Berlin/Peking. Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Deutschland steigt. Die Lage in China könnte hier die Versorgung mit Medikamenten gefährden.
Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus. Schulen werden geschlossen, Kulturveranstaltungen abgesagt, Hunderte Menschen befinden sich in Quarantäne – in fast allen Bereichen des Lebens herrscht Ausnahmezustand, in Deutschland, in Europa, überall auf der Welt.
Die Pandemie hat längst riesige wirtschaftliche Folgen. Globale Lieferketten sind zum Teil seit Wochen unterbrochen, einige Unternehmen können seit Wochen nicht mehr in gewohnter Weise produzieren oder ihre Dienstleistungen anbieten. Besonders in China, wo das Virus ausbrach, wo sich bis jetzt mehr als 80.000 Menschen infiziert haben (Stand 13. März, morgens), ist die Produktivität in vielen Branchen drastisch gesunken. Auswirkungen, die gerade in der Corona-Krisenzeit auch für Deutschland und den Rest der Europäischen Union spürbare Folgen hat.
Coronavirus-Auswirkungen: Grundstoffe für Medikamente in China produziert
Eine vergleichbare Situation habe er noch nicht erlebt, sagt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer, die die Interessen von mehr als 1600 Unternehmen in China vertritt. Ob Hemden, Elektronikartikel oder Spielzeuge: Fast alle Produkte werden schließlich mit Einzelteilen aus China produziert.
Die für Europa spannendste Lieferkette sei jedoch die der Pharmaindustrie: „Fast alle Vorprodukte für Arzneimittel wie Antibiotika und Kopfschmerztabletten werden in China gefertigt“, sagt der gebürtige Heidelberger: „All das wird sich auch irgendwann in den Apotheken in Deutschland bemerkbar machen.“ „China ist weltweit der wichtigste Produzent von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen, auch API genannt.
Diese sind in jedem Arzneimittelprodukt enthalten“, sagt Eric Bouteiller, der 17 Jahre in Peking ein internationales Pharmazieunternehmen geleitet hat und nun als Professor unterrichtet. Vor allem waren es Kostengründe, warum die Hersteller Teile ihrer Produktionen in billigere Länder ausgelagert haben – nach Indien und vor allem China.
Aus der Quarantäne-Provinz Hubei kommen Wirkstoffe
Die Marktführer der chinesischen Medikamentenproduktion sind in den ostchinesischen Provinzen Jiangsu und Shandong angesiedelt, die vergleichsweise moderat vom Virus betroffen sind und deren Fabriken bereits in einigen Wochen auf Normalniveau produzieren könnten. Doch auch die unter Quarantäne stehende Provinz Hubei, auf die 67.000 der knapp 80.000 Infektionen in Festlandchina fallen, ist für die heimische Pharmabranche von großer Relevanz.
Einer Umfrage des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie zufolge gibt es in Hubei für insgesamt 136 Arzneimittel einen Wirkstoffhersteller. Es ist davon auszugehen, dass jene Hersteller bis auf absehbare Zeit nicht produzieren werden.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände erklärt, es gebe derzeit keine sich abzeichnenden Lieferengpässe. Trotzdem blicken manche in Berlin mit Sorge auf die chinesische Produktion. Gerade bei Generika – also den billigeren, aber wirkstoffgleichen Alternativen zu vielen Markenprodukten – sei die Abhängigkeit sehr groß, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Bärbel Bas unserer Redaktion.
„Es gibt immer noch Originalpräparate, die hier produziert werden und vorhanden sind“, so Bas. „Aber es gibt auch 200 versorgungskritische Präparate, wo es schwierig ist. Das betrifft viele Medikamente, die die Menschen brauchen und häufig nehmen: Blutdrucksenker, Antidepressiva.“
Forderung nach mehr Medikamenten-Produktion in Europa
Sie habe „große Sorge“, dass es durch die Produktionsausfälle in China hier zu noch größerer Medikamentenknappheit komme. „Sollten die Corona-Fallzahlen in Deutschland weiter steigen, kann das zum Problem werden.“ Um die Abhängigkeit zu reduzieren, plädiert Bas dafür, wieder mehr Medikamente in Europa zu produzieren.
Im Vergaberecht müsse man überlegen, ob Zulassungen für neue Präparate an Standorte in Europa geknüpft werden, so die Gesundheitspolitikerin. Auch die Krankenkassen könnten das in ihren Rabattverträgen zur Bedingung machen.
Sinnvoll sei es auch, das Thema im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft anzusprechen. Manfred Weber, EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, kritisierte die Reaktion gerade auf europäischer Ebene scharf. „Das Virus respektiert keine europäischen Grenzen, deshalb ist eine europäische Reaktion überfällig“, sagte er unserer Redaktion.
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