Brüssel. Mit neuen Steuern auf nicht recycelte Kunststoffe soll das Haushaltsloch der EU gefüllt werden. Die Idee kommt nicht überall gut an.
Viele Plastikprodukte dürften in Europa bald teurer werden: In der EU wird sehr wahrscheinlich eine neue Plastiksteuer eingeführt, die auf alle nicht wiederverwerteten Kunststoffe fällig wird. Im Gespräch ist, die Steuer direkt bei den Plastikherstellern einzusammeln, die die höheren Kosten an die Verbraucher weitergeben dürften. Umweltschützer sind zufrieden, die Wirtschaft hat massive Bedenken. Großer Gewinner ist aber die EU: Denn das Geld sollen zwar die Mitgliedstaaten einsammeln, die Milliarden-Einnahmen werden aber direkt in den EU-Haushalt fließen.
Die neue Abgabe wird Teil der Verhandlungsmasse für das künftige Sieben-Jahres-Budget der Europäischen Union. Kurz vor einem EU-Sondergipfel am Donnerstag hat Ratspräsident Charles Michel den Plastiksteuer-Vorstoß als Teil seines neuen Finanzvorschlags präsentiert. Zumindest für diese Idee gibt es unter den Mitgliedstaaten nach Informationen unserer Redaktion breite Unterstützung: Sie würden so bei ihren Beitragszahlungen in die EU-Kasse entlastet.
Plastiksteuer geplant: EU-Parlament ist dafür
Das EU-Parlament steht ohnehin dahinter, Haushaltsexperten im Parlament rechnen schon fest mit der Abgabe: „Die Einführung einer europäischen Plastiksteuer haben die EU-Mitgliedstaaten schon eingepreist“, sagte der Grünen-Haushaltsexperte Rasmus Andresen unserer Redaktion. „Das ist richtig und gut: Die Plastiksteuer ist ein gutes Instrument, um den Plastikverbrauch zu reduzieren.“ Der Chef der SPD-Gruppe im Parlament, Jens Geier, ist ebenfalls überzeugt: „Die Plastiksteuer wird kommen.“ Auch der zuständige Haushaltskommissar Johannes Hahn sieht „wesentliche Übereinstimmung“ bei den Mitgliedstaaten.
Wie soll die Steuer funktionieren? Ratspräsident Michel stützt sich auf einen Vorschlag aus der Kommission, nach dem die EU-Staaten für jedes Kilo nicht wiederverwerteten Kunststoffabfalls 80 Cent an die EU abführen müssten. Nach Schätzungen der Kommission kämen jährlich vier bis acht Milliarden Euro zusammen. Michel denkt aber auch daran, einen Teil der Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandel in die EU-Kasse zu lenken, was weitere Milliardenzuflüsse bedeuten würde.
Die Idee der Plastiksteuer ist schon älter, jetzt soll sie ein gravierendes Problem lösen: Unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es massiven Streit um die EU-Finanzen im Zeitraum 2021 bis 2027. Die Kommission will das jährliche Ausgabenvolumen dauerhaft um etwa zehn Prozent ausweiten, was für sieben Jahre zusammen etwa Ausgaben von 1,135 Billionen Euro bedeuten würde. Das EU-Parlament fordert sogar eine Erhöhung des Budgets um fast ein Drittel.
Plastiksteuer soll Brexit-Loch im EU-Haushalt füllen
Doch weil mit Großbritannien ein wichtiger Nettozahler ausgeschieden ist, fürchten andere Staaten hohe Zusatzbelastungen. Die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark treten auf die Bremse und fordern Rabatte. Auf der anderen Seite machen sich Frankreich, die Südländer und die Osteuropäer für einen großzügigeren EU-Etat stark. Deutschland hat sich in der Mitte positioniert. Ein Kompromissvorschlag, den Ratspräsident Michel am Freitag vorgelegt hat, kann den Konflikt offenbar nicht lösen. Beim Sondergipfel am Donnerstag droht ein erster Krach. Die große Auseinandersetzung droht dann bei den finalen Verhandlungen mit dem EU-Parlament.
