München. CSU-Chef Markus Söder im Interview über seine neue Liebe zum Umweltschutz, die Generation Greta und den Zustand der großen Koalition.
Es ist heiß in München. Die Touristen kommen zur Pforte der Staatskanzlei, um nach Wasser zu fragen. Der Hausherr Markus Söder hat sein Kabinett an diesem Sommertag im Garten des Münchner Regierungssitzes tagen lassen. Es ging um Maßnahmen für den Klimaschutz. Dem CSU-Chef kann es bei diesem Thema gerade nicht schnell genug gehen.
Herr Söder, Sie haben vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrten zu senken. Wann kommt es dazu?
Markus Söder: Die deutsche Politik muss im Herbst zwei große Themen stemmen: den Schutz des Klimas und die Stärkung der zu lahmen beginnenden Konjunktur. Nach einem heißen Sommer folgt ein kühler Herbst. Wir müssen ein Bündel an Maßnahmen vorlegen, das klimapolitisch und gleichzeitig konjunkturstimulierend wirkt. Die energetische Gebäudesanierung etwa ist so eine Maßnahme, ein großes Investitionspaket für neue Technologien im Bereich Automobil und eine Senkung der Mehrwertsteuer bei Bahnfahrten als klares Signal, um den Umstieg auf die Schiene zu erleichtern.
Muss man nicht Kerosin besteuern, wenn man der Bahn Vorrang einräumen will?
Wir haben bereits eine Steuer mit der Luftverkehrsabgabe, die leider kaum eine Klimawirkung zeigt. Ich bin überzeugt: Bahnfahren muss günstiger werden. Was uns aber vor allem lähmt, sind die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Bahnstrecken. Deutschland braucht endlich eine Beschleunigung von Verfahren. Wir müssen uns auch mit alternativen Treibstoffen zu Kerosin auseinandersetzen. Ich biete Deutschland für einen revolutionären technischen Sprung an, dass wir in Straubing – im Zentrum für nachwachsende Rohstoffe – mit einer vom Bund geförderten Forschung ein Modell für synthetische Kraftstoffe entwickeln. Das wäre ein nachhaltigeres Konzept gegen CO2, als nur an der Preisschraube zu drehen.
Also wird es mit der Union keine CO2-Steuer geben?
Eine CO2-Steuer allein führt nur zu höheren Preisen, aber noch nicht automatisch zur Reduktion von CO2. Wirksamer sind Zertifikate, die tatsächlich den CO2-Verbrauch regulieren. Wichtig ist, dass wir vernünftige und wirksame Maßnahmen treffen. Dabei geht Anreiz vor Verbot und Verstand vor Ideologie.
Folgt Ihnen die Wirtschaft dabei?
In jedem großen Automobilunternehmen finden gerade Strategiewechsel statt. Lange wurden die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wir brauchen dringend Fortschritte bei der Elektromobilität und der Batterieforschung, Wasserstoff und Brennstoffzelle, Biokraftstoffen und autonomem Fahren. Seit Anfang des Jahres redet auch die deutsche Politik darüber, Substanzielles ist jedoch noch nicht passiert.
Sie haben gerade eine Niederlage einstecken müssen, das Geld des Bundes für die Batterieforschung geht nach Münster, nicht nach Ulm. Kommt jetzt die Rache der Südländer?
Wir stimmen uns unter den Autoländern eng ab. Bayern und Baden-Württemberg bringen in der Südschiene eigene Batteriekompetenz mit. Die Schwäche an der einseitigen Entscheidung zu Münster ist das fehlende industrielle Umfeld. Wie soll Forschung über Automobile in einer schönen Radstadt wie Münster zu Ergebnissen für unsere Industrie führen? Angewandte Forschung muss in der Nähe der Wirtschaft stattfinden, damit daraus auch eine ökonomische Dividende folgen kann.
Reden Sie wieder mit CDU-Forschungsministerin Anja Karliczek? Sie waren recht sauer.
Das Ministerium hat eine Grundsatzentscheidung getroffen. Hier wurden regionale über nationale und fachliche Interessen gestellt. Jetzt muss es einen Ausgleich geben.
