Berlin. Unionsfraktionschef Brinkhaus geht auf Distanz zu Seehofers Seenot-Initiative. Man dürfe Schlepper nicht ermutigen, mehr zu machen.

Es sind turbulente Wochen für Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der Unionsfraktion, nicht nur wegen des umstrittenen Klimapakets der großen Koalition. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der CDU-Politiker, der Volker Kauder an der Spitze der Unionsfraktion abgelöst hat, wie groß seine Sehnsucht nach einem Bündnis mit den Grünen ist.

Im Westen sind die Grünen auf dem Weg zur stärksten Kraft, im Osten ist es die AfD. Die Union verliert auf breiter Front. Tut Ihnen die große Koalition nicht gut, Herr Brinkhaus?

Ralph Brinkhaus: Wir haben Regierungsverantwortung übernommen, und wir arbeiten so, wie es die Mehrheitsverhältnisse hergeben. Dieses Land muss geführt und zusammengehalten werden. Es ist nicht die Frage, ob das unserer Partei guttut. Denn für uns gilt: erst das Land und dann die Partei.

Mir bereitet eine andere Entwicklung mehr Sorgen. Wir haben eine Tendenz zu Spartenparteien, die sehr unversöhnlich darum kämpfen, dass genau die Interessen ihres Klientels bedient werden. Das tut Deutschland nicht gut. Die Union hat als Volkspartei den Anspruch, das ganze Land zusammenzuhalten.

Sind die Grünen eine Spartenpartei?

Sie werden jedenfalls die Frage beantworten müssen, ob sie tatsächlich die Breite der Bevölkerung vertreten wollen: Land und Stadt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Junge und Alte. Das zeigt gerade der Streit um das Klimapaket. Die Union sagt: Ja, wir machen das, aber wir wollen die Menschen – auch die kritischen – mitnehmen.

Wir arbeiten eben nicht nach dem Motto: Wenn die Menschen nicht kapieren, was wir wollen, dann geben wir ihnen Verbote und hohe Preise. Und das aus gutem Grund: Wenn wir es falsch machen, dann wird die Klimafrage das Land genauso spalten wie die Migrationsfrage. Und wir brauchen keinen Migrationsstreit 2.0.

Sie brauchen jedenfalls die Zustimmung der Grünen im Bundesrat. Sind Sie bereit, das Regierungsprogramm zum Klimaschutz zu verschärfen?

Mich würde erst einmal interessieren, was die Grünen überhaupt wollen. Da wird auf einer Flughöhe von 10.000 Metern gesagt, es muss teurer werden und wir wollen verbieten. Alle Kritiker müssen jetzt ganz konkret auf den Tisch legen: Was soll bis wann wie teuer werden? Was wollen sie den Menschen verbieten?

Das Echo auf die Koalitionspläne ist vernichtend – und das nicht nur bei den Grünen. Wo bessern Sie nach?

Einspruch! Es gibt auch Zustimmung. Und das, was wirklich massiv kritisiert wurde, ist nicht der Zertifikatehandel, sind nicht die fast 60 Einzelmaßnahmen, ist nicht das Monitoring-System. Es ist der Einstiegspreis von zehn Euro für den Handel mit CO2-Zertifikaten. Darauf kann man das Klimapaket aber nun wirklich nicht reduzieren.

Ist der CO2-Preis für Sie verhandelbar?

Wir brauchen für das Klimapaket eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Denn in den Grundzügen – Zertifikatehandel, Mengensteuerung, Anreize – muss es unabhängig von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen die nächsten Jahrzehnte Bestand haben, sonst wirkt es nicht. Wir werden daher für unser Konzept werben, aber nicht nach dem Prinzip „Friss oder stirb“. Auf der anderen Seite erwarte ich von denen, die das jetzt kritisieren, dass sie sich auch bewegen und nicht die reine Lehre vertreten.

Was sagen Sie Wählern, die den CO2-Preis für eine verdeckte Steuererhöhung halten – und Wortbruch wittern bei der Union?

Es ist ein großer Unterschied, ob ich Mechanismen einführe zur CO2-Bepreisung oder ob ich das mit Steuern mache, um den Haushalt zu verstärken. Das Geld, das ich einnehme, investiere ich in Anreize zum Klimaschutz oder gebe es an anderer Stelle wieder zurück – etwa über eine höhere Pendlerpauschale …

… die von den Grünen ebenfalls abgelehnt wird.

Nicht unbedingt immer faktenbasiert. Von der Pendlerpauschale profitieren Bahnfahrer genauso wie Autofahrer. Uns geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen für Fernpendler. Das betrifft insbesondere den ländlichen Raum. Das ist besser, als jedem Bürger eine Klimaprämie auszuzahlen. Darüber freut sich der Stadtbewohner, der sie weniger braucht, am meisten. Das halte ich für unfair.

Üben Sie schon schwarz-grünen Koalitionsstreit?

