Berlin. In Berlin suchen Staats- und Regierungschefs einen Weg, um den Bürgerkrieg in Libyen zu beenden. Wir zeigen, was verhandelt wurde.

Für EU-Kommissarin Ursula von der Leyen gab es bei der Begrüßung Küsschen von der Kanzlerin. Russlands Präsident Wladimir Putin bekam einen kräftigen Händedruck, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wollte bereits am roten Teppich seinen Mantel loswerden. Es ging hektisch zu Sonntagmittag vor dem Kanzleramt. Angela Merkel begrüßte rund zwei Stunden gemeinsam mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, die internationalen Gäste. Über ihnen kreisten die Hubschrauber.

Merkel strahlte vor dem Auftakt der Konferenz in die Kameras, sie ging optimistisch in die Gespräche. Im Hintergrund beugten sich zu diesem Zeitpunkt die Unterhändler immer noch fieberhaft über die Abschlusserklärung. Ein Scheitern war nicht ausgeschlossen. Um kurz vor sieben am Abend kam dann die Nachricht des Durchbruchs von Berlin. Im Kanzleramt atmete man auf.

Worauf wurde sich beim Libyen-Gipfel verständigt?

Die Teilnehmer des Berliner Libyen-Gipfels, darunter Russlands Präsident Wladimir Putin, US-Außenminister Mike Pompeo und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, verpflichteten sich zur Einhaltung eines UN-Waffenembargos und zu einem Ende der militärischen Unterstützung für die Konfliktparteien. Zudem sollen internationale Anstrengungen zur Überwachung des Embargos verstärkt werden, heißt es in einer Erklärung von 16 Staaten und Organisationen. Gefordert wird eine umfassende Demobilisierung und Entwaffnung der Milizen. Verletzungen eines Waffenstillstandes sollen sanktioniert werden.

Merkel war nach dem Gipfel sichtlich erleichtert: Übereinstimmung bestehe darin, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gebe und solche Versuche das Leid der Menschen nur vergrößern würden. Man habe erreicht, dass alle Parteien in Verbindung mit dem Konflikt in dem nordafrikanischen Land mit einer Stimme sprechen. Doch die Kanzlerin blieb realistisch. „Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird“, erklärte Merkel.

Berlin am Sonntagnachmittag: Wladimir Putin (4.v.l.), Präsident von Russland, unterhält sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.r., CDU) und Abdel Fattah al-Sisi (2.v.r.), Präsident von Ägypten, bei einem Treffen während der Libyen-Konferenz.
Berlin am Sonntagnachmittag: Wladimir Putin (4.v.l.), Präsident von Russland, unterhält sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.r., CDU) und Abdel Fattah al-Sisi (2.v.r.), Präsident von Ägypten, bei einem Treffen während der Libyen-Konferenz. © dpa | Alexei NikolskySputnik

Wie wurde verhandelt?

Die Abneigung zwischen dem libyschen Premierminister Fajis al-Sarradsch und General Chalifa Haftar stellte das Protokoll vor keine leichte Aufgabe. Beide lehnten es ab, sich im gleichen Raum aufzuhalten. Bevor der eigentliche Gipfel begann, führten Merkel und Außenminister Heiko Maas (SPD) bereits Verhandlungen, jeweils getrennt mit den beiden libyschen Vertretern.

Die beiden libyschen Konfliktparteien waren dann auch bei der eigentlichen Sitzung nicht physisch dabei. Merkel sagte, man habe zu den Lagern, die sich „in Berlin aufgehalten hätten“ stets Kontakt gehalten. Auch der türkische Präsident Erdogan und sein russischer Kollege Putin trafen sich vor dem Gipfel, betonten die Bedeutung einer Waffenruhe. Putin sagte, die Türkei und Russland hätten beide Konfliktseiten erfolgreich dazu aufgerufen, das Feuer einzustellen, und damit schon einen sehr guten Schritt unternommen.

Warum war die Konferenz nötig?

In Libyen herrscht seit dem Sturz und der Tötung des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 Chaos und ein Bürgerkrieg, in den sich zuletzt immer mehr ausländische Akteure und Kämpfer eingeschaltet haben. Im April 2019 eskalierte die Situation mit dem Vormarsch des Rebellengenerals Haftar auf die Hauptstadt Tripolis, in der Ministerpräsident al-Sarradsch das Sagen hat. Haftar kontrolliert inzwischen drei Viertel des Landes und wird von Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt. Die Türkei und Katar zählen zu den wichtigsten Verbündeten al-Sarradschs. Als sich der türkische Präsident Erdogan kurz nach Weihnachten entschloss, Truppen nach Libyen zu entsenden, kam unmittelbar Bewegung in den Prozess.

Warum war Deutschland Gastgeber?

Merkel scheut eigentlich Gipfel dieser Art, da sie ein großes Risiko bedeuten. Im Fall eines Scheiterns ist der internationale außenpolitische Schaden des Vermittlers oft groß. Für Libyen bot sich Deutschland vor allem aus zwei Gründen an: Der Konflikt spielt sich in unmittelbarer europäischer Nachbarschaft ab und geht Europa deswegen ganz besonders an. Außerdem hat sich Deutschland bisher – anders als Frankreich – aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten. Vorbereitet wurde der Gipfel seit Herbst 2019 in ganz enger Abstimmung von Kanzleramt und Auswärtigem Amt.

Was stand für Gastgeberin Merkel auf dem Spiel?

Eine Menge. Für Merkel war es zweifellos eine der wichtigsten Gipfel ihrer Kanzlerschaft, die sich dem Ende zuneigt. Sie hat die Vermittlerrolle in einem der gefährlichsten und kompliziertesten Konflikte übernommen, die es derzeit gibt. Außerdem haben Deutschland und die EU handfeste Interessen: Es geht auch darum, den Zuzug von Flüchtlingen aus Afrika zu begrenzen und islamistischen Terroristen einen neuen Rückzugsraum zu verbauen. Sie kann nun gemeinsam mit ihrem Außenminister Heiko Maas (SPD) einen großen Erfolg verbuchen. Der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, äußerte sich äußerst zufrieden. „Heute war ein großartiger Tag, um uns einen Schub zu geben.“

Wie kann es weitergehen?

Der Plan sieht vor, dass aus der derzeit in Libyen geltenden Waffenruhe ein dauerhafter Waffenstillstand wird. Der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassen Salamé, ruft nun ein sogenanntes 5+5-Militärkomitee von beiden Konfliktparteien ein, um einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln.

Die Kanzlerin sagte zur Entsendung internationaler Beobachter, erst wenn es solch einen dauerhaften Waffenstillstand gebe, „dann könnte man auch eine Überwachung des Waffenstillstands ins Auge fassen“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drang darauf, dass die Europäer sich maßgeblich an der Überwachung beteiligen. Falls es dazu kommen sollte, wäre auch die Bundeswehr gefragt.

Die EU-Außenminister beraten am Montag über die Ergebnisse des Libyen-Gipfels in Berlin. Bundesaußenminister Maas sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wollen die anderen Minister in Brüssel über Details der Einigung des Gipfels informieren. Merkel hob die Einigkeit der Europäer bei den Verhandlungen hervor. Auch Europa habe zu dem Durchbruch beigetragen, man habe mit einer Stimme gesprochen, was nicht immer der Fall gewesen sei. Die Bundeskanzlerin habe das Gefühl, dass die Europäer näher beieinander seien als noch vor zwei Jahren.