Berlin. Handwerks-Präsident Wollseifer nennt die Kampagne „Gas, Wasser, Schießen“ „niveaulos“. Im Interview spricht er über seine Branche.
Der Bauboom nimmt kein Ende, das Handwerk ist ausgebucht. Denn es fehlt der Nachwuchs. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, macht der Bundesregierung nun konkrete Vorschläge, wie das Handwerk mehr Fachkräfte gewinnen kann.
Herr Wollseifer, die Konjunktur schwächelt – das Handwerk wächst dagegen kräftig. Wie ist das zu erklären?
Hans Peter Wollseifer: Wir haben einen stabilen Binnenmarkt in Deutschland, der derzeit von einer sehr guten Beschäftigungslage, hohen Lohnzuwächsen und niedrigen Zinsen geprägt ist. Davon profitieren unsere Handwerksbetriebe. Unsere Auftragsbücher sind vor allem wegen des Baubooms voll. Aber zugleich stabilisieren wir mit unserem Erfolg auch die Gesamtwirtschaft und tragen wesentlich zum Gesamtwachstum bei.
Doch der Mangel an Handwerkern bleibt ein Problem.
Wollseifer: Leider ja. Die Wartezeiten bei planbaren Aufträgen haben sich sogar noch einmal deutlich verlängert. Im Baugewerbe liegen sie bei über 14 Wochen, im Ausbau bei mehr als elf Wochen, im Gesamthandwerk bei zehn Wochen. Aber wenn Not am Mann ist, wenn etwa ein Sturm das Haus abgedeckt hat oder die Gasleitung undicht ist, kommt der Handwerker sofort. Wer allerdings eine neue Heizung will, muss schon mal drei Monate warten. Glauben Sie mir, das ist nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Handwerker unerfreulich.
Hat der Boom die Handwerksleistungen verteuert?
Wollseifer: Es gibt keine Verknappungszuschläge. Aber manche Dienstleistungen sind teurer geworden, weil die deutlichen Lohnsteigerungen, spürbar steigende Energiekosten und Materialkosten natürlich einkalkuliert werden. Das alles erhöht die Preise.
Aus Kundensicht ist der Handwerkermangel ein Ärgernis – aus Ihrer Sicht doch eine sehr bequeme Lage.
Wollseifer: Überhaupt nicht. Wir wollen guten Service bieten und die Kunden zufriedenstellen. Momentan können wir das nicht immer. Uns fehlen schlicht die Fachkräfte. 40 Prozent unserer Betriebe haben im vergangenen Jahr vergeblich versucht, neue Mitarbeiter zu bekommen. Sie haben einfach kein geeignetes Personal finden können.
Das führt mittlerweile dazu, dass wir manche Aufträge gar nicht annehmen können. Schon jetzt sind die Kapazitätsgrenzen in ganz vielen Betrieben längst überschritten. Das bremst die Konjunktur. Hätten wir genug Leute, könnten wir noch mehr machen – und ja, wir könnten auch schneller und mehr bauen.
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Warum ist es immer noch so schwer, Handwerker zu bekommen? Das Problem gibt es doch schon lange.
Wollseifer: Tatsächlich bemühen wir uns seit Jahren intensiv um Nachwuchs. Wir bilden alle aus: Abiturienten, Studienaussteiger, Realschüler, vor allem Hauptschüler, sogar Jugendliche ohne Schulabschluss. Wir bemühen uns wirklich um alle, gerade auch um Flüchtlinge. Wir gehen in Kitas, in Schulen, stellen so oft wie möglich das Handwerk und seine vielfältigen über 130 Ausbildungsberufe vor. Wir werben auf Plakaten, in Kinos, auf Veranstaltungen, seit zehn Jahren mit unserer Imagekampagne und natürlich – denn nur so lässt sich die junge Generation erreichen – auf den Social-Media-Kanälen.
Das scheint nicht zu reichen.
Wollseifer: Wir sehen da ein gesellschaftliches Problem. Unser Bildungssystem ist immer noch eine Zweiklassengesellschaft. Seit langer Zeit kämpfen wir um die Gleichwertigkeit von beruflicher Ausbildung und Studium. Das sagen wir auch der Politik. Aber bislang hat die es an Wertschätzung für die duale berufliche Ausbildung fehlen lassen.
