Berlin. Nach tödlichen Schüssen in Halle sind die Hintergründe noch nicht geklärt. Doch es steht schon fest: Es müssen Grenzen gesetzt werden.
Nach den tödlichen Schüssen von Halle sind die Hintergründe der Tat noch unklar. Vorschnelle Verdächtigungen und Schuldzuweisungen verbieten sich. Doch wie auch immer die schrecklichen Motive hinter dem Anschlag am Ende aussehen mögen: Es ist ein Weckruf für diese Republik.
Dennoch gibt es Indizien, die in eine bestimmte Richtung weisen. Die Tat ereignete sich am Versöhnungsfest Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Eine Frau wurde gegenüber der Synagoge in Halle erschossen. Nach Angaben des Vorsitzenden der örtlichen Jüdischen Gemeinde wollte ein Täter in das Gotteshaus eindringen, in dem sich 70 bis 80 Gläubige versammelt hatten.
Doch die Eingangstür hielt glücklicherweise stand. Man will sich nicht ausmalen, was hier hätte passieren können. Darüber hinaus sollen Gegenstände – möglicherweise explosives Material – über die Mauer des Jüdischen Friedhofs geworfen worden sein.
Nach Schießerei in Halle: Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen
Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt in Karlsruhe die Ermittlungen übernommen. Es handelte sich um „die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffende Gewaltdelikte“, sagte eine Sprecherin. Zudem gebe es ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat.
Antisemitismus ist jedenfalls ein wesentlicher Bestandteil der ideologischen Irrungen des Rechtsextremismus. 74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat die zahl der Angriffe auf jüdisches Leben in Deutschland erschreckenderweise zugenommen.
Friedhöfe werden geschändet, Rabbiner angespuckt, Träger der Kippa – die Kopfbedeckung männlicher Juden – attackiert. „Die Hemmschwellen sind gesunken. Die allgemeine Verrohung, die in der Gesellschaft festzustellen ist, wirkt sich auch auf die jüdische Gemeinschaft aus“, sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein.
Nicht nur die sprachliche, auch die physische Gewalt im Land hat sich erhöht. Behörden warnen in letzter Zeit, dass Rechtsextreme – egal, ob es sich um Neonazis oder Reichsbürger handelt – verstärkt Waffen horten. Sie beschaffen sich das Gerät legal oder illegal, zum Beispiel in den finsteren Winkeln des Darknets im Internet.
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Unabhängig vom Motiv in Halle: Es müssen neue Dämme errichtet werden
Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Rechtsextremist Stephan E., hatte ein ganzes Arsenal in einem Erddepot gelagert. Sein mutmaßlicher Komplize Markus H. verfügte über eine Waffenbesitzkarte samt Munitionsberechtigung.
Unabhängig von den genauen Hintergründen der Tat von Halle: Es müssen neue Dämme errichtet werden. Wenn die offene Gewalt von Extremisten zunimmt, sind strengere Kontrollen ein Gebot der Stunde. Der Zugang zu Waffen sollte stärker reglementiert werden. Man muss genauer hinschauen, wer sich Pistolen und Gewehre beschaffen will. Als kurzfristige Maßnahme nach Halle müssen jüdische Einrichtungen in Deutschland besser geschützt werden. Synagogen dürfen keine bevorzugten Ziele von extremistischen Killern werden.
Lange Zeit hatten sich die deutschen Sicherheitsdienste auf den islamistischen Terror fokussiert. Das hatte bis zu einem gewissen Grad seine Berechtigung. Doch die rechtsextremistische Szene und ihre Verästelungen im Untergrund waren dadurch etwas aus dem Blickfeld geraten. Das muss sich ändern.
Halle zeigt: Der Staat muss wehrhaft sein. Er hat Gegner, die es darauf anlegen, ihn massiv zu beschädigen. Wegschauen und Halbherzigkeit sind das falsche Signal. Hierzu bedarf es aber einer Gesellschaft, die wachsam ist. Also: keine Toleranz bei Leuten, die mit verbaler oder physischer Gewalt sympathisieren.