Berlin. Der mutmaßliche Täter war den Ermittlungsbehörden bekannt. Tobias R. hatte selbst Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft erstattet
Das Attentat von Hanau hat die ganze Welt erschüttert. Hätte das Blutbad verhindert werden können? Haben die Behörden Fehler gemacht? Welche Rolle spielte die Familie des mutmaßlichen Täters Tobias R.?
Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um den schwarzen Mittwoch.
Haben die Sicherheitsbehörden Fehler gemacht?
Tobias R. war den Behörden bekannt – weil er selbst auf sie zuging. Laut seinem Bekennerschreiben ging er 2002 und 2004 zu verschiedenen Polizeistationen, um Anzeige zu erstatten. 2019 habe er zudem Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau und bei der Generalbundesanwaltschaft gestellt. Letzteres bestätigte Generalbundesanwalt Peter Frank: „Er erstattete Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation.“
Der mutmaßliche Täter habe darin behauptet, dass es eine national unabhängige Organisation gebe, die sich in die Gehirne der Menschen schalte. Krude Anzeigen kämen allerdings häufig vor, so Frank. „Was in der Strafanzeige aber nicht enthalten war, waren diese rassistischen und rechtsextremistischen Ausführungen zur Vernichtung bestimmter Volksgruppen und Völker.“
Daher habe seine Behörde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ohne Ermittlungsverfahren habe die Generalbundesanwaltschaft aber keinen Zugriff auf andere Register, etwa auf das Waffenregister. Daher habe man keine Verbindung zu anderen Behörden herstellen können, so Frank.
Hakte es bei der Kommunikation zwischen den Behörden? Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, will genau das untersuchen. Es stellt sich die Frage, welche Behördenkontakte es zu Tobias R. gab. Und ob es möglich gewesen wäre, die Informationen untereinander auszutauschen. Fest steht auch, dass das Bekennerschreiben von Tobias R. bereits seit Längerem im Netz einsehbar war. Laut BKA-Chef Münch hat Tobias R. eine eigene Webseite geführt, auf der er das Bekennerschreiben zuletzt am 22. Januar aktualisiert habe.
Welche neuen Informationen gibt es über den Täter?
Die Ermittler gehen davon aus, dass Tobias R. psychisch krank war. BKA-Chef Münch sprach am Freitag auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich „schweren psychotischen Krankheit“. Nach Ansicht des Londoner Terrorismusforschers Peter Neumann handelt es sich bei Tobias R. um einen Einzeltäter. „Er passt genau in das Muster, das wir in den vergangenen Jahren immer häufiger gesehen haben: sozial isolierte Männer, die sich im Internet aus verschiedenen Versatzstücken eine eigene rechtsextreme Ideologie zurechtzimmern“, sagte Neumann unserer Redaktion.
Er habe „passiv Verschwörungstheorien und rechtsextreme Videos konsumiert“ und sich daraus seine eigene Ideologie gebastelt. Die „Vernichtungsfantasien“ von Tobias R., wonach ganze Völker ausgelöscht werden sollten, deuteten auf einen neuartigen Tätertyp, sagte Karolin Schwarz, Expertin für Rechtsextremismus, unserer Redaktion.
Bereits in Teenager-Jahren scheint Tobias R. extrem unausgeglichen gewesen zu sein. Im Abitur-Jahrbuch der Hohen Landesschule Hanau, aus dem „Bild“ zitiert, schrieben ehemalige Klassenkameraden über ihn: „Schwankt zwischen lieb und hyperaggressiv.“ Letzteres wird unterstrichen durch den Satz: „Verteilte in der 12 auf dem Schulhof Ohrfeigen.“
Wie kann es sein, dass Tobias R. Waffen besaß?
Tobias R. war Mitglied in einem Schützenverein und kam so in den legalen Besitz von Waffen. Unklar ist allerdings, wie er eine Waffenbesitzkarte erhielt. Diese wird nur nach geprüfter Eignung der Person ausgegeben.
„Wie kann jemand, der offensichtlich sehr viele Fragen offenlässt in Bezug auf sein Verhalten, Waffen führen“, fragte auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD).
Welche Rolle spielte die Familie – besonders der Vater – des Täters?
Die „Süddeutscher Zeitung“ zitiert eine Passantin, die die Mutter von Tobias R. als bettlägerig und dement beschreibt. Sie habe sich zudem oft ausländerfeindlich geäußert. Der 72-Jährige Vater, Hans-Gerd R., sei von den Einsatzkräften in derselben Wohnung angetroffen worden, in der sich die tote Mutter und Tobias R. befunden hätten, teilte Generalbundesanwalt Peter Frank mit.
Er sei aber „kein Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens“. Er habe Zeugenstatus. Sein Verhältnis zur Nachbarschaft beschreiben Anwohner als problematisch. Er sei ein „Querulant“ gewesen, sagte eine Anwohnerin unserer Redaktion. Der „Hanauer Anzeiger“ zitiert Anwohner, wonach Hans-Gerd R. auf den Parkplätzen der Nachbarn Müll verteilt habe.
Aus Ermittlerkreisen heißt es, der Vater sei wegen einer Reihe von Delikten polizeibekannt. Genannt werden falsche Verdächtigung, üble Nachrede, Sozialleistungsbetrug, Falschaussage bei Gericht, Erpressung und die Verursachung eines Waldbrandes. 2011 kandidierte Hand-Gerd R. auf einer Grünen-Liste für die Wahl des Ortsbeirats. Dies bestätigte eine Sprecherin der Grünen unserer Redaktion. Er sei allerdings weder Mitglied der Partei gewesen, noch sei er in den Ortsbeirat eingezogen.
Wie könnten derartige Taten verhindert werden?
Die Rechtsextremismus-Expertin Karolin Schwarz mahnt generell, bei Verdacht auf Rechtsextremismus genauer hinzuschauen. „Erste Anzeichen, dass jemand in so eine Richtung abrutscht, ist das, was auf den Social-Media-Kanälen der Person geteilt wird. Was für Quellen, was für Inhalte verbreitet diese Person? Extrem kritisch wird es, wenn Gewaltfantasien geäußert werden. Da sollte man überlegen, ob dem vielleicht tatsächlich Gewalt folgen könnte.“
Da die meisten Attentäter aber in den rechtsextremen Subkulturen im Netz unterwegs seien, fordert Terrorismusforscher Peter Neumann: „In diesen virtuellen Räumen müssen die Sicherheitsbehörden genauso präsent sein wie in real existierenden Räumen.“ Bei den Islamisten hätten die Sicherheitsbehörden das gut in den Griff bekommen, so Neumann. „In der rechtsextremen Szene fangen wir gerade erst damit an. Das muss deutlich besser werden.“