Es ist doch ein Unding, aber immer noch der Fall: Wenn die Eltern Akademiker sind und ihr Kind eine Ausbildung macht – dann gilt das gesellschaftlich als sozialer Abstieg, die OECD sprach sogar von Bildungsabstieg.
Wir erleben auch, dass manche Gymnasien gar nicht zulassen, dass sich das Handwerk den Schülern vorstellen kann. So kann es nicht weitergehen. An dem Gesellschaftsbild vom Handwerk muss sich grundlegend etwas ändern.
Wie kann die Politik dem Handwerk helfen?
Wollseifer: Die Politik hat den Mangel mittlerweile erkannt – am Bau, in der Pflege, in der Gastronomie, in der Landwirtschaft. Was brauchen wir also? Zuerst: Wertschätzung. Sie ist der Schlüssel für alle weiteren Entwicklungen. Uns wäre schon sehr geholfen, würde die duale Ausbildung in Deutschland dieselbe Wertschätzung erfahren wie im Ausland. Aber bekanntlich zählt der Prophet oft nur wenig im eigenen Land.
Jetzt sucht auch die Bundeswehr mit dem Slogan „Gas, Wasser, Schießen“ nach Fachkräften. Wie finden Sie das?
Wollseifer: Ich habe Verteidigungsministerin von der Leyen dazu einen Brief geschrieben. Diese Bundeswehrkampagne empfinden wir schon als Geringschätzung gegenüber dem Handwerk. Der Werbespruch ist – finde jedenfalls ich – niveaulos. Das gehört sich einfach nicht. Dass gerade die Bundeswehr, die schon genügend Fachkräfte aus dem Handwerk bekommt, uns jetzt mit einer derart offensiven Abwerbekampagne das Leben schwer machen will, ist schon bemerkenswert. Das hat im negativen Sinne eine neue Qualität. Das hat uns die Augen geöffnet.
Inwiefern?
Wollseifer: Wir brauchen von der Politik viel mehr Anerkennung für die ausbildenden Betriebe. Die engagieren sich mit hohem zeitlichen Aufwand für junge Menschen, nehmen dafür auch Einiges an Geld in die Hand und übernehmen eine hohe soziale und gesellschaftspolitische Verantwortung. Das Handwerk ist der stärkste Ausbilder, hat immer auch über Bedarf für andere in Industrie, Verwaltung und Bundeswehr mit ausgebildet.
Aber gerade zurzeit bräuchten wir selbst alle. Wir sind auf unsere Azubis selbst angewiesen, sonst können wir unsere Kunden nicht versorgen. Wenn aber etwa die Bundeswehr derart aggressive Abwerbekampagnen startet oder Headhunter gezielt bereits auf Schulhöfen auf unsere Azubis zugehen, dann kann ich nur sagen: so nicht. Das ist den Betrieben nicht zuzumuten.
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Was schlagen Sie der Bundesregierung vor?
Wollseifer: Wir sollten die Betriebe von Sozialabgaben befreien – und die Lehrlinge damit auch. Solche Entlastungen wären eine konkrete Anerkennung der Ausbildungsleistung, sie könnten eine wertschätzende Signalwirkung haben. Derzeit ist es so, dass – anders als Azubis – Studenten bis zum 25. Lebensjahr in der gesetzlichen Krankenversicherung über ihre Eltern mitversichert sind, genauso in der Pflegeversicherung.
Die Kosten für den Unfallversicherungsschutz von Studenten werden aus Steuermitteln getragen. Warum also nicht auch bei Auszubildenden? Hier gibt es in der Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung also Ansatzpunkte, um ganz konkret berufliche und akademische Bildung gleichwertig zu behandeln. Und eine solche wirkliche Gleichbehandlung brauchen wir.
Um wie viel Geld geht es?
Wollseifer: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Einer meiner Lehrlinge verdient im zweiten Lehrjahr 685 Euro brutto. Davon gehen ab: Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung. 546 Euro bleiben ihm dann netto. Wir müssen die jungen Leute von Sozialabgaben entlasten, konkret schlagen wir vor, Azubis bei der Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung wie Studierende zu behandeln.
Im Ergebnis hätte der Azubi dann mehr Geld in der Tasche, der ausbildende Betrieb würde entlastet, und der Staat würde zeigen, was ihm die berufliche Ausbildung wert ist. Wenn der Staat so ein Signal senden würde, könnte das dem Handwerk nachhaltig nützen und Ausbildung sicher auch attraktiver machen.