Berlin. Was wird anders, wenn die Grünen das Land regieren? Das verrät der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann.

Kehraus in der baden-württembergischen Landesvertretung am Tiergarten. Handwerker bauen Wurstbuden und Weintheken ab. Am Vorabend war hier Sommerfest mit 1700 Gästen, und Winfried Kretschmann will noch ein paar Dinge loswerden zum Höhenflug der Grünen.

Können die Grünen Kanzler, Herr Kretschmann?

Winfried Kretschmann: Warum sollten die Grünen das schlechter können als andere? Dafür gibt es doch gar keinen Grund. Wir regieren in neun Ländern und haben auch schon im Bund regiert.

Warum tun sich die Grünen dann so schwer mit einer Kanzlerkandidatur?

Kretschmann: Das ist nicht der Punkt. Es ist einfach eine Debatte zur Unzeit. Wir stehen nicht im Wahlkampf. Wenn es soweit ist, werden wir uns der Debatte stellen - sofern die Umfragen das dann hergeben. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass unser Höhenflug bis zur nächsten Bundestagswahl anhält. Ich bleibe auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt.

Wird es böses Blut geben, wenn die Entscheidung ansteht: Annalena Baerbock oder Robert Habeck?

Kretschmann: Das glaube ich nicht. Ich halte nichts von Doppelspitzen, das ist ja bekannt. Aber jetzt haben wir Gottseidank mal eine, die richtig gut funktioniert. Annalena Baerbock und Robert Habeck machen einen tollen Job. Sie ziehen an einem Strang und auch in dieselbe Richtung. Darüber sind wir erst einmal glücklich und froh.

Winfried Kretschmann beim Gespräch mit unserer Redaktion.
Winfried Kretschmann beim Gespräch mit unserer Redaktion. © Reto Klar / Funke Foto Services | Reto Klar

Wen bevorzugen Sie?

Kretschmann: Sie können nicht erwarten, dass ich mich dazu äußere.

Was würde eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler anders machen als Angela Merkel?

Kretschmann: Jede Partei hat ihre Kernthemen. Bei uns ist das Umwelt und Klimaschutz - bei den anderen sichtlich nicht. Eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler würde entsprechend andere Schwerpunkte setzen als Kanzler anderer Parteien. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es bei einem Kanzlerwechsel aber auch immer einen hohen Grad an Kontinuität gegeben. Das wäre bei uns nicht anders.

Bedeutet konkret?

Kretschmann: Wir sind keine Trumps oder Erdogans oder Orbans, die alles über den Haufen werfen. Die Leute müssen nicht befürchten, wenn die Grünen zum ersten Mal den Kanzler stellen, dass das Oberste zuunterst gekehrt wird. Es wird viele kontinuierliche Linien geben. Wir sind eine europafreundliche Partei. Wir sind der Meinung, dass sich Deutschland an internationalen Friedenseinsätzen beteiligen muss. Wir sind kompromissbereit und können mit anderen Mehrheiten im Bundesrat zusammenarbeiten. Niemand muss Angst vor einem grünen Kanzler oder einer grünen Kanzlerin haben.

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    Steigen die Steuern, wenn die Grünen regieren?

    Kretschmann: Darum geht es uns nicht. Nehmen Sie zum Beispiel die CO2-Bepreisung. Sie soll ja aufkommensneutral erfolgen. Wir wollen damit nicht die Staatskasse auffüllen, sondern einen Lenkungseffekt erzielen. Wer wenig CO2 emittiert, soll profitieren.

    Die Grünen verabschieden sich von Steuererhöhungen?

    Kretschmann: Wir wollen eine Kerosinsteuer einführen, damit das Fliegen nicht noch billiger ist als andere Fortbewegungsmittel. Aber die Stromsteuer wollen wir abschaffen.

    Sie wollen die Menschen dazu bringen, dass sie ihre Lebensweise ändern: Weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren, weniger fliegen.

    Kretschmann: Wieviel Fleisch jemand isst, gehört zu seiner persönlichen Lebensführung. Der Staat muss sich da raushalten. In einer freien Gesellschaft ist es nicht Aufgabe der Politik zu verkünden, dass wir bescheidener leben sollen. Dafür gibt es Pädagogik, Philosophie, Religion. Appelle der Politik, das ist meine Erfahrung als Grüner, zeigen da auch wenig Wirkung. Wir waren immer erfolgreich, wenn wir Probleme technisch gelöst haben. Wir müssen zügig dahin kommen, dass wir Flugzeuge mit Kraftstoffen betanken, die nicht klimaschädlich sind. Es ist natürlich gut, wenn die Leute weniger in der Gegend rumfliegen. Aber das hat die Politik nicht zu befehlen.

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    Da hat Ihre Partei schon anders geklungen.

    Kretschmann: Rumzumoralisieren ist nicht der richtige Weg. Wir dürfen die Leute nicht mit Geboten und Verboten traktieren. Wir wollen sie mit realen Preisen dazu anhalten, vernünftig zu handeln. Es geht um eine soziale und ökologische Marktwirtschaft.

    Gilt der Beschluss der Grünen noch, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr neu zuzulassen?

