Istanbul. Die Abschiebungen aus der Türkei lenken den Blick auf ein lange Zeit verdrängtes Sicherheitsrisiko. Wie gefährlich sind IS-Rückkehrer?

Der Airbus A321 von Turkish Airlines sollte am Freitag planmäßig um 22.05 Uhr auf dem Flughafen Frankfurt landen. Zwei Passagiere wurden in Terminal 1 besonders erwartet: zwei Frauen mit Bezug zur Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Die Türkei hielt sie für gefährlich – und deshalb in Gewahrsam. In Deutschland kommen sie auf freien Fuß. Denn gegen sie liegen keine Haftbefehle vor.

Ähnlich wie bei der siebenköpfigen Familie, die am Vortag abgeschoben und in Berlin angekommen war. Lediglich der Vater der Familie wurde am Freitag verhaftet – „aufgrund eines bestehenden Haftbefehls“, hieß es seitens der Berliner Senatsverwaltung für Inneres. Der Mann sitze derzeit noch in einer Berliner Haftanstalt und werde „zeitnah“ nach Niedersachsen gebracht. Weshalb ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, wurde nicht mitgeteilt.

Die Sicherheitsbehörden sind weit davon entfernt, Entwarnung zu geben. Die Rückkehrer treiben sie mehr denn je um. Zum einen sitzen in der Türkei elf weitere Deutsche in Abschiebegewahrsam. Zum anderen werden IS-Anhänger in den Kampfgebieten in Syrien und im Nordirak vermutet, teils inhaftiert, teils unerkannt in Flüchtlingscamps.

Obendrein hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vor einer Woche entschieden, dass die Bundesregierung eine IS-Anhängerin mit zwei Kindern zurückholen muss. Ein Urteil mit Signalwirkung, das Unruhe auslöste. Es gibt für solche Fälle kein geordnetes Verfahren.

Türkei ermöglicht eine kontrollierte Rückkehr

Die zwei Frauen, die am Freitag erwartet wurden, sollen mit IS-Kämpfern verheiratet sein. Eine floh aus dem Flüchtlingscamp Ain Issa, die andere soll aus dem von Kurden bewachten Gefangenenlager Al-Hol ausgebrochen sein. Gegen eine Frau ermittelt der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Da sie Deutsche sind, werden sie nicht zurückgewiesen. Eine von ihnen hat Kinder, die in der Krisenregion geboren sind. In solchen Fällen prüft man vor Ort mit einem DNA-Abgleich, ob die Frau die leibliche Mutter ist und die Kinder somit auch Deutsche sind und ebenfalls nicht abgewiesen werden dürfen.

Die siebenköpfige Familie, die am Donnerstag nach Berlin flog, war im Januar von Hildesheim in die Türkei ausgereist und im März verhaftet worden. Das jüngste der fünf Kinder kam bereits im Gefängnis zur Welt. Nichts spricht dafür, dass sie in Syrien waren oder dorthin wollten. Ein plausibleres Ziel wäre der Irak gewesen. Schließlich stammt die Familie von dort. In der Türkei lehnte sie jede Betreuung durch deutsche Diplomaten ab und machte keine Angaben.

Die Gefahr von Rückkehrern hat die Politik bewusst verdrängt

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    Angaben von Rückkehrern sind schwer zu überprüfen

    Bislang fehlt jeder IS-Bezug. Aber in Hildesheim wurde die Familie salafistischen Kreisen zugerechnet. Generell gilt: Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder islamische Extremist hat als Salafist angefangen. Man kann davon ausgehen, dass die Rückkehrer auf dem Radarschirm von Polizei und Geheimdiensten bleiben.

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    Insbesondere um die Kinder werden sich auch ganz andere Behörden kümmern. Seit 2012 unterhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Beratungsstelle „Radikalisierung“. 13 Experten bemühen sich in jedem Fall darum, Jugendämter, Schulen und Polizei an einen Tisch zu bringen, um die Deradikalisierung und Integration zu forcieren.

    Der CDU-Innenexperte Armin Schuster würde die Familie nach eigenen Worten zwar „nicht als ungefährlich bezeichnen“, aber es handele sich auch nicht um „hochkarätig schwerwiegende Fälle“. Andererseits: Es ist schwer, Angaben von Rückkehrern zu überprüfen und damit auch, welche Gefahr von ihnen ausgeht.

    28 Gefährder sind unter potenziellen Rückkehrern

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht ernst: Jetzt wurden erstmals Mitglieder aus dem salafistischen Milieu nach Deutschland abgeschoben.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht ernst: Jetzt wurden erstmals Mitglieder aus dem salafistischen Milieu nach Deutschland abgeschoben. © Getty Images | LASZLO BALOGH

    Insgesamt sind mehr als 130 aus Deutschland ausgereiste IS-Anhänger in der Türkei, Syrien und dem Irak. 95 davon haben einen deutschen Pass. Gegen 33 laufen Verfahren beim Generalbundesanwalt. Unter den potenziellen Rückkehrern sind auch 28 „Gefährder“ und 22 „relevante Personen“. Diese Einordnung treffen die Landeskriminalämter.

    Der Albtraum für jeden Innenminister ist, dass jemand nicht aus dem Verkehr gezogen oder aus den Augen verloren wird, der sich hinterher als Terrorist entpuppt. „Wir werden alles tun, um zu verhindern, dass Rückkehrer mit Verbindungen zum IS zu einer Gefahr in Deutschland werden“, versprach Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Anfang der Woche. Da hatte die Türkei gerade einen Deutschen ausgewiesen, der indes keinen Bezug zum IS hatte.

    Wer ausgewiesen wird, liegt im Ermessen der Türken. Kampferprobte Männer stehen nicht auf ihrer „Liste“. Unwahrscheinlich ist etwa, dass sie Benjamin Xu aus Berlin abschieben, der wegen des Todes eines türkischen Polizisten zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Dort wird der 29-Jährige wohl nie freikommen. In Deutschland kann die Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden – die Türken wissen das.