Brüssel/London. Vor den neuen Verhandlungen droht die britische Regierung mit einem raschen Abbruch. Steuert Johnson doch auf einen harten Brexit zu?
Gut vier Wochen nach dem Brexit starten die EU und Großbritannien in einen neue Verhandlungsrunde: Am Montag beginnt der Poker um einen neuen Handelsvertrag und andere Abkommen zu den künftigen Beziehungen. Doch jetzt ist klar: Die Verhandlungen werden noch härter als das jahrelange Tauziehen um den Brexit-Vertrag.
Der britische Premier Boris Johnson schickt vorab eine Kampfansage nach Brüssel: Wenn sich bis Juni – also innerhalb von vier Monaten – keine Einigung abzeichnet, will die britische Regierung die Verhandlungen abbrechen und sich darauf vorbereiten, dass es ab 2021 wieder Zollkontrollen zwischen Großbritannien und der EU gibt.
Das geht aus den britischen Verhandlungsleitlinien hervor, die die Regierung am Donnerstag in London veröffentlichte. Mit dem 30-seitigen Papier macht Johnson auch klar: Die Bedingungen der EU für ein Abkommen lehnt London rundherum ab – an eine frühere politische Erklärung beider Seiten fühlt sich Johnson offenbar nicht mehr gebunden.
Eine Verlängerung der Übergangsfrist, die nur bis Jahresende läuft und bis zu der Verträge vorliegen müssten, schließt die Regierung ebenfalls aus. „Es scheint, als ob sich Johnson eine Hintertür für einen harten Brexit offenlassen möchte“, kritisierte der CSU-Wirtschaftsexperte im EU-Parlament, Markus Ferber. Johnsons Drohung werde die Gesprächsatmosphäre belasten.
Die Grünen-Europaexpertin im Bundestag, Franziska Brandner, warnte: „Das werden harte Verhandlungen.“ Die Bundesregierung müsse auf die Gewährleistung europäischer Standards pochen.
Brexit: Boris Johnson erteilt EU-Bedingungen eine Absage
In den Verhandlungsleitlinien legt sich die britische Regierung klar darauf fest, dass sie keine Vereinbarung mit Brüssel abschließen will, mit der sie sich zur Einhaltung von EU-Standards als Bedingung für den breiten Zugang zum EU-Binnenmarkt verpflichten müsste. Ein Abkommen, in dem Großbritannien nicht die Kontrolle über die Gesetze und das politische Leben habe, werde die Regierung nicht verhandeln.
Stattdessen forderte Johnson in London gegenseitigen Zugang zu den Märkten bei gegenseitiger Anerkennung „unserer hohen Standards“. Doch die EU hat das bereits klar ausgeschlossen: Brüssel bietet den Briten zwar zoll- und quotenfreien Zugang zum Binnenmarkt an – aber es verlangt, dass London im Gegenzug die EU-Standards für Waren und Dienstleistungen nicht unterbietet, und zwar dauerhaft.
Die entsprechenden EU-Regeln sollen künftig „Referenzpunkt“ für die britische Gesetzgebung sein. Die EU will so verhindern, dass Großbritannien mit Standarddumping - etwa bei Vorschriften für den Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten - seinen Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschafft.
London will mit der EU ein Abkommen wie Kanada – Brüssel winkt ab
Das in den neuen Leitlinien fixierte Ziel der britischen Regierung, ein Handelsabkommen ähnlich dem Ceta-Abkommen zwischen EU und Kanada abzuschließen, kommt für Brüssel deshalb nicht in Frage. „Das Problem ist, dass Großbritannien nicht Kanada ist“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier diese Woche in Brüssel.
Großbritannien liege viel näher an der EU und habe ein zehnmal höheres Handelsvolumen mit der EU als Kanada. Die Ansage aus London ist allerdings ebenso eindeutig: Wenn es keine Vereinbarung nach dem Kanada-Vorbild gibt, will London auf einen Handelsvertrag verzichten und den Handel mit der EU nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO abwickeln, was die Einführung von Zöllen und entsprechend aufwendige Kontrollen zwingend mit sich bringt.
Größer könnten die Gegensätze vor dem Start der Verhandlungen kaum sein. Dabei ist der Zeitdruck enorm: Damit ein Vertrag bis Jahresende ratifiziert ist, müsste eine Verständigung bis Oktober gefunden werden. Auch EU-Chefunterhändler Barnier erwartet deshalb „sehr schwierige Gespräche“. Und er droht: „Wir werden diesen Vertrag nicht um jeden Preis schließen.“
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