Stuttgart/München. Die junge deutsche Syrien-Heimkehrerin unterstützte die Terrormiliz. Nur selten gelingt es der Justiz, Dschihadistinnen zu überführen.

Es könnte eine wegweisende Entscheidung sein: In Stuttgart wird eine Deutsche juristisch zur Verantwortung gezogen, die sich den Terroristen des IS angeschlossen hatte. Wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates hat das Oberlandesgericht Stuttgart Sabine S. zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Die Richter legten der 32-Jährigen zur Last, sie sei mit vollem Herzen dabei gewesen und habe für das Leben beim IS geworben. Die vierfache Mutter hatte von Ende 2013 bis August 2017 in Syrien und im Irak gelebt. Mitte 2018 wurde sie nach der Rückkehr aus dem Kriegsgebiet in Baden-Baden festgenommen. Laut Bundesanwaltschaft ist es der erste Schuldspruch gegen eine IS-Rückkehrerin.

Terrormiliz IS: Strafverfolgung ist kompliziert

Seit 2014 waren mehr als 1000 junge Islamisten nach Syrien und Irak ausgereist. Unter ihnen etwa ein Fünftel Frauen. Doch Strafverfolgung gegen mutmaßliche Dschihadisten, die in Syrien und Irak gekämpft haben sollen, ist für Polizei und Justiz kompliziert.

Hintergrund:

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Oft fehlen Beweise für Kampfhandlungen, die Täter agieren in Propaganda-Videos vermummt, und deutsche Nachrichtendienste hatten kaum Einblick in die Region, als dort noch der IS agierte. Bei den Frauen gilt die schwierige Jagd nach Beweisen umso mehr.

Generalstaatsanwaltschaft will härter gegen IS-Frauen vorgehen

Erst im vergangenen Jahr hatte der Bundesgerichtshof in einem Urteil einen Haftbefehl gegen die deutsche Islamistin Sibel H. abgewiesen. Der Grund: Trotz der Reise nach Syrien sei der Frau eine Unterstützung in der Terrormiliz nicht nachzuweisen. Das Urteil des Gerichts war ein Dämpfer für die Generalstaatsanwaltschaft, die härter gegen Frauen beim IS vorgehen will.

Jetzt, nachdem der IS militärisch besiegt ist und ein Teil der deutschen Islamisten zurückgekehrt ist, legen die Ermittler wie in einem Puzzle Beweise aneinander. Mehr Frauen sind zurück, mehr Zeugen können in Haft in Nordsyrien befragt werden. Mehr Menschen scheinen bereit zu Geständnissen – und sei es allein aus dem Grund, dass sie aus den schwierigen Haftbedingungen in Syrien zurückkehren dürfen.

Darum kann das Urteil gegen Sabine S. richtungsweisend sein

Die nun verurteilte junge Deutsche hatte ein weitgehendes Geständnis abgelegt und sich nach eigenen Angaben vom IS losgesagt. Die 32-Jährige wurde zugleich wegen Kriegsverbrechen gegen Eigentum verurteilt. Das Gericht stützte den Vorwurf der IS-Mitgliedschaft nämlich auch darauf, dass die Frau mit ihrer Familie unter anderem ein Wohnhaus und Unterkünfte von IS-Flüchtlingen in Besitz genommen habe.

Damit habe sie einen Beitrag zur Sicherung des Herrschaftsanspruchs der Terrororganisation geleistet. Das Urteil kann richtungsweisend sein, weil die Bundesanwaltschaft auch in anderen Fällen versucht, zurückgekehrten Frauen auf diese Weise die IS-Mitgliedschaft nachzuweisen.

IS-Rückkehrerin soll Maschinenpistole besessen haben

Sabine S. konvertierte 2008 in Deutschland zum Islam und radikalisierte sich. Sie ließ hier ihre zwei Kinder aus erster Ehe zurück, um nach Syrien zu gehen. Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass die Angeklagte in Syrien gegen die Regierung von Baschar al-Assad kämpfen wollte.

Sie habe sich dem Willen des IS untergeordnet und von ihrem Ehemann eine Maschinenpistole bekommen, die sie außerhalb der Wohnung trug, um sich verteidigen zu können. Auch Schießübungen führte sie nach Überzeugung des Gerichts mit der Waffe durch.

Sabine S. wollte Menschen zur Ausreise nach Syrien motivieren

Laut Bundesanwaltschaft hatte Sabine S. kurz nach ihrer Ankunft in Syrien einen ihr bis dahin unbekannten IS-Kämpfer geheiratet, der später bei Kampfhandlungen starb. Der Anklage zufolge pries sie in mehreren Internetblogs das Leben beim IS. Ziel sei es gewesen, möglichst viele Leute zur Ausreise in das Krisengebiet zu gewinnen.

Junge Islamistinnen waren laut einer Analyse der europäischen Polizeibehörde Europol beim Aufbau und in der Hochphase des sogenannten Kalifats in Syrien und Irak entscheidend für die Propaganda. Denn, so die Logik der Dschihadisten: Zu einem „Staat“ gehören Frauen genauso wie Männer.

„Tagebuch einer Muhajira“ – Influencer im Krisengebiet

Junge Islamistinnen seien „extremistische Familienarbeiterinnen“, sagte Diana Schubert, Geschäftsführerin vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der IS suchte nach Frauen, die mit Kämpfern verheiratet wurden und Kinder als Nachwuchs für den IS großzogen.

In dem Messenger-Kanal „Tagebuch einer Muhajira“ postete mutmaßlich eine Islamistin quasi im Live-Blog aus dem IS-Gebiet. Mal geht es in ihren Nachrichten an die „Schwestern in Deutschland“ um das Wetter, mal um das Essen.

In deutlich weniger Fällen zogen Frauen selbst mit Waffe in den „Heiligen Krieg“. Erst kurz vor der militärischen Niederlage des IS wurden Videos öffentlich, die Frauen in Schützengräben zeigten. Zuvor hatten Frauen vereinzelt jedoch Selbstmordattentate begangen. Als junge Dschihadistinnen etwa 2016 einen Anschlag in Kenia verübten, feierte der IS die Tat der „Enkelkinder des IS“.

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