Berlin. Bei der umkämpften Grundsteuer-Reform hat die CSU Sonderrechte für die Länder durchgesetzt. Was jetzt auf Mieter zukommt, ist offen.

Sieht man sich die Grundsteuer-Einigung an, könnte man vermuten, Horst Seehofer habe da mitten in der Nacht seine Finger im Spiel gehabt. Der Innenminister sorgte ja kürzlich mit seinem ironisch gemeinten Spruch für Wirbel, die Politik müsse Gesetze besonders kompliziert machen, um den Widerstand möglichst gering zu halten („Dann fällt es nicht so auf“). Seehofer war beim Gipfel im Kanzleramt jedoch nachweislich nicht dabei, weil er nicht mehr CSU-Chef ist.

Äußerst kompliziert ist das Resultat bei der Grundsteuer dennoch ausgefallen.

Erstens: Es wird ein Gesetz von Bundesfinanzminister Olaf Scholz geben. Zweitens: Für die Reform muss die Verfassung geändert werden, was ohne Zustimmung von Grünen und FDP nicht klappen wird, weil der Koalition die dafür nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat fehlt. Drittens: Jedes der 16 Bundesländer darf von der bundesweiten Regelung, die 2025 eingeführt wird, wieder abweichen, wenn es das möchte. Alles verstanden?

Der Vizechef der CDU/CSU-Truppe im Bundestag, Andreas Jung, brachte das Durcheinander am Montag charmant auf den Punkt. Als Jura-Referendar habe er gelernt, dass ein Kompromiss ein guter sei, „wenn am Ende alle unzufrieden sind“. Die Details der Einigung werden erst nach und nach bekannt werden – aber politisch lässt sich der Durchbruch bereits bewerten.

Worum dreht sich der Streit?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik zur Neuregelung der Grundsteuer-Erhebung verdonnert – und zwar bis zum Jahresende. Jahrzehntelang war nichts passiert. Die Finanzämter berechneten den Wert von 32 Millionen Wohnimmobilien und vier Millionen unbebauten Grundstücken auf Grundlage von Einheitswerten. Im Osten stammten die aus dem Jahr 1935, im Westen aus 1964.

Grundsteuer soll rasch reformiert werden

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    Warum lagen Scholz und die Länder über Kreuz?

    Der Finanzminister war angetreten, um ein einheitliches Modell für ganz Deutschland zur Neubewertung aller Immobilien durchzusetzen. Um deren Wert zu ermitteln, wollte er Kriterien wie Nettokaltmiete, Wohnfläche, Baujahr, Grundstücksfläche, Bodenrichtwert für jede einzelne Immobilie erheben lassen. Das war den Ländern zu aufwendig.

    Bayern pochte darauf, die Grundsteuer nur nach der Fläche zu berechnen, um Bürokratie zu vermeiden. Scholz und die SPD vermuteten dagegen, Bayern wolle durch das Flächenmodell die Grundsteuereinnahmen der bayerischen Kommunen „künstlich“ verringern, um sich beim Länderfinanzausgleich (der regelt, wie viel Geld arme Bundesländer von reichen wie Bayern erhalten) Vorteile zu verschaffen.

    Wie sieht jetzt die Einigung aus?

    Bayern hat sich durchgesetzt. Die von der CSU verlangten Öffnungsklauseln sollen kommen. Scholz saß am Ende am kürzeren Hebel, denn ein Veto aus München hätte die komplette Reform gestoppt. Dann wären den Kommunen bundesweit knapp 15 Milliarden Euro weggebrochen.

    Was sind Öffnungsklauseln?

    Jedes Bundesland kann bei der Grundsteuer seinen eigenen Weg gehen. Genau das kündigten Ministerpräsident Markus Söder und Finanzminister Albert Füracker (beide CSU) an. Der Wert eines Grundstücks soll anders als im Modell von Scholz keine Rolle spielen.

    Damit wird es für die Berechnung der Grundsteuer im Freistaat unerheblich sein, ob ein Grundstück in einer teuren City-Lage, am Starnberger See, auf dem Land oder in einem sozialen Brennpunkt liegt. „In Bayern werden wir nun unser unbürokratisches Einfach-Grundsteuermodell umsetzen“, sagte Füracker.

    Verschafft sich Bayern damit Vorteile im Länderfinanzausgleich?

    Nein. In der Einigung ist vorgesehen, dass Ländern, die eigene Wege bei der Grundsteuer gehen, keine Vor- oder Nachteile entstehen und die Gesamteinnahmen bei knapp 15 Milliarden bleiben. Die Linke schäumte dennoch, der Kompromiss vertiefe die Steuerungerechtigkeit und befördere „bayerisches Sektierertum“, so Linke-Chefin Katja Kipping. Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar sagte unserer Redaktion, die Öffnungsklauseln seien nicht so toll wie von der CSU gepriesen, für die Länder dürfte es nur „kleine Notausgänge aus dem Bürokratie-Dschungel“ geben.

    Droht ein Flickenteppich?

    Das ist offen. Bayern und andere Länder haben angekündigt, den Spielraum zu prüfen. Streng genommen gibt es schon jetzt einen Flickenteppich. Jede Kommune kann über einen Hebesatz festlegen, wie hoch die Grundsteuer ausfällt.

    Unter den 100 größten Städten verlangte das „günstige“ Gütersloh im Vorjahr für einen Vier-Personen-Haushalt 323 Euro Grundsteuer – in Jena waren es 419 Euro, in Braunschweig 424 Euro, in Hamburg 458 Euro, in Essen 568 Euro und in Berlin 686 Euro. Am teuersten war die Grundsteuer in Witten (771 Euro), so eine Studie im Auftrag des Eigentümerverbandes Haus & Grund. Update vom 18. Oktober: Bundestag beschließt Reform der Grundsteuer.

    Steigen die Mieten durch die Reform?

    Darauf gibt es derzeit keine klare Antwort. Eigentümer können die Grundsteuer über die Nebenkosten auf die Mieter umlegen. Dass die jahrzehntelang unveränderte Steuer gerade in nachgefragten Toplagen steigen könnte, liegt auf der Hand. Scholz und andere Politiker sagen, das werde nicht im großen Stil passieren, weil die Mieter ihren Bürgermeistern die Hölle heißmachen würden, sollten die über Gebühr an der Grundsteuerschraube drehen.