Berlin. Was bringt einen Menschen zu einer Tat wie der von Hanau? Wir haben den renommierten Terrorismusforscher Peter Neumann dazu befragt.
Was steckt hinter dem Attentat von Hanau? Der mutmaßliche Täter, Tobias R. (43), soll aus rechtsradikalen Motiven gehandelt haben. In hinterlassenen Botschaften zeichnet er ein wirres Weltbild. Offenbar fühlte er sich verfolgt, ferngesteuert. Ein neuer Tätertyp?
Wir haben den renommierten Terrorismusforscher Peter Neumann vom Londoner King’s College befragt, wie er die Tat einschätzt und was einen Menschen zu solch einer Tat bewegen kann.
War Tobias R. ein Einzeltäter, oder hatte er Mitwisser und Unterstützer?
Peter Neumann: Nach allem, was wir bislang wissen, war er ein Einzeltäter. Er passt genau in das Muster, das wir in den vergangenen Jahren immer häufiger gesehen haben: sozial isolierte Männer, die sich im Internet aus verschiedenen Versatzstücken eine eigene rechtsextreme Ideologie zurechtzimmern.
Handelt es sich hier um einen neuen Tätertyp?
Neumann: Wir beobachten seit zwei bis drei Jahren verstärkt, dass rechtsextreme Ideologien im Do-it-yourself-Verfahren angefertigt werden. Sehr oft liegen bei den Tätern ganz erhebliche psychische Störungen vor. Die Grenzen verschwimmen zunehmend. Häufig lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen: Ist das noch politisch motivierte Gewalt oder ist das die Tat eines Verrückten? Das haben wir vor zehn Jahren so gut wie überhaupt nicht gesehen.
Hat sich Tobias R. im Netz radikalisiert?
Neumann: Seinem Bekennerschreiben nach zu urteilen würde ich sagen: Ja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er – wie etwa der Attentäter von Halle – in den Online-Subkulturen unterwegs war. Ich gehe eher davon aus, dass er passiv Verschwörungstheorien und rechtsextreme Videos konsumiert und sich daraus etwas zurechtgebastelt hat. Er hat fast schon in einer Art Filterblase gelebt. Der Täter von Hanau war sich aber bewusst, dass ein internationales Publikum existiert. Darauf weist eines seiner Videos hin, das in Englisch abgefasst ist. Kein Terrorist möchte diese Art von Tat für sich allein durchführen.
Was schätzen Sie: Wie viele Rechtsextreme, die sich im Netz eine Ideologie zusammenklauben, gibt es?
Neumann: In den letzten zwei Jahren gab es etwa ein Dutzend Täter in Westeuropa und in den USA. Angefangen hat dies mit Anders Breivik 2011 in Norwegen. Das war der Prototyp, an dem sich viele später orientiert haben. Es ist immer die gleiche Art von Anschlag: Ein Einzeltäter läuft mit einer Waffe wie in einem Videospiel durch eine Moschee, Synagoge oder Shisha-Bar und mäht die Menschen um. Gleichzeitig nimmt er ein Video auf und hinterlässt ein Manifest.
Wie viele Menschen wie Tobias R. laufen da draußen herum?
Neumann: Das ist sehr schwierig zu sagen – und deshalb haben die Sicherheitsbehörden ein großes Problem. Viele Rechtsextreme gehen auf Message-Foren wir 4chan oder 8chan, wo sich die Leute, die dieser Ideologie anhängen, versammeln. Das sind Hunderte oder Tausende. Die sagen alle, wir begehen morgen ein Attentat. Aber am Ende machen es wenige.
Warum begehen die Täter einen Anschlag? Gibt es einen Auslöser?
Neumann: Häufig geht der Tat ein Auslöser-Moment voraus. Das kann ein politisches Erlebnis oder eine Aussage von jemandem sein. Aber auch ein persönliches Erlebnis wie eine Demütigung spielt hier möglicherweise hinein. Ich gehe davon aus, dass auch bei Tobis R. ein derartiger Auslöser vorlag.
Schüsse in Hanau- Tote und Verletzte
Welche Rolle spielen Verschwörungstheorien im Rechtsradikalismus?
Neumann: Eine ganz wichtige. Demnach steuern dunkle Mächte die Weltgeschicke. Häufig stecken auch liberale Eliten, die die Einwanderung befördern, oder Juden dahinter. Rechtsradikalismus und Verschwörungstheorien verlinken im Netz sich gegenseitig.
Was können die Sicherheitsbehörden tun, um Menschen wie Tobias R. vor der Tat aufzuspüren?
Neumann: Wenn ein Einzeltäter sozial isoliert ist und überhaupt nicht kommuniziert, können die Behörden nichts tun. Aber wir wissen, dass sozial isolierte Einzeltäter oft vor der Tat ihre Tatabsicht kommunizieren. Sei es im Internet oder gegenüber Freunden und Familie. Das sind schwache Signale – aber wir müssen besser und effizienter darauf reagieren. Auch wenn der Attentäter von Hanau nicht in den Subkulturen im Netz kommuniziert hat: Die meisten dieser Art von Attentäter tun das. In diesen virtuellen Räumen müssen die Sicherheitsbehörden genauso präsent sein wie in real existierenden Räumen. Bei den Islamisten haben die Sicherheitsbehörden das gut in den Griff bekommen. In der rechtsextremen Szene fangen wir gerade erst damit an. Das muss deutlich besser werden.
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