Dresden. Die Afrikanische Schweinepest ist hochansteckend, meist tödlich – und kurz vor der deutschen Grenze. Wie Behörden sie abwehren wollen.
Zuerst wird die Zange hinter den Ohren angesetzt. Acht Sekunden Strom, direkt durchs Gehirn, erklärt der Mann mit der schwarzen Windjacke, dann ist das Schwein betäubt. Dann, wenn das Tier umgekippt ist, wird die Zange neu angesetzt, ein Ende auf die Brust, das andere zwischen die Schulterblätter. Noch einmal acht Sekunden Strom, dieses Mal durchs Herz. Dann ist das Schwein tot.
Das Schwein, das da zur Demonstration dienen muss, ist weiß und aus Plastik, bunte Klebestreifen markieren die Position der Zange. Strom fließt an diesem Tag keiner. Im Ernstfall, sagt der Mann mit der Windjacke, gehe das alles sehr schnell. Dann wäre ein Betrieb, wie der, bei dem diese Vorführung stattfindet, an einem Nachmittag geräumt, alle Tiere tot und abtransportiert.
Schweinepest – das Wichtigste in Kürze:
- Für Wild- und Hausschweine ist die Infektion meist tödlich, für Menschen ist der Erreger ungefährlich
- Am schlimmsten grassiert die Afrikanische Schweinepest derzeit in Asien und Osteuropa
- In Deutschland ist anders als etwa in Polen und Belgien noch kein ASP-Fall bekannt
Afrikanische Schweinepest: Was passiert, wenn Zuchtschweine befallen sind
Der Ernstfall heißt Afrikanische Schweinepest. Eine hochansteckende, nahezu immer tödliche Tierseuche, die nur noch wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt ist, und damit von den deutschen Schweineställen. Dass sie dort ankommt, wollen Schweinebauern und Behörden unbedingt verhindern.
Deswegen stapfen an einem Dezembertag eine sächsische Staatssekretärin, Behördenmitarbeiter aus anderen Bundesländern, Mitarbeiter des Veterinäramts und des Technischen Hilfswerks sowie zahlreiche Journalisten über das Gelände der Ferkelzucht von Schweinebauer Martin Tigchelaar. Es ist Tag vier einer viertägigen Übung im Freistaat.
Der Mann mit der Windjacke, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, leitet ein niedersächsisches Unternehmen zur Bekämpfung von Tierseuchen, mit dem die sächsische Landesregierung zusammenarbeitet. Seine Aufgabe ist es, Teilnehmern und Beobachtern zu zeigen, was passiert, wenn das Virus, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz, einen Hausschweinbestand erreicht hat. Wie ein Bestand getötet wird und entsorgt, in der Hoffnung, dass es nicht auch noch den nächsten erwischt.
Schweinepest nur noch 21 Kilometer vor der deutschen Grenze
Auf Bundesebene und in vielen deutschen Bundesländern haben in den vergangenen Jahren solche Übungen stattgefunden, vor allem im Osten. Denn die Seuche kommt immer näher. Ursprünglich vom afrikanischen Kontinent, tauchten 2007 die ersten Fälle in Georgien und Russland auf.
Von da wanderte die Krankheit nach Osten, Richtung Asien, aber auch nach Norden und Westen: Weißrussland, die Ukraine, die baltischen Staaten. Polen dokumentierte die ersten Fälle 2014. Im Dezember dieses Jahres meldete das Nachbarland einen Fall außerhalb der bisher betroffenen Zone, 40 Kilometer vor der deutschen Grenze. Anfang Januar sind es nur noch 21 Kilometer.
Landwirte und Seuchenbehörden sind alarmiert, das zuständige Friedrich-Löffler-Institut hat seine Risikobewertung aktualisiert – das Risiko, dass Wildschweine die Krankheit nach Deutschland tragen, bewerten die Experten jetzt als „hoch“. Die Afrikanische Schweinepest ist für Menschen nicht gefährlich, auch nicht für andere Tiere.
Für Wild- und Hausschweine aber ist sie tödlich, in 90 Prozent aller Fälle, erklärt Sandra Blome, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Krankheit am Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit. Die Tiere verenden qualvoll, mit hohem Fieber, Lungenödemen, Blutungen und zum Teil Krampfanfällen. „Am Ende sterben die Tiere an Organversagen“, sagt Blome. Funktionierende Impfstoffe oder Medikamente gibt es keine.
Afrikanische Schweinepest: Größte Gefahr ist der Mensch
Übertragen wird die Krankheit über das Blut der infizierten Tiere. Schon winzige Mengen reichen, um das Virus weiterzugeben. Zum Teil verbreitet es sich über schwer zu kontrollierende Wildschwein-Populationen, weshalb in Sachsen auch das Finden toter Tiere mit Drohnen und Hunden geprobt wurde.
Doch die größte Gefahrenquelle ist der Mensch: Ein Wurstbrötchen mit Fleisch von einem infizierten Tier, achtlos an einer Autobahnraststätte entsorgt und von einem Wildschwein gefunden, kann reichen, die Krankheit weiterzutragen.
Das Bundesministerium für Landwirtschaft hat deshalb schon 2017 eine Aufklärungskampagne begonnen, unter anderem mit mehrsprachigen Handzettel, die eindringlich bitten, Speisereste nur in geschlossene Mülleimer zu werfen. Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) appellierte in einem Schreiben aus dem Dezember an ihre Kollegen aus den Ländern, verstärkt Wildschweine jagen zu lassen.
