Erfurt. Thüringen: Am Mittwoch steht der nächste Showdown an. Bodo Ramelow (Linke) verzichtet bei der Ministerpräsidentenwahl auf CDU-Stimmen.
Thüringens früherer Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) will sich nicht mit Stimmen der CDU-Fraktion im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Das sagte Ramelow vor der für diesen Mittwoch geplanten Wahl im Erfurter Landtag. „Ich habe mich gestern mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt ausgetauscht und ihm mitgeteilt, dass ich erforderlichenfalls in allen drei Wahlgängen antreten werde“, sagte er am Mittwochmorgen der „Thüringer Allgemeinen“ (Online).
Er werde die Abgeordneten der CDU um „konsequente Stimmenthaltung“ bitten, sagte Ramelow. „Heute ist kein Tag der Prinzipienreiterei, heute ist der erste Tag zu einer neuen Stabilität“, erklärte er. Das Chaos sei schon groß genug.
Ramelow geht notfalls über drei Runden – und verzichtet auf CDU-Stimmen
Bisher hatte Ramelow sich fest davon überzeugt gezeigt, im ersten Wahlgang gewählt zu werden, obwohl seiner rot-rot-grünen Minderheitskoalition vier Stimmen zur nötigen absoluten Mehrheit fehlen. Er rechnete mit Überläufern vor allem aus der CDU-Fraktion, die sich mit Linke, SPD und Grünen auf eine begrenzte Kooperation geeinigt hatte.
Allerdings wurde durch die CDU mehrfach ausgeschlossen, „als Fraktion“ Ramelow „aktiv“ zu wählen. Zuletzt sendete die Union nach Informationen der Zeitung klare Signale an die Linke, dass sie auch nicht mit der Zustimmung einzelner Abgeordneten in der geheimen Abstimmung rechnen könne.
Ramelow müsse sich deshalb – so wie bereits am 5. Februar – auf den dritten Wahlgang einrichten. Am Mittwoch empfahl Voigt seiner Fraktion die Enthaltung in allen Wahlgängen.
Die AfD hat Fraktionschef Höcke gegen Ramelow aufgestellt
Darüber hinaus hat die AfD mit Björn Höcke ihren eigenen Landes- und Fraktionschef als Gegenkandidaten aufgestellt und wird ihn wahrscheinlich geschlossen unterstützen. Die FDP will nicht an dem Wahlakt teilnehmen, um nicht in Verdacht einer geheimen Stimmabgabe für einen der beiden Kandidaten zu geraten. Die Liberalen wollen bei der Abstimmung den Plenarsaal verlassen. Das hat Voigt für die CDU ausgeschlossen.
Ramelow erklärte, er könne sich nicht vorstellen, dass der AfD-Landeschef Stimmen aus der CDU-Fraktion erhalte. „Wer meint, dass im 75. Jahr der Befreiung vom Nationalsozialismus ein Geschichtsrevisionist wie Herr Höcke unseren Freistaat gegenüber den Überlebenden Buchenwalds repräsentieren soll, zeigt, wessen Geistes Kind er ist“, erklärte er.
Ex-Ministerpräsident fällt vernichtendes Urteil über FDP
Zur Ankündigung der FDP-Fraktion sagte der Ex-Regierungschef: „Dass die FDP, die maßgebliche Verantwortung für das Desaster des 5. Februar 2020 trägt, in Gestalt des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich und der vier anderen liberalen Abgeordneten am heutigen Wahlakt selbst nicht teilzunehmen beabsichtigt, ist unverantwortlich, aber damit letztlich auch der konsequente Schlusspunkt.“
Seit der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 ist die Linke mit 29 von 90 Sitzen stärkste Kraft. Auf Platz 2 landete die AfD mit 22 Sitzen, die CDU wurde mit 21 Mandaten auf Platz 3 verdrängt. Die SPD schrumpfte auf acht und die Grünen auf fünf Abgeordnete. Die FDP schaffte es mit 5,0 Prozent und fünf Sitzen gerade so in den Landtag zurück.
Ohne AfD oder Linke ist eine Mehrheitsregierung nicht möglich
Damit ist Thüringen das einzige Bundesland, in dem Linke und AfD über mehr als die Hälfte der Parlamentsmandate verfügen. Mehrheitsregierungen sind ohne ihre Beteiligung nicht möglich.
Die Koalitionsparteien Linke, SPD und Grüne nun nur noch über 42 der 90 Abgeordneten im Thüringer Landtag. AfD, CDU und FDP kommen gemeinsam auf 48. Für die Wahl des Ministerpräsidenten ist in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit von 46 Landtagsmitgliedern nötig. Der früheren rot-rot-grünen Koalition fehlen also vier Stimmen.
