Washington/Berlin. Donald Trump macht den Weg frei für einen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien - und stößt damit in der eigenen Partei auf Empörung.
Der Mann, den sie in Washington „Schildkröte” nennen, weil er alles mit Bedacht und penetranter Emotionslosigkeit tut, war bislang der wirkungsvollste Bodyguard von Donald Trump: Mitch McConnell. Als Mehrheitsführer der Republikaner im Senat wehrte der 77-Jährige alle Attacken auf den Präsidenten ab.
Auch im wegen der Ukraine-Affäre beginnenden Amtsenthebungsverfahren sicherte der Senator aus Kentucky dem Mann im Weißen Haus seine Dienste als parlamentarische Panzerfaust gegen die Demokraten zu.
Umso schwerer wiegt McConnells Botschaft im Zusammenhang mit der auch in konservativen Kreisen flächendeckend als „falsch”, „verwerflich” und „katastrophal” bezeichneten Entscheidung Trumps, die Kurden in Nordsyrien den militärischen Rache-Planspielen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan preiszugeben.
Selbst rechtspopulistische Medien rügen den Präsidenten
Befreit man McConnells Wortmeldungen, die den ungewöhnlich massiven Unmut der kompletten Parteispitze bündeln, von Ballast, sieht sich Trump einer knallharten Forderung ausgesetzt: Er soll seinen nach einem Telefonat mit Erdogan am Sonntag Hals über Kopf getroffenen Beschluss umgehend revidieren, die US-Soldaten als Schutzpuffer zwischen Kurden und Türken abzuziehen.
Begründung: Ein Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien (rund 1000 Kräfte) schwäche Amerikas Sicherheit. Er begünstige ein Wiedererstarken des Terror-Netzwerks „Islamischer Staat”, lasse die im Kampf gegen den IS unverzichtbar gewesenen kurdischen Milizen im Stich und dokumentiere Führungsversagen, das an Trumps Erzfeind erinnere: Vorgänger Barack Obama.
Entlang dieser Linie argumentieren auch rechtspopulistische Medien, die Trump sonst täglich mit Propaganda zur Seite springen. Breitbart, das einst dem früheren Trump-Berater Steve Bannon gehörte, warf Trump vor, den Kurden das Messer in den Rücken zu rammen. „Fox & Friends”, wochentags mediales Frühstück für den Präsidenten, nannte den Schritt „völlig falsch”.
Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, die für den angeschlagenen Trump einen enormen Gesichtsverlust bedeutet, zeigte der in Hinterzimmerpolitik versierte McConnell kurz seine Folterwerkzeuge. Als Trump Ende 2018 zum ersten Mal in einem Anflug von Alleinherrschertum den Abzug der damals 2000 US-Soldaten aus Syrien verkündet hatte, schlug der Senat mit einem überparteilichen 68-Stimmen-Votum zurück. Genug, um ein präsidiales Veto zu neutralisieren. Verteidigungsminister James Mattis trat wegen des Trump-Vorstoßes zurück.
Donald Trump steht in den USA unter Druck
Der Präsident knickte später ein, lobte über Monate die Kurden und warnte Erdogan vor einem Feldzug gegen die in Ankara unter Terrorverdacht stehende Volksgruppe. „Die Bedingungen, die damals zu dem Abstimmungsergebnis führten”, warnte McConnell unverhohlen, „existieren auch heute noch.”
Sich mit Mitch McConnell anzulegen, könnte Trump politisch das Genick brechen. Entzöge der Senator dem Präsidenten die Unterstützung, könnten im Amtsenthebungsverfahren, das nach einer aktuellen Umfrage inzwischen von 58 Prozent der Amerikaner unterstützt wird, schnell die Dämme brechen.
Mit den Senatoren Romney, Rubio, Graham und Toomey haben sich republikanische Schwergewichte vehement gegen Trumps Rückzugsentscheidung ausgesprochen und sich dabei hinter der Brachial-Kritik von Nikki Haley versammelt. Trumps ehemalige Botschafterin bei den Vereinten Nationen sagte: „Die Kurden zum Sterben zurückzulassen, ist ein großer Fehler.” Sollte Trumps Entscheidung Bestand haben, werde Amerika weltweit als „unzuverlässiger Alliierter“ betrachtet, den man bei künftigen Missionen tunlichst meide.
Das Weiße Haus, in dem selbst enge Berater von Trump ohne Konsultation vor vollendete Tatsache gestellt wurden, erkannte die Gefahr und schaltete auf Schadensbegrenzung um. Der Präsident habe Erdogan keinesfalls „grünes Licht” gegeben, um nach einem Einmarsch in Nordsyrien ein Massaker unter den Kurden anzurichten, so ein Emissär. Auch gehe es nicht um einen kompletten Abzug der US-Truppen, es würden maximal 100 Soldaten aus der geplanten türkischen Pufferzone entlang der syrischen Grenze neu verteilt.
Zweifel an der geistigen Verfassung Trumps
Als Beleg für die angeblich nach wie vor kurdenfreundliche Haltung Trumps führte der Regierungsbeamte eine Twitter-Drohung an, die in Washington ernste Zweifel an der geistigen Verfassung des Präsidenten ausgelöst hat: „Wenn die Türkei irgendetwas unternimmt, was ich in meiner großartigen und unvergleichlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständig zerstören und auslöschen“, schrieb Trump.
Erwartungsgemäß fiel der Konter aus Ankara aus. „Unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft ist klar – die Türkei ist kein Land, das sich von Drohungen bewegen lässt”, sagt Vizepräsident Fuat Oktay. Die Regierungen in Syrien und im Iran warnten Ankara vor einer Invasion.
Auch in Deutschland wächst die Kritik. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth (Grüne), appellierte an die Bundesregierung, einen Einmarsch der türkischen Armee in Syrien abzuwenden. Eine solche Offensive wäre völkerrechtswidrig, sagte Roth unserer Redaktion. „Die deutsche Bundesregierung ist aufgefordert, sich auf diplomatischem Wege und im europäischen Verbund aktiv dafür einzusetzen, dass der brandgefährliche Waffengang der Türkei noch verhindert wird.“
111 Islamisten aus Deutschland sitzen in kurdischen Lagern
Sollte Ankara dennoch eine Militäraktion in Nordsyrien starten, würde dies zu einer neuen innenpolitischen Debatte in Deutschland führen. Die Kernfrage: Was tun mit den IS-Häftlingen? Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sitzen in den kurdischen Lagern in Nordsyrien 111 Islamisten, die aus Deutschland in das Kriegsgebiet ausgereist sind. Zwei Drittel davon sind Frauen.
Experten gehen davon aus, dass die Kurden-Miliz YPG ihre Verbände im Kampf gegen türkische Truppen konzentrieren würde. Die Gefängnisse mit IS-Insassen wären weitgehend sich selbst überlassen. Die Bundesregierung holt die Häftlinge und Kinder derzeit nicht aus eigener Initiative zurück. Der Meinungsbildungsprozess in der großen Koalition sei noch nicht abgeschlossen, heißt es.