Brandenburg hat mit dem Bau von mobilen Zäunen an der Grenze zu Polen begonnen, im Saarland bildet man eigens Suchhunde aus, die infizierte Wildschweinkadaver aufspüren sollen. Die Schweinepest rückt immer näher an Deutschland heran.
Sicheren Schutz gegen die Tierseuche gibt es nicht
Eine Garantie, dass die Krankheit aus den Ställen herausgehalten werden kann, ist all das nicht. Weshalb eben der Mann in der Windjacke auf diesem Hof am äußersten Ortsrand Dresdens steht und erklärt, wie man schnell und effizient viele Schweine tötet. Ein sehr kurzer Prozess sei das für das Tier, „auf jeden Fall schöner, als noch 100 Kilometer zum Schlachthof gefahren zu werden“.
Hinter ihm und der Traube aus Zuschauern, die sich um das todgeweihte Plastikschwein gebildet hat, ducken sich altersgraue Flachbauten mit blinden Fenstern in die Landschaft. Dass hier 1800 Ferkel leben, hört und sieht man nicht. Nur wenn der Wind dreht, ahnt man, dass sie da sein müssen.
Bei Ferkeln, sagt der Mann von der Seuchenbekämpfungsfirma, würde die Zange gar nicht zum Einsatz kommen. Die würden nicht einzeln mit Strom getötet. Sie passen stattdessen gut in metallene Verladeboxen, und die wiederum passen gestapelt gut in einen hermetisch verschließbaren Container.
In dem würden die Ferkel dann vergast, das dauert ein bisschen, etwa 20 Minuten pro Container. In einem ebenso hermetisch abgeriegelten Behälter geht es dann vom Hof, in Richtung Tierkörperverwertungsanlage. Der Lkw würde vor dem Verlassen des Hofes noch einmal bis in die letzte Reifen-Rille desinfiziert. Nur nichts weitertragen.
Für viele Schweinehalter wäre ein Ausbruch eine wirtschaftliche Katastrophe
Die Ferkelaufzucht gehört zum Betrieb von Marten Tigchelaar. Der 39-Jährige, der mit der randlosen Brille und den zurückgekämmten Haaren aussieht, als wäre er auch hinter einem Schreibtisch gut aufgehoben, ist Schweinehalter in der dritten Generation. Mehrere tausend Tiere hat er an fünf Standorten im Freistaat, alle verwundbar, wenn die Krankheit nach Deutschland kommt. „Die Angst ist jeden Tag da“, sagt er.
Allerdings: Schlimmer noch als ein Fall in einem seiner Ställe wäre ein Ausbruch bei einem seiner Nachbarn. Denn für den Verlust eines Bestands, der getötet werden muss, kommt die Tierseuchenkasse auf. Doch für die Nachbarbetriebe würde es nichts geben – obwohl diese ihre Tiere auch nicht mehr verkaufen könnten. „Der Schaden ginge in die Millionen“, sagt Tigchelaar.
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Doch nicht nur für ihn und seine Nachbarn wäre ein Ausbruch eine wirtschaftliche Katastrophe. Schon ein einziger Fall würde reichen, um einen Exportstopp in Länder außerhalb der EU auszulösen – auch nach China. Einer der wichtigsten Märkte für deutsche Schweinehalter wäre damit weg.
Afrikanische Schweinepest: Bisher profitieren deutsche Bauern
Ausgerechnet dort profitieren deutsche Schweineproduzenten bisher von der Seuche. Denn die grassiert längst auch in der Volksrepublik, 40 Prozent des Bestands sind dort laut Fachmedien verloren gegangen. Das Land deckt seinen Bedarf an Schweinefleisch deshalb zunehmend über Importe – unter anderem aus Deutschland.
Im Vergleich zu 2018 hat das Land in den ersten drei Quartalen 2019 rund 25 Prozent mehr Schweinefleisch aus der Bundesrepublik importiert. Für deutsche Schweinehalter bedeutet das Preise, die so hoch liegen wie seit 2001 nicht mehr. Auch hier werden deshalb Schnitzel teurer.
Damit wäre Schluss, wenn es die Afrikanische Schweinepest nach Deutschland schafft. Das Landwirtschaftsministerium versucht deshalb, Peking zu überzeugen, die Anforderungen für Importe ins Land zu lockern, so dass zum Beispiel Fleisch aus nicht betroffenen Gebieten weiterhin verkauft werden könnte. Bislang ohne Erfolg. Immerhin, in EU-Länder könnte weiterhin exportiert werden.
Diese könnten dann China beliefern und selbst Fleisch aus Deutschland kaufen, hofft man im Ministerium. Mehr noch aber hofft man, die Krankheit schnell in den Griff zu bekommen, sollte sie Deutschland erreichen. Dass es möglich ist, zeigt Tschechien. Dort war die Seuche 2017 bei Wildschweinen festgestellt worden. Das Land handelte zügig: Isolierte das betroffene Gebiet mit Zäunen, durchkämmte den Wald nach infizierten Kadavern, schickte Scharfschützen auf die Jagd. Seit Februar 2019 gilt Tschechien als frei von der Afrikanischen Schweinepest.