Berlin. Die Lage in Hongkong spitzt sich zu. Chinesisches Militär hält eine „groß angelegte Übung“ ab – ausgerechnet an der Grenze zur Stadt.
Schwarz gekleidete Aktivisten mit dunklen Basecaps und gelben Helmen stürmen den Flughafen in Hongkong. Innerhalb von wenigen Minuten haben sich Tausende Demonstranten in der Abflug- und Ankunftshalle versammelt. Sie skandieren Parolen.
Die Polizei solle einem Demonstranten, der durch ein Gummigeschoss schwer im Gesicht verletzt worden war, sein Auge „zurückgeben“, fordern sie. Auch zeigen sie Bilder von Sicherheitskräften, die in den vergangenen Tagen mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vorgegangen waren.
Alle Abflüge für den Rest des Tages gestrichen
Die Flughafenverwaltung handelt sofort. Am Montagnachmittag werden wegen der anhaltenden Kundgebungen der Demokratie-Bewegung sämtliche Abflüge für den Rest des Tages gestrichen. Der Airport gilt als wichtiges Drehkreuz in Südostasien und ist eine der belebtesten Anlagen weltweit.
Peking reagiert umgehend und fährt massive Drohkulissen auf. Nach chinesischen Medienberichten wurden mehrere Dutzend gepanzerte Truppentransporter und andere Militärfahrzeuge nach Shenzhen entsandt, eine Stadt an der Grenze zu Hongkong.
Dort sollten „groß angelegte Übungen“ stattfinden, berichtete die staatliche chinesische „Global Times“. Ein ähnliches Manöver mit Tausenden Polizisten hatte es in Shenzhen schon in den letzten Wochen gegeben.
„Die Kriminellen müssen schnellstmöglich vor Gericht“
Auch der Ton der chinesischen Regierung wird schärfer. Yang Gang, der Sprecher der für Hongkong zuständigen Behörde, warf den gewaltbereiten Demonstranten zuletzt „erste Anzeichen von Terrorismus“ vor.
In den letzten Tagen hätten „radikale Demonstranten“ wiederholt Polizisten mit „äußerst gefährlichen Werkzeugen“ angegriffen. Dies sei eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der Menschen in Hongkong. Die „Kriminellen“ müssten so schnell wie möglich vor Gericht gebracht werden, sagte der Sprecher weiter.
Von der Besetzung des Hongkonger Flughafens ist auch der internationale Flugverkehr betroffen. Die Lufthansa strich am Montag mehrere Flüge in die Millionenmetropole. Die Entscheidung gelte zunächst nur für den Montag, die Lage müsse in den Folgetagen jeweils neu bewertet werden.
Das Auswärtige Amt riet dazu, lokale Medien zu verfolgen, Demonstrationen und Menschenansammlungen weiträumig zu meiden und den Anweisungen der Sicherheitskräfte Folge zu leisten. Tatsächlich gab es am späten Montagabend (Ortszeit) wieder Flugbewegungen. Einige Fluglinien - wie etwa die chinesische Cathay Pacific - blieben aber bei ihrer Entscheidung, Flüge am Montag und Dienstagfrüh auszusetzen.
Mit Gummiknüppeln und Tränengas
In der einstigen britischen Kronkolonie Hongkong kommt es seit zwei Monaten immer wieder zu massiven Protesten, die regelmäßig mit Ausschreitungen enden. Am Wochenende war es erneut zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen.
An U-Bahn-Stationen gingen Ordnungskräfte mit Gummiknüppeln und Tränengas-Geschossen gegen Demonstranten vor. Einige von ihnen warfen Steine gegen Polizisten. Auslöser war ein – inzwischen auf Eis gelegter – Gesetzentwurf zur Auslieferung mutmaßlicher Krimineller an China.
Die Demonstranten sahen darin einen Akt von Willkür-Justiz. Zudem befürchten viele Menschen einen zunehmenden Einfluss Pekings auf das Leben in Hongkong und fordern demokratische Reformen.
Die Protestler organisieren sich über soziale Netzwerke und gehen dabei immer schneller und flexibler vor. Sie blockieren zum Beispiel mehrere Hauptverkehrsstraßen und wechseln mit einer sogenannten Flashmob-Taktik rasch die Orte ihrer Kundgebungen.
„Ein Land, zwei Systeme“
Die Briten übergaben die ehemalige Kronkolonie Hongkong 1997 an die Volksrepublik China. Peking sagte der neuen chinesischen Sonderverwaltungszone ein hohes Maß an Autonomie zu. Es wurde vereinbart, dass 50 Jahre lang das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ gilt.
Während Peking an seinem autoritären Staatskapitalismus festhält, soll Hongkong für die Übergangszeit seine Freiheit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft behalten – mit Presse- und Versammlungsfreiheit.
Die Proteste gehen mittlerweile weit über das ursprünglich geplante Auslieferungsgesetz hinaus. Aktivisten fordern mehr Demokratie, einige verlangen sogar die Unabhängigkeit von China. Fast alle dringen auf einen Rücktritt von Carrie Lam, der Chefin der Sonderverwaltungszone. Diese wird als Marionette Pekings gesehen.
Wie lange schaut Peking sich das an?
Lam hatte zunächst versucht, das
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durchzuboxen, und wurde so zur Zielscheibe der Proteste. Die Bewegung hat ihr Momentum nicht verloren. Am 5. August legte ein Generalstreik den Flughafen und die öffentlichen Verkehrsmittel lahm.
Die entscheidende Frage ist nun, wie lange Peking die anhaltenden Demonstrationen in Hongkong beobachtet – und wann die Proteste möglicherweise eine kritische Masse erreichen, die die chinesische Regierung als Bedrohung empfindet.
Bei den Studenten-Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 ließ die Regierung Panzer auffahren. Aus Angst, dass das eigene Land von den Reformen des russischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow angesteckt würde, beschloss Peking die blutige Niederschlagung der Bewegung. Zuletzt hatten Beobachter nach der
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wurden.
Wichtige Finanz-Drehscheibe in Südostasien
Doch eine Militärintervention Chinas in Hongkong hätte einen hohen politischen Preis. Die Hafenmetropole ist eine wichtige Finanz-Drehscheibe in Südostasien, von der auch Peking profitiert. Die grenzüberschreitenden Kredite von Hongkonger Banken – viele davon nach China – haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt.
Die Zahl internationaler Firmen, die in Hongkong ihr regionales Hauptquartier eröffnet haben, hat sich um zwei Drittel erhöht. Ließe Peking Soldaten aufmarschieren, würde das Glitzer-Image Hongkongs tiefe Kratzer bekommen. Das würde auch das Ansehen der Volksrepublik beschädigen, die als Wirtschaftsgroßmacht um weltweite Zusammenarbeit wirbt.
Am frühen Montagabend gab es zumindest eine leichte Entspannung. Viele der Regierungsgegner verließen den Hongkonger Flughafen. Einige wenige blieben zunächst im Gebäude, wie die „South China Morning Post“ berichtete Man arbeite daran, dass ab Dienstag um 06.00 Uhr (Ortszeit) Flüge wieder stattfinden könnten, teilte die Airport-Aufsicht am Montag mit. Ob dies die gesamte Lage beruhigt, darf bezweifelt werden.