Ich finde, wir reden heute etwas viel über die Grünen. Wir machen als Union unser eigenes Ding. Ich finde es auch befremdlich, dass ständig über irgendwelche Bündnisse nach der großen Koalition spekuliert wird. Die Union jedenfalls steht zum Koalitionsvertrag – und wir möchten bis 2021 in dieser Regierung weitermachen. Es gibt natürlich auch bei uns den einen oder anderen, der Schwarz-Grün ganz großartig findet. Aber wir müssen auch mal gucken, was uns von den Grünen trennt.

Wir haben viele Unterschiede: beim Klimaschutz, in der Außenpolitik, bei der Inneren Sicherheit, in der Wirtschaftspolitik, bei Technologie und Innovationen, in der Steuerpolitik. Schwarz-Grün ist keine Koalition, in der sich alle lieb haben. Schwarz-Grün wäre anders als die große Koalition, aber nicht leichter.

Die große Koalition ist vor einem Jahr fast zerbrochen an der Zuwanderungsfrage. Innenminister Horst Seehofer ist inzwischen kaum wiederzukennen. Der CSU-Mann will jeden vierten Migranten nach Deutschland einreisen lassen, der vor Italien aus Seenot gerettet wird. Hat er Ihre Unterstützung?

Das C in unserem Namen gebietet, Menschen aus Seenot zu retten. Da gibt es keine Kompromisse. Das andere ist die Frage, welches Signal man sendet, wenn man pauschal 25 Prozent der geretteten Flüchtlinge aufnehmen will.

Wir dürfen Schlepperorganisationen nicht ermutigen, mehr zu machen. Das war eine Initiative des Innenministers, nicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir werden uns die Pläne von Horst Seehofer daher sehr genau anschauen.

Um aufgebrachte Parteifreunde zu besänftigen, hat Seehofer angekündigt, die Schleierfahndung an allen deutschen Grenzen zu intensivieren. Wie finden Sie das?

Der Innenminister handelt auf der Basis der aktuellen Lagebeurteilung. Ich habe volles Zutrauen in Horst Seehofer, dass seine Entscheidung zur Schleierfahndung richtig und notwendig ist.

Zu einer weiteren Zerreißprobe für die Koalition hat sich die Grundrente entwickelt. Glauben Sie noch an eine Verständigung mit der SPD?

Auf der Basis des Koalitionsvertrags sind wir sehr schnell verständigungsbereit. Aber wenn jemand alles umschmeißt, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, dann schafft er ein Problem. Wir wollen keine Grundrente mit der Gießkanne, sondern zielgenau auf Bedürftige zugeschnitten.

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    Also kommt die Grundrente mit einer Prüfung der Bedürftigkeit – oder gar nicht.

    Ich stehe dafür, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen. Wir sind von der SPD auch bedrängt worden, den Solidaritätszuschlag nicht ganz, sondern nur teilweise – eins zu eins nach den Vorgaben des Koalitionsvertrags – abzubauen. Ich erwarte, dass wir bei der Grundrente genauso verfahren. Das ist eine Frage des gegenseitigen Respekts.

    Läuft es auf eine milde Form der Bedürftigkeitsprüfung hinaus?

    Es gibt keinen Kompromissvorschlag, der mit der Unionsfraktion abgestimmt ist. Mich irritiert, dass alle zwei Wochen verbreitet wird, der Kompromiss sei da. Das macht die Lösung nicht leichter.

    Der Beziehungsstatus in der großen Koalition bleibt also kompliziert – Scheidung nicht ausgeschlossen. Wie wird die Union ihren nächsten Kanzlerkandidaten bestimmen? Es gibt in Ihren Reihen den Wunsch nach einer Urwahl.

    Bei uns ist die Konstruktion mit den Schwesterparteien CDU und CSU etwas komplexer als bei Grünen oder SPD. CDU und CSU verständigen sich gemeinsam über die Kanzlerkandidatur.

    CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist in die Kritik geraten – auch für ihren Umgang mit dem Youtuber Rezo und mit dem CDU-Rechtsausleger Hans-Georg Maaßen. Hat sie sich als Kanzlerkandidatin disqualifiziert?

    Nein. Und im Übrigen habe ich mir abgewöhnt, über Personalfragen zu spekulieren.

    Halten Sie die Kritik an Kramp-Karrenbauer für unfair?

    Die CDU ist ein schwerer Tanker, und es dauert naturgemäß eine Weile, bis man ihn gedreht hat. Viele Dinge, die sie angestoßen hat, können noch gar keine Wirkung entfalten. Ich empfehle Gelassenheit. Wir sollten Annegret Kramp-Karrenbauer die Zeit geben, die sie braucht, um ihre Spielidee umzusetzen.

    Das klingt nachsichtig.

    Fehler machen wir alle. Es kommt auf das große Ganze an.

    Wie nehmen Sie das Verhältnis zwischen Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel wahr? In den vergangenen Wochen hat es Anzeichen für Spannungen gegeben, etwa die Ausladung der Parteivorsitzenden aus der Kanzlermaschine in die USA.

    Man sollte aus einer Mücke keinen Elefanten machen und die Belastungsfähigkeit der Beziehung zwischen Kanzlerin und Parteichefin nicht an einem getrennten Flug in die USA festmachen. Ich sitze ja mit beiden oft zusammen und ich erlebe, dass sie gut zusammenarbeiten.