Doch SPD-Mann Geier meint: „Die Verständigung auf neue Eigenmittel für den EU-Haushalt könnte der Königsweg sein, um den Streit um den EU-Haushalt zu lösen.“ Die EU bekäme eine Finanzausstattung, die nicht von der Kassenlage nationaler Finanzminister abhänge. „Und den Finanzministern tut es nicht weh, weil sie nicht auf bestehende Einnahmen verzichten müssen. Wenn es genügend neue Eigenmittel gäbe, könnten die Zuweisungen der Mitgliedstaaten sogar sinken.“
Es gibt es aber auch massive Bedenken: Der Bund der Steuerzahler sagt ein klares „Nein zu einer EU-Steuer“. Damit drohe die Kostenkontrolle durch die Mitgliedstaaten verloren zu gehen, sagt Verbandspräsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. „Die EU-Haushälter müssen mit dem Geld auskommen, das sie von ihren Mitgliedstaaten wie Deutschland erhalten – dieser Disziplinierungseffekt ist richtig und wichtig.“
Plastiksteuer: Deutsche Industrie lehnt Idee ab
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht auf Gegenkurs: „Der BDI lehnt die Idee einer sogenannten Plastiksteuer klar ab“, sagt BDI-Abfallexperte Claas Oehlmann unserer Redaktion. „Sie ist das falsche Instrument und löst auch keine Haushaltsprobleme der EU.“ Kunststoffe steckten in vielen Produkten, oft auch in solchen, die jetzt für den Klimaschutz benötigt würden – von der Gebäudedämmung bis zur Windkraftanlage.
Eine Besteuerung wäre auch mit Blick auf den Klimaschutz kontraproduktiv, fürchtet der BDI. Oehlmann hält die Besteuerung für technisch kaum umsetzbar, sieht ein Problem in den Mitgliedstaaten, die ja die Steuer erheben müssten, warnt aber auch vor einem Datenproblem: „Die nationalen Abfallstatistiken sind oft nicht direkt vergleichbar, es wird zum Teil schöngerechnet. Auf dieser Basis kann man keine Steuer erheben.“
In der Bundesregierung gibt es teilweise ähnliche Bedenken. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat sich vergangenes Jahr klar gegen eine solche Steuer ausgesprochen. Kunden würden murrend an der Kasse ein paar Cent mehr bezahlen, ohne dass dies zu einem Umdenken führe. Man brauche keine neue Steuer, sondern eine intelligentere Steuerung. Auch jetzt bewertet Schulze die Steuer „sehr zurückhaltend“, wie es im Ministerium heißt. Auch dort wird auf die unsichere Datenlage verwiesen.
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Plastiksteuer wird nicht die letzte neue Steuer-Idee der EU sein
In Brüssel wird aber damit gerechnet, dass auch die Bundesregierung am Ende zustimmt, um Bewegung in den Haushaltsstreit zu bringen. Beendet ist der Streit ums Geld damit nicht. Denn für das Parlament ist die Plastiksteuer schon wegen der relativ geringen Einnahmen nur Teil eines größeren Pakets neuer Eigenmittel.
Der Grünen-Haushälter Andresen sagt: „Für uns Grüne ist klar, dass die Plastiksteuer allein nicht ausreicht, um der EU genügend neue Eigenmittel zu beschaffen. Wir kämpfen bei den Verhandlungen dafür, dass auch die Einnahmen aus einer neuen Digitalsteuer und der geplanten Carbon Border Tax in den EU-Haushalt fließen. Die Verhandlungen über den mittelfristigen Finanzrahmen sind dafür eine Chance, weil in dem großen Paket neue Steuern für die EU leichter durchzusetzen sind als sonst bei einzelnen Vorstößen.“
SPD-Mann Geier betont, das EU-Parlament habe eine klare Position: „Wir erwarten, dass bei den Eigenmitteln mehr passiert – sonst werden wir nicht zustimmen. Dabei ist vieles vorstellbar, etwa eine Kerosinabgabe.“ Doch Geier stellt zugleich klar, dass die EU auch künftig keine Steuerhoheit habe, das entsprechende Gesetz müsse von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. „Von neuen EU-Steuern zu reden, wäre also irreführend“, meint Geier.