Brüssel. Großbritanniens Austritt aus der EU war bisher alles andere als einfach. Die Corona-Pandemie droht, den Brexit erneut zu unterbrechen.
Die Corona-Krise wirbelt jetzt auch die Pläne für den Brexit durcheinander: Das Vorhaben der britischen Regierung, bis zum Ende der vereinbarten Übergangsfrist zur Jahreswende ein neues Handelsabkommen mit der EU unter Dach und Fach zu bringen, ist wegen der Pandemie kaum noch umzusetzen. Für die Brexit-Verfechter droht trotz erreichten EU-Austritts ein Albtraum wahr zu werden.
Wird der Übergang noch Jahre dauern? Bleibt Großbritannien viel länger als gewünscht an EU-Regeln gekettet und muss sogar weiter in die Brüsseler Kasse einzahlen?
Brexit: Verhandlungsrunde wegen Corona-Krise abgesagt
Premier Boris Johnson, wegen des Coronavirus ohnehin unter Beschuss, stemmt sich gegen das politische Debakel. Doch der Druck auf ihn wächst, in London und noch mehr in Brüssel. Das Problem ist seit dieser Woche offenkundig: Die für Mittwoch geplante zweite Verhandlungsrunde über die künftigen Verträge zwischen EU und Großbritannien musste wegen der Corona-Krise kurzfristig abgesagt werden.
Dabei sollte das Treffen in London das erste große Kräftemessen werden, die Unterhändler wollten mit einem Großaufgebot von jeweils rund 100 Experten den Nahkampf um die Handels- und Sicherheitsbeziehungen beginnen. Beide Seiten hatten umfassende Vertragsentwürfe vorbereitet, die an vielen Stellen nicht zusammenpassen.
Brexit: Ohne Verhandlungen droht Chaos
Doch die Gefahr einer Coronavirus-Infizierung war für die Beteiligten offenkundig zu groß. Überlegungen, sich per Videokonferenz zu beraten, wurden verworfen. Vertrauliche Unterredungen wären so auch kaum möglich gewesen. Nun ist bereits absehbar, dass auch die nächsten Verhandlungsrunden im April und Mai nicht stattfinden können. Nur: So viel Zeit haben die Briten nicht mehr.
Die Übergangsfrist, in der sich erst mal nichts zwischen Großbritannien und der EU ändert, läuft am 31. Dezember ab. Wenn bis dahin kein Vertrag ausgehandelt ist, droht in vielen Bereichen Chaos – ohne eigenen Handelsvertrag müssten im Warenverkehr zwischen EU und Vereinigtem Königreich auch wieder Zölle erhoben werden, Grenzkontrollen eingeschlossen.
Übergangsfrist für Brexit auch ohne Corona-Krise schwer einzuhalten
Schon ohne die Pandemie gab es große Zweifel, ob der Zeitplan eingehalten werden kann. Einziger Ausweg: Großbritannien beantragt bis Ende Juni eine Verlängerung der Übergangsfrist um bis zu zwei Jahre, bleibt also weiter eng an die EU gebunden, gehört dem Binnenmarkt an, hält sich an die Regeln und zahlt Mitgliedsbeiträge.
In Brüssel wird zunehmend damit gerechnet: „Einen harten Brexit kann Johnson wegen der düsteren Wirtschaftsaussichten nicht mehr riskieren“, so ein EU-Diplomat. Der politische Druck in Brüssel wird größer.
Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, der deutsche CDU-Abgeordnete David McAllister, warnt: „Die Corona-Pandemie erschwert den ohnehin schon sehr ambitionierten Zeitplan.“ Bereits bis zum 1. Juli sollten konkrete Verhandlungsergebnisse vorliegen, unter anderem eine Einigung in der Fischereipolitik, sagt McAllister unserer Redaktion.
„Auf europäischer Seite waren und sind wir bereit, die Übergangsphase bis maximal Ende 2022 zu verlängern. Eine Verlängerung sollte unter den gegebenen Umständen erneut sorgfältig in London geprüft werden.“
Harter Brexit droht noch immer, sagt Katarina Barley
Auch die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), drängt: „Wir brauchen ein gut verhandeltes, umfangreiches Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.“ In der Krisenlage seien aber persönliche Gespräche unmöglich, alle Anstrengungen müssten darauf abzielen, die Pandemie koordiniert zu bekämpfen.
„Ein immer noch drohender harter Brexit mit chaotischen Zuständen und wirtschaftlichen Einbußen ist zum jetzigen Zeitpunkt eine unnötige Belastung für beide Seiten“, sagt Barley unserer Redaktion. „Deshalb sollte die Übergangsphase frühzeitig verlängert werden. In ruhigeren Zeiten wird man dann sicher zu einem vernünftigen Abschluss der Verhandlungen kommen.“
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Brexit und Corona: Großbritannien droht Konjuktureinbruch
Auch in London gibt es offenbar Überlegungen, in die Verlängerung zu gehen. Planspiele, wie Johnson seine Kehrtwende den Wählern am besten verkaufen könnte, haben ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Das Problem ist nicht nur der knappe Zeitplan. Großbritannien droht wegen der Corona-Krise auch ein schwerer Konjunktureinbruch.
Bringt dann der Austritt aus dem Binnenmarkt Ende des Jahres zusätzlich wirtschaftliche Verwerfungen, dürfte es ungemütlich werden. Doch offiziell will Johnson von einer Verschiebung nichts wissen: Die Verhandlungen würden fortgesetzt, alles andere bringe nur Unsicherheit.
Brexit: Linke-Europaabgeordneter hält Fristverlängerung „unausweichlich“
Der Linke-Europaabgeordnete Martin Schirdewan, der der Parlamentsgruppe für die Nach-Brexit-Verhandlungen angehört, nennt die Verlängerung indes „unausweichlich“. Die Frist bis Ende Dezember sei ohnehin „völlig unrealistisch“ gewesen, sagt er unserer Redaktion. „Die Corona-Pandemie macht die Einhaltung nun natürlich noch fragwürdiger, wenn nicht gänzlich unmöglich.“
Sollte die britische Regierung nicht von ihrer Haltung abweichen, aus fadenscheinigen Gründen nicht um eine Verlängerung der Frist zu bitten, scheine der harte Brexit unausweichlich, meint der Linke-Abgeordnete. Das aber müsse unbedingt verhindert werden – es gehe nicht um die Einhaltung irgendwelcher Zeitpläne, sondern darum, die schlimmsten Folgen für die Bürger abzuwenden.
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Am 31. Januar trat Großbritannien aus der EU aus. Der Brexit war ein langer Prozess – und ein emotionaler: Zum EU-Austritt der Briten gab es Wehmut und Wut. Doch es gibt auch welche, die vom Brexit profitieren: Das sind die unerwarteten Gewinner. Welche Folgen aber wird der Brexit für unseren Alltag haben? Unser Kolumnist meint: Vielleicht ändert sich durch den Brexit gar nicht so viel.