Berlin. Rudert die Regierung nur oder steuert sie auch? In der Corona-Krise droht der Kontrollverlust. Lassen wir es nicht so weit kommen.

Was für eine Woche! So eine Woche möchte man nicht noch einmal erleben. Am Sonntag lagen wir bei 24.875 Infizierten und 94 Corona-Toten in Deutschland, am Freitagnachmittag schon bei 47.393 Erkrankten und 289 Todesfällen. In fünf Tagen: nahezu doppelt so viele Ansteckungen und mehr als dreimal so viele Sterbefälle.

Es war die Woche, in der sich die Deutschen ehrlich machten, ihre Kanzlerin in Quarantäne ging und der Schalter umgelegt wurde, um ein ganzes Land herunterzufahren. Man blickt um sich in Europa, schaut nach Italien, schaut nach Spanien, und denkt: Es könnte schlimmer werden. Das kann es noch immer.

Aus dem Innenministerium kommt ein Papier, das aufhorchen lässt. Gar nicht so sehr wegen der Empfehlung, die Corona-Tests größtmöglich auszuweiten. Viel bemerkenswerter ist die Haltung, die da zu Papier gebracht wurde: Der Mut, den „worst case“ zu benennen, offen, schonungslos, getreu der Devise „Wer Gefahren abwenden will, muss sie benennen“. Es musste bekannt werden.

Keine Nebelkerzen, keine Beruhigungspillen. Stattdessen Klartext. Endlich fühlt man sich wie ein Bürger behandelt, dem die volle Wahrheit zugemutet werden darf; und nicht wie ein Kind, das zum ersten Mal zum Zahnarzt geht.

Coronavirus-Pandemie – noch ist die Lage in Deutschland unter Kontrolle

Erinnern wir uns: Helmut Kohl vernebelte den Kraftakt der deutschen Einheit mit dem Versprechen von „blühenden Landschaften“. Angela Merkel gab in der Bankenkrise eine Garantie für Spareinlagen ab, die kaum mehr war als ein ungedeckter Scheck, und legte über die Flüchtlingskrise 2015 den Schleier des Ungefähren – „Wir schaffen das“.

Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert das Handeln der Bundesregierung in der Corona-Krise.
Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert das Handeln der Bundesregierung in der Corona-Krise. © Reto Klar | Reto Klar

Noch ist die Lage in Deutschland unter Kontrolle, und die Chancen stehen gut, dass wir nicht wie ein Papierdrachen durch den Hurrikan kommen werden. Was zuversichtlich stimmt: Erstens 500.000 Krankenhausbetten und 28.000 intensivmedizinische Plätze, die verdoppelt werden sollen. Die schiere Masse. Und dazu die Gerätemedizin, oft genug verpönt, jetzt eine sichere Bank des Gesundheitswesen.

Zweitens die Ausweitung der Tests. Drittens die Diskussion über eine Exitstrategie, über Ausgangsszenarien- und Fristen. Nicht, weil das unmittelbar anstünde, sondern weil es angesichts der hohen volkswirtschaftlichen Kosten immer mitbedacht werden sollte. Viertens eine Klarstellung zur rechten Zeit: Die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen unter Inkaufnahme von vielen Toten, scheidet für Innenminister Horst Seehofer aus. „Nicht mit mir.“ Halten wir das mal fest. Denn nicht alle in Berlin denken so.

Die Ausweitung der Tests wäre schon deswegen wichtig, weil man dringend verlässliche Daten braucht. Bisher wird Politik vielfach auf der Basis von Annahmen exekutiert, die den einen zu alarmistisch sind und den anderen nicht weit genug gehen. Je mehr Menschen getestet sind, desto zielgenauer kann das Krisenmanagement sein, desto größer auch die politische Handlungssicherheit.

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Coronavirus entfacht weltweiten Verteilungskampf

Das Problem ist nur, dass alle Staaten erkannt haben, wie wichtig die Tests sind, aber die Ressourcen nicht ausreichen. Weltweit tobt ein Verteilungskampf um Mundschutz, Desinfektionsmittel und Beatmungsgeräte – und demnächst auch um Massentests, um Medikamente und Impfungen.

Man muss beides machen: Als Nationalstaat für seine Bürger handeln – und mit anderen solidarisch sein. Die Italiener, die Spanier werden sich genau anschauen, wie der Rest Europas mit ihnen umgeht. Das wird sich ins kollektive Gedächtnis dieser Völker eingraben. Neben allem anderen ist die Krise ein Härtetest für die EU als Wertegemeinschaft.

Wir erleben eine Bundesregierung, die in einer beachtlichen Schlagzahl rudert. Und wir hoffen, dass sie nicht nur rudert, sondern dass sie auch steuert.