Berlin. Die Wirksamkeit von Homöopathie ist wissenschaftlich nicht nachweisbar. Andere Länder ziehen daraus Konsequenzen. Und Deutschland?

Jens Spahn ist niemand, der Konflikte scheut und sich wegduckt. Wenn der Bundesgesundheitsminister von einer Sache überzeugt ist, dann kämpft er dafür. Spahn weiß aber auch, wann man als Politiker am besten erst einmal schweigt und die Diskussion an sich vorbeiziehen lässt.

In der Frage, ob homöopathische Arzneimittel und Therapien weiterhin von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen, hat CDU-Politiker Spahn sich für das Schweigen entschieden. Zu unklar ist die Lage dazu in seiner eigenen Partei. Zu verschieden sind die Meinungen bei den Krankenkassen und beim Koalitionspartner SPD. Homöopathie ist ein Reizthema, bei dem man erst einmal nichts gewinnen kann.

Dass das so ist, weiß auch Spahns französische Kollegin Agnès Buzyn. Sie hat in dieser Woche trotzdem verkündet, dass die nationale Krankenversicherung in Frankreich ab Januar 2021 keine homöopathischen Arzneimittel mehr erstatten soll. Schon im nächsten Jahr wird die Kostenerstattung von jetzt immerhin 30 Prozent auf nur noch 15 Prozent reduziert werden. 2021 dann sollen die Kassen gar nichts mehr zahlen.

Kassenärzte sprechen sich komplett gegen Homöopathie aus

Die Entscheidung lässt in Deutschland die schon lange schwelende Diskussion um die Homöopathie wieder aufflammen. Die Kassenärzte waren die ersten, die reagierten. Verbandschef Andreas Gassen, von Haus aus Orthopäde, forderte, die Erstattung durch die Krankenkassen auch hierzulande komplett zu streichen. Josef Hecken ist derselben Meinung. Der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses – das ist das Gremium, das entscheidet, was Krankenkassen zahlen dürfen – sagt: Die Homöopathie sei ein „unwissenschaftlicher Ausreißer“ in einem „ganz überwiegend rational und wissenschaftlich verankerten Gesundheitssystem“. Und fügt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ spöttisch hinzu: Die Devise „Wissen statt Glauben“ habe den Patienten in der Vergangenheit sehr viel gebracht. Deutschland solle Frankreich folgen.

Kommentar:

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Tatsächlich sind es fehlende wissenschaftliche Beweise, die im Nachbarland zu der Entscheidung führten, die seit 1984 geltende Erstattung von homöopathischen Mitteln wieder einzusammeln. Auf Wunsch von Ministerin Buzyn hatten Experten der obersten französischen Gesundheitsbehörde rund 800 Studien zum möglichen Nutzen der Homöopathie geprüft. Dabei habe man keine Hinweise darauf gefunden, dass die alternativen Mittel gegen 24 untersuchte Krankheitssymptome geholfen hätten. Dazu zählten die Vorbeugung von Entzündungen, Kopfschmerzen, Asthma, Infektionen der Atemwege, Angstzustände, Erkrankungen des Bewegungsapparates oder auch Durchfall. Das Fazit der Prüfung: Homöopathische Mittel wirken nicht besser als Placebos, also als die sprichwörtliche weiße Salbe.

In Deutschland müssen Krankenkassen nicht für Homöopathie zahlen. Sie können aber, wenn sie wollen. Einige Ortskrankenkassen (AOK) zum Beispiel zahlen Zuschüsse zwischen 30 Euro und 250 Euro pro Jahr für homöopathische Arzneimittel – wenn diese von einem Schulmediziner verschrieben wurden. Andere übernehmen das Honorar für die Gespräche (Anamnese) mit dem Arzt.

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    Homöopathie ist vor allem aus Werbegründen Kassenleistung

    Bis vor Kurzem noch konnten Kassen auch spezielle Tarife für „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“ anbieten. Dafür hatte vor zwölf Jahren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gesorgt. Ihr Nachfolger Spahn strich diese Möglichkeit vor wenigen Wochen komplett – mit Zustimmung der SPD. Die offizielle Begründung des Ministeriums: Die Nachfrage der Versicherten sei zu gering. Zuletzt hätten nur 562 Versicherte solche Tarife gewählt.

    Tatsächlich lassen sich nur wenige Kassenpatienten homöopathische Arzneien bezahlen. Die zweitgrößte Krankenkasse, die Barmer, gibt nach eigenen Angaben pro Jahr nur 0,01 Prozent ihrer Leistungsausgaben für Homöopathie aus. Das ist, bezogen auf 100 Euro Ausgaben, gerade einmal ein Cent. Auch deshalb gelten die Homöopathie-Angebote eher als Werbemaßnahme denn als ernsthaftes medizinisches Angebot.

    Karl Lauterbach, den SPD-Gesundheitspolitiker, bringt das schon lange auf die Palme. Als die französischen Experten jetzt ihr ablehnendes Urteil über die Wirkung der Homöopathie fällten, twitterte er: „Im Sinne der Vernunft und der Aufklärung sowie des Patientenschutzes ist es auch in Deutschland falsch, dass Kassen aus Marketinggründen Homöopathie bezahlen.“

    Vor neun Jahren, im Juli 2010, war Lauterbach das erste Mal gegen die Homöopathie zu Felde gezogen – und hatte viel rhetorische Prügel vor allem aus seiner eigenen Partei einstecken müssen. Einer der wenigen, die Lauterbach zustimmten, war Jens Spahn, damals gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Aus der damaligen Zeit ist auch die letzte eindeutige Äußerung von Spahn zur Homöopathie überliefert. Es ging um die erwähnten Wahltarife der Krankenkassen: „Sollte die SPD hier nun gesprächsbereit sein, können wir sie morgen abschaffen“, sagte Spahn.

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    AOK fordert Klarheit vom Gesetzgeber

    Falls er als Minister nun auch die anderen Möglichkeiten der Kassen, Homöopathie zu bezahlen, abschaffen sollte, muss er nicht nur mit Widerstand der homöopathischen Ärzte und der Arzneimittelhersteller rechnen, sondern auch aus den eigenen Reihen: Wenn nun gefordert werde, die Erstattung homöopathischer Therapien auch als freiwillige Kassenleistung zu streichen, „lehne ich das ab“, teilte der für Gesundheit zuständige Vize-Fraktionschef der Union, Georg Nüßlein (CSU), mit. Sein Argument: „Viele Menschen setzen auf Homöopathie.“

    Ähnlich sehen es die Grünen: „Es ist wichtig, auch komplementären Behandlungsverfahren ihre Berechtigung zu lassen“, sagt ihre Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink. Die FDP dagegen will die Homöopathie komplett zur Eigenleistung der Versicherten machen.

    Und die Krankenkassen selbst? Die sitzen „zwischen Baum und Borke“, wie der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, es formuliert. „Nach Expertenmeinung gibt es keinen Nachweis in methodisch hochwertigen Studien für die Wirksamkeit von Homöopathie“, sagt Litsch. „Gleichzeitig wird die Homöopathie von einem Teil der Bevölkerung aktiv nachgefragt und als Alternative zur klassischen Schulmedizin wertgeschätzt.“

    Die AOK fordert deshalb: „Wie in Frankreich ist der Gesetzgeber gefragt, Klarheit zu schaffen“, so Litsch. Damit es diese Klarheit gebe, müssten Spahn und die große Koalition die „Homöopathie dann als zusätzliche Leistung der Krankenkassen explizit ausschließen“. Dass es dazu kurzfristig auch in Deutschland kommen wird, scheint eher unwahrscheinlich.

    (mit ses)