Berlin. Justizministerin Lambrecht über Rechtsextremismus und Rechtsterror als Gefahr für die Demokratie – und was der Staat dagegen tun kann.
Wenige Stunden nach dem Anschlag von Hanau fliegt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht per Hubschrauber nach Hessen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Im Gespräch mit unserer Redaktion warnt die SPD-Politikerin vor einer Spirale aus Hass.
Der Bundespräsident hat zum Auschwitz-Gedenken davor gewarnt, dass „das alte Böse sich in neuem Gewand“ zeige. Letzte Woche ist eine neue rechte Terrorgruppe aufgetaucht, Ende dieser Woche tötet ein mutmaßlich rechtsextremer Attentäter in Hanau. Wie groß ist die Gefahr von rechts?
Christine Lambrecht: Für mich ist der Rechtsextremismus gemeinsam mit dem Rechtsterrorismus derzeit die Bedrohung Nummer eins für unsere Demokratie. Nicht nur die Zahl der Straftaten von rechts steigt, sondern auch deren Intensität. Neonazis sind gut vernetzt, bauen Strukturen auf, sammeln Waffen. Die von dieser Szene ausgehende Gefahr ist immens. Die Morde in Hanau haben aber auch gezeigt, welche große Gefahr von unorganisierten Einzeltätern ausgeht, die sich im Netz radikalisieren. Sie sind tickende Zeitbomben, denen wir mit allen Mitteln begegnen müssen, die uns der Rechtsstaat bietet.
Was muss passieren, um extremistischen Terror wie in Hanau zu verhindern?
Lambrecht: Die schrecklichen Morde in Hanau zeigen, zu welchen Gewalttaten Rassismus und Hass führen können. Wir müssen diese Spirale aus Hass und Hetze stoppen und ihr so früh wie möglich den Nährboden entziehen. Hier müssen wir an vielen Stellen ansetzen, zum Beispiel müssen wir dafür sorgen, dass Rechtsextremisten konsequent entwaffnet werden.
Beim rechten Täter von Hanau stehen die Ermittlungen noch am Anfang, bei der rechten Terrorzelle wissen wir schon mehr. Einer der Tatverdächtigen ist ein Beamter bei der Polizei. Haben die deutschen Sicherheitsbehörden ein Problem mit Neonazis?
Lambrecht: Wir haben in den Sicherheitsbehörden einen Querschnitt der Gesellschaft. Der Staat muss sehr genau hinschauen, was in den eigenen Reihen passiert. Deshalb gibt es Stellen bei der Polizei, bei denen Vorfälle von Rechtsextremismus gemeldet werden können. Jeder Meldung muss intensiv nachgegangen werden.
Wir erleben eine Radikalisierung der AfD. Ist es für Sie in Ordnung, wenn Richter Mitglieder oder für die Partei aktiv sind?
Lambrecht: Es kommt nicht darauf an, ob ich das in Ordnung finde oder nicht. Die AfD ist nicht verboten. Unser Grundgesetz stellt zu Recht hohe Hürden für ein Verbot von Parteien auf. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob eine Partei verboten wird, nicht die Justizministerin.
Im Netz wächst der Hass. Was halten Sie von einer Pflicht, als Absender den echten Namen zu benutzen?
Lambrecht: Ich halte das nicht für zielführend. Das Internet bietet die Riesenchance, sich mit anderen auszutauschen. Das muss auch möglich sein, ohne seinen wirklichen Namen zu nennen. Hierfür gibt es durchaus gute Gründe. Beispielsweise teilen Missbrauchsopfer im Netz anonym ihre Erfahrungen. Wenn wir jetzt die Pflicht zum Klarnamen einführen, nehmen wir diesen Menschen die Möglichkeit, frei über ihr Leid zu sprechen. Was brächte es im Übrigen, wenn ich meinen Namen benutze? Christine Lambrechts gibt es wahrscheinlich Dutzende in Deutschland.
• Kommentar: Der Staat muss entschieden antworten
Schüsse in Hanau- Tote und Verletzte
Was hilft dann gegen Extremismus im Netz?
Lambrecht: Wir haben am Mittwoch im Kabinett meinen Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität beschlossen. Damit kann Hass und Hetze im Internet konsequenter verfolgt und härter bestraft werden. Die großen sozialen Netzwerke sollen künftig bestimmte Einträge wie Morddrohungen oder Volksverhetzung an das Bundeskriminalamt melden. Von dort werden dann strafbare Postings inklusive IP-Adresse an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Mit der IP-Adresse können die Ermittler dann die Täter identifizieren.
Nehmen Facebook, Youtube und Twitter das Löschen von Hetze ernst?
Lambrecht: Ich habe schon den Eindruck, dass Unternehmen wie Facebook und Twitter den Kampf gegen diese Hetze ernst nehmen, erwarten aber weitere Schritte. Die Betreiber haben ja auch ein eigenes Interesse. Sie wollen nicht als Plattformen für Hassparolen an Image verlieren. Meinungsfreiheit ist ein zentrales Gut in unserer Demokratie. Kritische Inhalte und harte Kritik müssen deshalb stehen bleiben. Werden aber Straftaten begangen, dann müssen die Plattformbetreiber löschen. Wenn Bürgermeister aufgeben, weil sie massiv bedroht und beleidigt werden, dann ist das auch eine Bedrohung unserer Demokratie. Und das sind keine Einzelfälle. Wir dürfen das nicht zulassen.
• Mehr zum Anschlag von Hanau:
Reportage: Hanau am Tag danach – Eine Stadt steht unter Schock
Interview: Terror-Experte: Behörden müssen im Internet wachsamer werden
Newsblog: Alle Nachrichten zu den Folgen der Morde