    Kretschmann: Dazu gibt es einen Parteitagsbeschluss. Im Ziel sind wir uns einig: So schnell wie möglich zu Null-Emmissions-Fahrzeugen zu kommen. Über den Weg dahin kann man diskutieren. Ich sehe das mit der gesetzten Jahreszahl bekanntlich ein bisschen anders. Stand heute gibt es gerade mal 80.000 Elektrofahrzeuge in Deutschland. Wie soll man da einen Zeitpunkt festlegen für das Ende des Verbrennungsmotors? Und wenn man auf synthetische Kraftstoffe setzt, gibt es den Verbrennungsmotor vielleicht noch weiter. Zugleich kann in diesem komplexen Transformationsprozess, in der die Autoindustrie sich befindet, plötzlich eine Dynamik entstehen, die alles beschleunigt. Am Ende ist es nicht entscheidend, ob wir 2030, 2035 oder vielleicht auch schon 2028 das Ziel erreichen. Hauptsache, Politik und Wirtschaft arbeiten konsequent darauf hin.

    Neigt Ihre Partei dazu, beim Klimaschutz zu überziehen?

    Kretschmann: Davon kein keine Rede sein. Die anderen Parteien sind da vielmehr zu zaghaft. Wir müssen ein ganz anderes Tempo aufnehmen, sonst können wir die Erderwärmung nicht mehr unter zwei Grad halten. Wenn die arktischen Eisschilder abgeschmolzen sind, dann kommen sie nie mehr wieder. Und wenn der Permafrost-Boden auftaut und das Methan in die Atmosphäre gelangt, wird der Klimawandel unumkehrbar. In dieser Lage kann man gar nicht ambitioniert genug sein. Man muss aber auch gucken, dass es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt. Wenn sich die Leute von unserer Politik bedroht fühlen, wählen sie ganz andere Parteien, und der Kampf gegen den Klimawandel scheitert.

    Genau das wirft die SPD den Grünen vor: dass sie die soziale Frage bei Klimaschutz ausblenden.

    Kretschmann: Das ist ein unsinniger Vorwurf! Wir haben mit der AfD schon eine Partei, die es zum Prinzip macht, immer nur draufzupatschen und mit haltlosen Behauptungen zu hantieren. Die SPD sollte sich davor hüten. Unser Konzept zur CO2-Bepreisung enthält soziale Maßnahmen wie das Energiegeld und die Abschaffung der Stromsteuer. Davon profitieren gerade die Leute mit schwachen Einkommen. Die SPD verbreitet diese Story nur, um sich selber in ein helles Licht zu stellen. Dabei produziert sie beim Klimaschutz nur Überschriften. Sie soll endlich selber mal ein durchdachtes Konzept vorlegen. Ich bin sehr gespannt. Mal schnell zehn Punkte aufzuschreiben, hilft da jedenfalls nicht weiter.

    Wer passt besser zu den Grünen: CDU oder SPD und Linkspartei?

    Kretschmann: Das wird mit jedem Partner schwierig. Ich sehe da nicht die großen Unterschiede. In gesellschaftspolitischen Fragen kommen wir mit der Sozialdemokratie weiter, in der Wirtschaftspolitik mit der Union. Mit der Linkspartei jedoch sehe ich wenig Chancen für eine Koalition im Bund. Sie müsste sich in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in der Wirtschaftspolitik geradezu neu erfinden.

    Sind die Grünen eine linke oder eher eine bürgerliche Partei?

    Kretschmann: Ich glaube nicht, dass diese Aufteilung der politischen Landschaft noch was hergibt. Das sind Kategorien aus vergangenen Jahrhunderten, die sich überlebt haben.

    Wie bürgerlich war der Vorstoß von Parteichef Robert Habeck zur Enteignung von Wohnungsgesellschaften?

    Kretschmann: Das war kein Vorstoß, mit Verlaub. Er hat das als Ultima Ratio benannt. Als allerletzte Möglichkeit, wenn alle anderen Instrumente versagen. Was wir brauchen, ist mehr Gemeineigentum im Wohnungsbau – mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die gemeinnützig sind und keine Rendite brauchen. Private Wohnungsgesellschaften zu enteignen, macht überhaupt keinen Sinn. Man muss sie ja entschädigen, und das kostet Milliarden, ohne dass eine einzige Wohnung gebaut wäre. Das ist grober Unfug. Einen guten Weg geht Boris Palmer…

    … der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, der in der eigenen Partei hoch umstritten ist.

    Kretschmann: Boris Palmer setzt ein Baugebot durch. Wer in Baugebieten nicht baut, muss sein Grundstück an die Stadt verkaufen. Und wenn er auch das nicht macht, kann er zum Schluss enteignet werden. Aber das ist etwas ganz anderes, als Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen. Das ist eine undurchdachte Idee.

    Tut Palmer den Grünen gut?

    Kretschmann: Jede Partei braucht Querköpfe, die gegen den Strich bürsten und den ganzen Laden mal aufmischen. Insofern tut Boris Palmer den Grünen natürlich gut. Zumindest soll eine große Partei wie die Grünen solche Mitstreiter wie Boris Palmer gut aushalten.