Teheran. Wie das Corona-Virus sich im Iran verbreitet, ist nach wie vor unklar. Nun ist dort nicht nur der Vize-Gesundheitsminister erkrankt.

Irans Vizegesundheitsminister Iraj Haririchi stand der Schweiß auf der Stirn. Immer wieder nahm er seine Brille ab und wischte sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Regierungssprecher Ali Rabiei mit einem Taschentuch durchs Gesicht. Wenige Stunden später bekannte das Kabinettsmitglied in einem kurzen Selfie-Video, er sei an dem Corona-Virus infiziert.

„Dies ist ein demokratisches Virus. Es unterscheidet nicht zwischen reich und arm, zwischen mächtig und machtlos. Es könnte eine Menge Leute infizieren“, sagte er mit belegter Stimme. Noch tags zuvor hatte Haririchi empört Vorwürfe des Abgeordneten Ahmad Farahani aus Qom zurückgewiesen, die Islamische Republik belüge die Bevölkerung und verharmlose die Krise.

Kurz danach traf Kritiker Farahani das gleiche Schicksal. Mit hohem Fieber musste er ins Krankenhaus. Seinen Sessel im Teheraner Parlament ließen die Kollegen sofort gründlich desinfizieren.

Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass auch die iranische Vizepräsidentin Massumeh Ebtekar positiv auf das neue Coronavirus getestet worden ist. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA am Donnerstag ist die 59-Jährige derzeit unter ärztlicher Aufsicht zuhause. Alle Mitglieder ihres Teams in der Abteilung für Frauen- und Familienrechte im Präsidialamt müssen nun ebenfalls getestet werden.

Covid-19: Hat Teheran das Ausmaß der Epidemie wochenlang vertuscht?

Offiziell sind im Iran bisher 26 Menschen an dem Corona-Virus gestorben, nach China weltweit die zweithöchste Zahl. 245 Menschen liegen auf der Intensivstation, ein Großteil in der Pilgermetropole Qom, dessen Zentralfriedhof kürzlich um 2000 Grabstellen für Notzeiten erweitert wurde.

Internationale Experten argwöhnen, Teheran habe das Ausmaß der Epidemie im eigenen Land wochenlang vertuscht und spiele darum bei der Ausbreitung des Corona-Virus im Nahen Osten eine Schlüsselrolle. Nirgendwo steigt die Zahl der Toten so rasant wie in der Islamischen Republik. Nirgendwo ist die Mortalitätsrate mit über zehn Prozent annähernd so hoch.

In China liegt sie bei 3,5 Prozent, in Italien bei 2,5 und in Südkorea unter einem Prozent. Auf dieser Basis kalkulierte am Dienstag eine kanadische Forschergruppe in Toronto die Zahl der infizierten Iraner seit Ausbruch der Krankheit vor sechs Wochen auf mindestens 18.500. „Es ist wahrscheinlich, dass der Iran eine Corona-Epidemie von signifikanter Dimension erlebt“, heißt es in dem Ad-hoc-Gutachten.

Teherans Verantwortliche dagegen tun dies als westliche Propaganda ab. Die neu gegründete Cyber-Polizei verhaftete 24 Blogger, denen sie vorwirft, falsche Gerüchte über das Ausmaß der Epidemie verbreitet zu haben. 118 weitere Internet-Aktivisten wurde vorübergehend festgenommen und strikt verwarnt.

„Die Behörden wollen nicht zugeben, dass sie mit einem erheblichen Corona-Ausbruch zu kämpfen haben“, erklärte der kürzlich ins Ausland geflohene Gesundheitsexperte Kamiar Alaei in einem Interview mit dem „Center for Human Rights in Iran“ (CHRI).

Im ganzen Land fehlen geeignete Virustests

Andererseits fehlen wegen der US-Sanktionen im ganzen Land geeignete Virustests, so dass viele Corona-Infizierte möglicherweise als gewöhnliche Grippefälle diagnostiziert wurden.

Alle Nachbarn der Islamischen Republik haben mittlerweile ihre Grenzen geschlossen, weil sie den offiziellen Erklärungen Teherans nicht trauen. Im Irak kamen alle sechs Infizierte aus dem Iran, auch nach Bahrain und Kuwait schleppten Reisende aus Teheran das Virus ein.

Kuwait meldete bisher 43 Corona-Fälle, Bahrain 33, die Vereinigten Arabischen Emirate 13 und Oman 4. In Iraks Hauptstadt Bagdad bleiben bis zum 7. März alle Cafés, Schulen, Universitäten und Kinos geschlossen.

Maschad und Qom, die Pilgerstädte, sind immer noch offen

Die religiösen Autoritäten im Iran dagegen sträuben sich, den Pilgerverkehr nach Maschad und Qom zu stoppen und die beiden heiligen Städte unter Quarantäne zu stellen. Denn zur Ausbreitung der Seuche trägt in erster Linie die Sitte schiitischer Pilger bei, die Heiligtümer mit dem Mund zu küssen und den Händen zu berühren.

Lediglich die Freitagsgebete für diese Woche wurden abgesagt. Die Metro von Teheran und alle öffentlichen Busse werden regelmäßig desinfiziert. Fußball-Spiele sollen weiter stattfinden, jedoch ohne Zuschauer. Revolutionsführer Ali Khamenei ließ bei seiner letzten Massenaudienz in Teheran den Abstand seines Sessels von den Versammelten weit mehr als verdoppeln.

Saudi-Arabien und Irak lassen keine Pilger mehr ins Land

Saudi-Arabien und Irak dagegen gehen weitaus entschiedener vor, auch wenn das erhebliche finanzielle Einbußen bedeutet. Beide Nationen lassen bis auf Weiteres keine Pilger mehr ins Land. Saudi-Arabien stoppte für Mekka und Medina alle Umrah-Visa, wie die kleine Wallfahrt rund um das Jahr heißt.

Vor allem geht bei den Verantwortlichen in Riyadh die Sorge um, dass auch der Hadsch Ende Juli mit 2,5 Millionen Teilnehmern abgesagt werden muss – zum ersten Mal in der Geschichte des Königreichs. Elf Millionen Beter besuchten 2019 die beiden heiligen Stätten des Islam in der Heimat des Propheten Mohammed. Für Saudi-Arabien wirft das Pilgergeschäft jedes Jahr Einnahmen von mehr als zehn Milliarden Euro ab.

„Der religiöse Tourismus ist auf null“

Das gleiche Bild boten diese Woche auch beiden heiligen Städten des schiitischen Islam, Najaf und Kerbela, wo der lukrative Pilgerverkehr gleichfalls zum Erliegen kam. In Najaf sind derzeit 300 des 350 Hotels geschlossen, die übrigen 50 nur noch zu fünf bis zehn Prozent belegt, berichten lokale Medien.

Ähnlich sieht die Lage in Kerbela aus, wo sich normalerweise ständig zehntausende Beter in der monumentalen Grabmoschee von Imam Hussein aufhalten, dem Enkel des Propheten Mohammed. „Der religiöse Tourismus ist auf null“, klagen die Verantwortlichen vor Ort. „Alle Einnahmen sind auf null.“

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