Hat sich die Kanzlerin bei Ihnen gemeldet? Sie haben ihr ja einen Brief geschrieben.
Wir sind dazu im Gespräch.
Wie kommt der Klimaschutz in die Verfassung? Kommt von Ihnen eine Initiative?
Klar. Klimaschutz im Grundgesetz wäre ein klarer Auftrag für eine Jahrhundertaufgabe. Es geht uns alle an, die Schablone „Umweltschutz ist gleich Grün“ passt nicht mehr in diese Zeit. Wir haben in Bayern einen anderen ethischen Ansatz: Die Bewahrung der Schöpfung ist urkonservativ.
Sind Sie nun das grüne Gesicht der Union?
Die CSU war immer Vorreiter. Wir hatten in Bayern das erste Umweltministerium in Europa eingeführt. Ich selbst war bereits Umweltminister und habe das gentechnikfreie Bayern vorangebracht. Doch die Herausforderung heute ist viel größer: Die Klimakrise ist international – und dabei geht es wirklich um die Zukunft unserer Kinder. Davor zu kapitulieren, wäre ein Versagen der Politik. Die Union darf sich dem Problem und den Anliegen der jungen Generation nicht verschließen.
War die „Überlasst das Profis“-Einlassung von FDP-Chef Christian Lindner an die Adresse von Klimaaktivisten zu arrogant?
Ich glaube, Christian Lindner würde das nicht mehr so wiederholen.
Sie suchen also bewusst den Dialog mit den Klimaaktivisten?
Eine dialogorientierte Politik erzielt langfristigere Erfolge als ein scharf polarisierendes 51/49-Mehrheiten-Modell. Ich habe spannende Diskussionen mit „Fridays for Future“-Aktivisten gehabt: Manche Argumente gehen sicher zu weit, aber das Motiv und die Sachkenntnis sind höchst respektabel. Es ist unsere Aufgabe, das ernst zu nehmen.
Daraus schließe ich, dass Sie sehr offen sind für eine Koalition mit den Grünen.
Ich rede über Themen und nicht über Parteien. Allerdings weiß im Moment niemand, ob die SPD noch länger regieren will. Ist das Klimakonzept für den Herbst die letzte große Tat oder eine weitere wichtige Etappe der GroKo bis 2021? Diese Frage werde ich beim nächsten Koalitionsausschuss im August auch den kommissarischen SPD-Vorsitzenden stellen. Und je nach Antwort muss die Union auch klarmachen, dass es ihr nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der SPD gehen kann, sondern darum, grundlegende geistige politische Orientierung zu geben.
Wie lange kann es sich die Union erlauben, dass ihr die SPD auf der Nase herumtanzt?
Geduld zu verlieren, ist die schlechteste aller Möglichkeiten. Aber es gibt auch keinen Mitleidsbonus. Bei der SPD ist spürbar weniger Kraft da. Sie kann jetzt aber über den Sommer Luft holen. Wie es dann weitergeht, werden wir sehen. Ich hoffe auf Stabilität in Deutschland.
Wie beurteilen Sie das Prozedere zur Wahl eines neuen SPD-Chefs?
Das ist allein Sache der SPD. Allerdings bleiben in den letzten Monaten eher mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen stehen.
Die Österreicher haben die Blockabfertigung von Lkw an der deutsch-österreichischen Grenze immer noch nicht beendet. Wie geht es nun weiter?
Ich habe immer noch wenig Verständnis, dass in Österreich eine Maut akzeptabel sein soll und in Deutschland nicht. Die Blockabfertigung ist jedoch ein echtes Sicherheitsrisiko und europarechtswidrig. Das sollte Deutschland juristisch überprüfen. Die Kritik der Österreicher, wie lange Deutschland braucht, um eine Bahnstrecke zu planen, ist allerdings berechtigt. Der Brennertunnel ist bis Ende 2030 fertig, wir brauchen 20 Jahre länger. Das muss sich beschleunigen.
Sie haben in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen viel Zeit mit der Kanzlerin verbracht. Wie schätzen Sie die Kraft von Angela Merkel ein?
Ungebrochen.