Berlin. Kanzlerin Merkel ist in häuslicher Quarantäne und leitet die Kabinettssitzung telefonisch – der Bundestag tagt unter strengen Auflagen.
Mit einem Dank an die Mitarbeiter der Ministerien leitet Angela Merkel am Montag um elf Uhr die Kabinettssitzung ein. Diese würden eine unvorstellbare Mehrarbeit leisten in diesen Tagen, sagt die Regierungschefin. Allerdings – und das ist eine Premiere – kann die Ministerrunde die Kanzlerin nur hören, nicht sehen.
Merkel telefoniert am Montagmorgen um elf Uhr von ihrer Berliner Privatwohnung aus. Die CDU-Politikerin ist seit gestern vorsorglich in häuslicher Quarantäne. Ein Mediziner, der die Kanzlerin am Freitag prophylaktisch gegen Pneumokokken geimpft hatte, wurde später positiv auf das Coronavirus getestet.
Die 65 Jahre alte Regierungschefin ließ sich am Montagmorgen auf das Virus testen: Ein erster Test sei negativ ausgefallen, teilte das Bundespresseamt dann am Nachmittag in Berlin mit. Sicherheitshalber sollten in den kommenden Tagen weitere Tests vorgenommen werden.
Merkel in Quarantäne: Vertrauliche Unterlagen werden in ihre Wohnung gebracht
Vieles ist anders in Zeiten der Krise – auch im Berliner Regierungsbetrieb. So fand die Kabinettssitzung etwa im großen Saal des Kanzleramts statt, damit die Abstandsregeln zwischen den Personen gewahrt werden konnten. Die Ressorts waren anwesend, vertreten entweder durch die jeweiligen Minister oder durch Staatssekretäre.
„Wir kennen uns ja alle an den Stimmen“, scherzt Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz über die veränderte Situation. Der SPD-Politiker wird Merkel am Mittwoch im Bundestag vertreten – ursprünglich hatte die Kanzlerin die Debatte des Parlaments als erste Rednerin eröffnen wollen.
Im Kanzleramt geht man relativ gelassen mit der selbst gewählten Quarantäne der Chefin um. Man habe sich schon in der vergangenen Woche sehr streng an die Abstandsregeln gehalten, heißt es. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sagt etwa, er habe am Wochenende keinen direkten persönlichen Kontakt zu Merkel gehabt. Außerdem sei die Kanzlerin immer dienstfähig.
Merkel ist ohnehin eine Freundin der Kurznachrichten per Handy. Sie regiert schon lange mit dieser Methode, das wissen ihre engsten Mitarbeiter und Minister. Am Montag werden Akten zwischen Kanzleramt und ihrer Wohnung hin- und hertransportiert – auch um die Vertraulichkeit bei Unterlagen zu gewährleisten.
Schlaflose Nächte und neue Schulden für den Kampf gegen das Virus
Dann, kurz nach der Kabinettssitzung, ein Blick in den Saal der Bundespressekonferenz: Die Minister Peter Altmaier (CDU) und Scholz sitzen auf dem Podium, weit auseinander, die Fotografen in einiger Entfernung. Es sind fast mehr Bodyguards und Regierungsmitarbeiter als Journalisten anwesend. Viele Fragen der Journalisten werden nur noch online eingereicht.
Scholz hat lobende Worte für seine Chefin bereit. Merkels vorsorgliche Quarantäne sei wichtig und mache deutlich, dass „diese Infektion jeden von uns treffen kann“. „Wir sind als Menschen verletzlich“, es werde auch künftig Mitarbeiter oder auch Minister geben, die vom Coronavirus betroffen sind. Es sei ein guter Anlass, Solidarität zu üben.
Zum Schluss der Pressekonferenz, auf der Scholz und Altmaier unter anderem die mit 156 Milliarden Euro höchste bisherige Neuverschuldung verkündet haben, hält der Finanzminister einen dicken Stapel Papier in die Höhe. Dutzende Beamte in Ministerien und Kanzleramt haben sich für die Anti-Corona-Gesetze Tage und Nächte um die Ohren geschlagen.
Abstandsregeln verhindern Fraktionssitzungen
Anders als in vielen Firmen mussten sich Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Experten oft mit Telefon-Konferenzen begnügen. Für verlässliche Videoschalten reichten die Bandbreiten des Bundes zum Verdruss der Beamtenschaft zu oft nicht aus. Wolfgang Schmidt, engster Vertrauter von Scholz und Staatssekretär im Finanzministerium, twitterte über die Vorteile des wochenendlichen Homeoffice: „Der Weg vom Computer ins Bett ist nicht so weit. Morgen geht es weiter. Danke an das fantastische Team im BMF!“
Auch der Alltag im Bundestag ist in dieser entscheidenden Sitzungswoche stark verändert: Die Unionsfraktion wird sich am Dienstag nicht wie geplant zu einer Fraktionssitzung im Fraktionssaal im Bundestag treffen. Die Abstandsregeln ließen sich aufgrund der räumlichen Verhältnisse nicht einhalten, hieß es am Sonntag aus der Unionsfraktion.
Der parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) schrieb an die Abgeordneten, dass ihnen die beschlossenen Vorlagen des Kabinetts zugesandt werden. Am heutigen Dienstag findet um 11 Uhr eine Telefonkonferenz des geschäftsführenden Vorstands unter anderem mit Vertretern der Bundesregierung statt.
Der Bundesrat tagt am Freitag auch in verkleinerter Form
Am Mittwoch, ab 9 Uhr, tagt dann das Plenum unter erheblichen Vorsichtsmaßnahmen. So wird zunächst in verkleinerter Runde das Hilfspaket eingebracht und 90 Minuten debattiert. Danach sollen sich die Ausschüsse damit befassen, bevor die Gesetze schließlich beschlossen werden.
Eine besondere Situation gibt es für den geplanten Beschluss zur Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse: Dies muss in namentlicher Abstimmung mit der Kanzlermehrheit von mindestens 355 Stimmen gebilligt werden. Dafür ist die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Abgeordneten erforderlich. Die Urnen werden nicht wie üblich im Plenarsaal, sondern in der Westlobby in größerem Abstand voneinander aufgestellt, damit es keine „Rudelbildung“ gibt. Die Zuschauertribünen bleiben am Mittwoch leer.
Auch der Bundesrat, der am Freitag um 11 Uhr zusammentritt, kann in verkleinerter Besetzung tagen. Denn der Vertreter eines Landes kann alleine alle Stimmen des Landes abgeben. Der Bundestag soll nach der Osterpause planmäßig am 20. April wieder tagen. Ob es dazu kommt kann gerade niemand vorhersagen.
Wirtschaftsminister Altmaier übrigens fährt in Corona-Zeiten seinen Dienstagwagen selbst. Und will bei besserem Wetter bald ganz aufs Fahrrad umstellen.
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