Im dritten Wahlgang reicht die relative Mehrheit: Dann ist der Kandidat mit „den meisten Stimmen“ gewählt. Ramelow hatte bei der Ministerpräsidentenwahl am 5. Februar im dritten Wahlgang 44 Stimmen erhalten. Kemmerich kam auch mit Stimmen der AfD auf 45 Stimmen.
Björn Höcke will erst ganz kurzfristig entscheiden, ob er in allen drei Durchgängen bei der Ministerpräsidentenwahl im Landtag antritt. „Wir entscheiden nach jedem Wahlgang, wie wir vorgehen“, sagte Höcke der „Augsburger Allgemeinen“. „Wir ziehen uns dann zu Beratungen zurück.“
Damit besteht die Möglichkeit, dass die 22 AfD-Abgeordneten am Mittwochnachmittag aus taktischen Gründen für den Linke-Kandidaten Bodo Ramelow stimmen. Ramelow will aber nicht Regierungschef werden, wenn die AfD-Stimmen ausschlaggebend sind.
Das Coronavirus verhindert die Abstimmung im Landtag nicht
Der neuerliche Anlauf der Landtagsabgeordneten, einen Ministerpräsidenten zu wählen, stand am Dienstag kurzzeitig auf der Kippe, als sich die globale Corona-Krise mit der regionalen Regierungskrise zu verbinden drohte. Ein Landtagsabgeordneter, der Kontakt zu einem Infizierten hatte, stand unter Quarantäne. Das negative Testergebnis gab am Abend schließlich Entwarnung. Der Ministerpräsidentenwahl steht also nichts im Wege.
Damit ist klar: Vier Wochen nach seiner Abwahl stellt sich Bodo Ramelow im Thüringer Landtag zur Wahl, um wieder der einzige linke Ministerpräsident Deutschlands zu werden. Sein AfD-Gegenkandidat Björn Höcke hat keine Chance auf das Amt, könnte aber versuchen, den Wahlvorgang zu diskreditieren. Am Mittwoch soll ab 14 Uhr gewählt werden.
Ramelow will mit Unterstützung der CDU bis April 2021 regieren
Der Ausgang der Abstimmung gilt als offen. Wird Ramelow gewählt, will er mit punktueller Unterstützung der CDU bis zu Neuwahlen im April 2021 regieren. Scheitert er, wäre eine schnellere Neuwahl des Landesparlaments unausweichlich.
Am 5. Februar hatte Ramelow sich erstmals der Wahl im Landtag gestellt. Er wollte seine bisherige rot-rot-grüne Koalition als Minderheitsvariante fortführen. Zuvor waren Sondierungen über die Bildung einer bürgerlichen Minderheitsregierung unter Führung der CDU gescheitert. Auch vorsichtige Gespräche zwischen Ramelow und dem damaligen CDU-Landeschef Mike Mohring über eine Zusammenarbeit endeten ergebnislos.
Die Ära Kemmerich bleibt ein kurzes Kuriosum in Thüringen
Die AfD stellte gegen Ramelow einen parteilosen Dorfbürgermeister auf. Nachdem der Linke in den ersten beiden Wahlgängen nicht die nötige absolute Mehrheit erzielt hatte, trat im dritten Wahlgang zusätzlich der FDP-Landesvorsitzende Kemmerich an. Die AfD stimmte daraufhin insgeheim nicht für den eigenen Kandidaten, sondern wählte mit CDU und FDP den Liberalen zum Ministerpräsidenten.
Kemmerich nahm die Wahl an, trat aber in Folge öffentlicher Proteste und bundespolitischen Drucks zurück. Seitdem ist er als Ministerpräsident nur noch geschäftsführend im Amt, ein Kabinett kann er nicht mehr ernennen.
Rot-Rot-Grün und CDU haben einen „Stabilitätspakt“ geschlossen
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner stellte die Vertrauensfrage im Bundesvorstand seiner Partei. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte ihren Rückzug vom Parteiamt an und eröffnete damit den Kampf um die Kanzlerkandidatur. In der Thüringer CDU trat Mike Mohring als Vorsitzender der Landespartei und der Landtagsfraktion zurück.
Der neue Fraktionschef Mario Voigt hat mit Linke, SPD und Grüne eine Vereinbarung erarbeitet, die eine stabile rot-rot-grüne Minderheitsregierung bis zu einer Neuwahl des Landtags am 25. April 2021 ermöglichen soll.
• Mehr zum Thema: Ramelow rechnet fest mit Wahl zum Ministerpräsidenten