte entwickelt haben. Ein irrer Aufwand – für vergleichsweise wenig Ertrag.

      Bevor die Steuer auf Eis gelegt worden war, hatten die Bundesländer insgesamt nur knapp fünf Milliarden Euro aus der Vermögensteuer kassiert. Zum Vergleich: Alle Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden (ohne Gemeindesteuern) lagen 2019 bei 735 Milliarden Euro. Viel Lärm um wenig also?

      Steinbrück rät der SPD: Lasst die Finger davon!

      Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück rät der SPD, die Finger davon zu lassen. Er war 2013 als Kanzlerkandidat mit dem Ruf nach einer Vermögensteuer in die Bundestagswahl gezogen. Die meisten Wähler schreckte das ab. Die SPD stürzte auf 25,7 Prozent ab. Die Idee habe ein großes „Verhetzungspotenzial“.

      Wenn ein Politiker sage, „Lasst uns die Vermögensteuer reaktivieren“, werde den Bürgern von Konservativen und Liberalen weisgemacht, er wolle ihre Trockenhaube oder ihren Rasierapparat verstaatlichen und Omas Häuschen wegnehmen. „Das hat dazu geführt, dass Verteilungsfragen in Deutschland nur mit sehr spitzen Fingern angefasst wurden“, sagte Steinbrück kürzlich in einem Interview.

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        Neue Führung will SPD mit Linkskurs zu alter Blüte führen

        Die neue SPD-Führung um Esken, den früheren NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und Juso-Chef Kevin Kühnert will es trotzdem wieder versuchen. Das Trio will die auf um die 15 Prozent abgestürzte Volkspartei mit einem scharfen Linkskurs zu alter Blüte führen.

        Auf dem Dezember-Parteitag wurde die Forderung nach einer Vermögensteuer ab einem Nettovermögen von zwei Millionen Euro mit großer Mehrheit beschlossen. Danach sollte der Steuersatz einen Prozent betragen und für „Superreiche“ auf 1,5 und zwei Prozent steigen. Dabei sollen hohe Freibeträge gelten: zwei Millionen Euro für Alleinstehende und vier Millionen Euro für Verheiratete.

        De facto träfe die Steuer also Multimillionäre. Für ein verheiratetes Paar mit einem Nettovermögen von 4,2 Millionen Euro betrüge die Vermögensteuer 2000 Euro im Jahr oder 166 Euro im Monat. Unternehmen sind im SPD-Konzept von der Steuer ausgenommen. Als Privatpersonen würden Inhaber von Familienunternehmen aber betroffen sein. Wirtschaftsexperten warnten bereits vor einer Vermögensteuer nach SPD-Vorbild.

        FDP-Kritik: „Völliger Unsinn“

        In dem Parteitagsbeschluss hieß es, die Vermögensteuer sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die „starke Vermögenskonzentration“ gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Dynamik. Union und FDP sehen es genau anders herum.

        „Der Großteil des Vermögens in Deutschland ist produktives Betriebsvermögen“, sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. In der Corona-Krise Unternehmer quasi zu bestrafen, sei daher „völliger Unsinn“. Die Wirtschaft könne nicht gerettet werden, „indem wir sie wegbesteuern“. Stattdessen sollten nach der Krise Steuern gesenkt werden, damit die Wirtschaft schnell wieder in die Gänge kommen.

        Experten halten Reform der Erbschaftsteuer für sinnvoller

        Auch CDU und CSU würden eine Vermögensabgabe nie mittragen. Bereits in den Verhandlungen für den Koalitionsvertrag biss die SPD auf Granit. Experten halten es ohnehin für sinnvoller, sich eine andere Steuer anzuschauen, um für mehr Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen. Die Erbschaftsteuer. Jedes Jahr werden in der Republik Hunderte Milliarden vererbt, in der Steuerkasse landet davon nur ein Bruchteil.

        An eine rasche Wiedereinführung der Vermögensteuer glaubt übrigens selbst die SPD nicht. Es sei klar, „dass die Besteuerung großer Vermögen nicht kurzfristig zu erreichen sind und wir einen langen Atem brauchen werden“, lautete das Fazit auf dem jüngsten Parteitag in Berlin.