Berlin. Absolute Mehrheit im Unterhaus: Was bedeutet der Wahl-Triumph von Johnsons Konservativen für den Brexit? Die wichtigsten Antworten.
Der triumphale Wahlsieg der Konservativen mit Premierminister Boris Johnson hat viele überrascht. Wie stark ist „King Boris“? Wie hart wird jetzt der Brexit? Und wie heftig leidet die Wirtschaft? Die wichtigsten Fragen und Antworten nach der Wahl im Vereinigten Königreich.
Großbritannien-Wahl: Wie viel Macht hat Boris Johnson jetzt?
Johnson hat eine satte absolute Mehrheit – ähnlich wie die neoliberale konservative Premierministerin Margaret Thatcher in den 80er-Jahren. Er muss keine Rücksicht mehr nehmen auf den bisherigen nordirischen Koalitionspartner DUP und auch nicht auf die ultraradikalen Brexit-Befürworter. Er kann praktisch durchregieren.
- Großbritannien-Wahl: Absolute Mehrheit für die Konservativen – die Entwicklungen im Newsblog
Ist der Austritt Großbritanniens aus der EU damit besiegelt?
Ja. Johnson hat bereits angekündigt, dass er noch vor Weihnachten den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal durchs Parlament bringen will. Mit seiner überwältigenden absoluten Mehrheit ist das kein Problem.
Am 31. Januar 2020 tritt Großbritannien damit offiziell aus der EU aus. Aber bis zum 31.12.2020 gilt eine Übergangsphase. Die Briten sind dann nicht mehr Mitglied der EU, aber sie müssen sich an die EU-Regeln halten.
Im neuen Jahr beginnt jedoch die nächste große Herausforderung. Bis zum 31.12.2020 müssen Großbritannien und die EU ein Freihandelsabkommen auf den Tisch legen. Gelingt dies nicht, gäbe es ab dem 1.1.2021 einen Chaos-Brexit. Es würden dann die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gelten – mit Zöllen und anderen Beschränkungen. Ein Schlupfloch wäre die Verlängerung der Übergangsphase um ein weiteres Jahr. Das aber hat Johnson bereits abgelehnt.
Wie hart wird der Brexit ausfallen?
Das hängt davon ab, ob Großbritannien und die EU es schaffen, bis zum 31.12.2020 ein Freihandelsabkommen auszutüfteln. Nach Einschätzung von Experten dauert die Fertigstellung eines Handelsvertrags im Schnitt vier bis fünf Jahre. Die Gefahr eines schmutzigen Brexits ist daher nach wie vor da.
Welche wirtschaftlichen Folgen hat der Brexit?
Die gute Nachricht ist: Die Unsicherheit ist erst einmal vorbei. Unternehmen und Börsen hassen es, wenn die Zukunft im Nebel liegt. Das ist auch der Grund, weshalb das Britische Pfund schon am Wahlabend gegenüber dem Euro viel teurer geworden ist. Ein starkes Pfund aber bedeutet für die britische Wirtschaft, dass der Außenhandel schwieriger wird, weil britische Waren teurer werden.
Der Wahlausgang ermöglicht nun klare Entscheidungen. Unternehmen, die überlegt haben, ihre Produktion aus Großbritannien zu verlagern, können dies tun – wenn sie nicht schon längst weggezogen sind. Viel hängt davon ab, wie die künftigen Handelsbeziehungen organisiert werden, also wie schnell sich Boris Johnson und die EU über ein neues Handelsabkommen einig werden. Das Problem: Einerseits wollen die Briten ein möglichst weitreichendes Freihandelsabkommen. Andererseits wollen sie nicht mehr den Regeln der EU unterworfen sein, was etwa Umweltstandards oder Subventionen angeht. Beides erschwert ein Handelsabkommen.
Trifft der Brexit Deutschland besonders?
Der Handel zwischen Großbritannien und Deutschland liegt schon jetzt am Boden. Der deutsch-britische Handel brach von April bis August 2019 um nominal 9,2 Prozent ein. Das Königreich ist inzwischen in der Rangfolge der deutschen Handelspartner von Platz fünf im Jahr 2016 auf nur noch Platz 13 abgerutscht und liegt damit in der Bedeutung hinter Polen.
Vor allem die Exporte aus Großbritannien nach Deutschland sind stark gesunken. Umgekehrt bleiben deutsche Autos zwar mit einem Anteil von über 20 Prozent das wichtigste britische Importgut aus Deutschland. Doch in den ersten acht Monaten 2019 gingen die entsprechenden Exporte nominal um knapp 10 Prozent, seit April 2019 sogar um rund 14 Prozent zurück.
Tritt Schottland aus dem Vereinigten Königreich aus?
Die Wahrscheinlichkeit ist zumindest höher geworden. Die Schottische Nationalpartei (SNP) hat in Schottland eine überwältigende absolute Mehrheit erzielt. Regierungschefin Nicola Sturgeon will daher ein neues Unabhängigkeitsreferendum in die Wege leiten. 2014 ist dieses Unterfangen knapp gescheitert.
Der Haken an der Sache: Eine Volksabstimmung muss von der britischen Regierung in London genehmigt werden. Johnson hat das bisher abgelehnt. Doch wenn der öffentliche Druck in Schottland dramatisch ansteigt, wird er sich dem nicht entziehen können. Das Szenario eines „Klein-Britanniens“ nach dem Brexit ist also durchaus real.
Können die Schotten einfach in der EU bleiben?
Nein. Schottland ist Teil des Vereinigten Königreichs. Der Brexit gilt also auch für die Schotten. Nur eine absolute Mehrheit für die Unabhängigkeit in einem Referendum würde die Sachlage ändern.
Was wird aus dem unterlegenen Labour-Chef Jeremy Corbyn?
Es gab Zeiten, da wurde Jeremy Corbyn auf Festival-Bühnen mit Sprechchören gefeiert. Das ist vorbei: Der Labour-Chef, seit 2017 im Amt, hat seine Partei in eine der schwersten Niederlagen in ihrer Geschichte geführt.
Neben einer unklaren Position der Partei zum Brexit machen Analysten dafür vor allem Corbyn verantwortlich. Corbyn und sein radikal linker Kurs waren von Anfang an umstritten, dazu kamen Vorwürfe, nicht ausreichend schnell und deutlich auf antisemitische Äußerungen in der Partei zu reagieren.
Grund für einen sofortigen Rücktritt ist das für Corbyn aber offenbar nicht: Er wolle für eine Übergangszeit Parteichef bleiben, erklärte der 70-Jährige. Wie lang diese gehen soll, ist unklar. In eine weitere Wahl will er seine Partei aber nicht führen.