Hagen. . Der Rücktritt von Andrea Nahles von Parteiämtern und dem Mandat löst in Südwestfalen sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Ein Überblick.
Die Brisanz der Lage habe sich bei der letzten Fraktionssitzung am Mittwoch im Berliner Reichstag abgezeichnet, sagt René Röspel, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Hagen: „Da stand Andrea Nahles schon schwer unter Beschuss.“ Röspel nennt die von Nahles für Dienstag angekündigte vorgezogene Wahl des Fraktionsvorsitzes „einen Fehler“. Die Frage habe sich gestellt, wie es danach weitergehen sollte. Wichtig sei jetzt, dass es in der SPD wieder solidarisch zugehe und man sich auf Sachthemen konzentriere. Die Besetzung der Fraktionsspitze sei nicht das schwierigste Problem: „Wir haben eine Menge guter Leute.“
Der Bundestagsabgeordnete, selbst schon seit 1998 auf der Berliner Bühne unterwegs, äußerte sich am Sonntag darüber hinaus „tief betroffen von der Entscheidung“. Andrea Nahles sei eine durch und durch politische Frau. Sie habe viel erreicht. Das Bundesarbeitsministerium habe sie erfolgreich geführt, viele Themen umgesetzt (Mindestlohn, Rente mit 63, Gesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen) und etliche vorbereitet, von denen heute Hubertus Heil profitiere (Grundrente, Mindestausbildungsvergütung). Mit Andrea Nahles in führender Position habe die SPD „beim Klimaschutz mehr erreicht als die Grünen“, sagt Röspel mit Blick auf eine aus seiner Sicht ungerechte Abrechnung mit der 48-Jährigen: „Es stimmt, dass sie nicht immer eine gute Performance geliefert hat (Bätschi), aber jetzt alles (schlechte Umfragewerte) auf ihr abzuladen, ist ungerecht.“
Auch „Berliner Blase“ sollte zu Sachtthemen finden
Die Arnsberger SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel kann den Schritt von Andrea Nahles persönlich zwar nachvollziehen, hielt ihn aber keineswegs für notwendig. „Der Schritt war nicht angemessen.“ Sippel setzt darauf, dass der Rücktritt de Partei- und Fraktionsvorsitzenden zum „Weckruf“ taugt: „Ich hoffe, dass nach dem radikalen Schritt von Andrea Nahles nun mehr Menschen in der SPD endlich über Inhalte sprechen“, sagt Sippel mit Blick auf Berlin, aber auch die Länder- bis zur Ortsvereinsebene. Die Sozialdemokratie sollte die zwei, drei wichtigsten Themen jetzt in den Fokus nehmen, auch „in der Berliner Blase“. Mit Blick auf die Umfragen sei nicht die GroKo das Problem, sondern „in einer GroKo bei seiner eigenen Linie zu bleiben.“
Die Stimmung an der Basis war gegen Nahles
Dass das Beben innerhalb der Sozialdemokratie am Ende auch die Regierung erschüttern wird, hofft die Iserlohner Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag zumindest nicht: „Wenn aus der Krise zweier Parteien eine Regierungskrise würde, wäre dies das falsche Signal für unser Land. Unsere Fraktion ist gut aufgestellt und handlungsfähig“, versichert Freitag. Die Sauerländerin macht keinen Hehl daraus, dass sie zu den Nahles-Kritikern gehört. Folgerichtig die Reaktion am Sonntag: „Der Rückzug von Andrea Nahles hat mich heute Morgen kurz überrascht, erschüttert hat er mich nicht. Es war eine von mehreren Optionen, die wir in der vergangenen Woche in internen Kreisen diskutiert haben. Die Fraktionssitzung vergangene Woche war nur der Schlusspunkt einer sich länger abzeichnenden Entwicklung.“
Die Stimmung gegen Nahles habe sich zuletzt immer deutlicher nicht nur in der Berlin, sondern auch in den Ortsvereinen widergespiegelt: „Von meiner Basis war der Tenor, dass wir mit Andrea Nahles unsere guten Ergebnisse in Sachfragen einfach nicht transportiert bekommen.“ Für die nun voraussichtlich doch im September stattfindende Neuwahl des Vorstandes, „fallen mir auf Anhieb fünf, sechs Personen ein, die den Vorsitz gut machen würden.“
Kommissarische Doppelspitze für die Partei?
Dirk Wiese, Bundestagsabgeordneter aus dem Sauerland und Sprecher des konservativen Seeheimer-Kreises, zollt Andrea Nahles „Respekt für die Entscheidung“, die ihn in dieser Konsequenz (auch Abgabe des Bundestagsmandats) überrascht habe. Es gehe nun – am Sonntagabend bei der Entscheidung über den Parteivorsitz (möglicherweise kommissarische die Doppelspitze Dreyer/Schwesig) und am Dienstag in der Fraktion darum, die Weichen neu zu stellen, um wieder aus dem Tief zu kommen: „Die SPD hat nur noch einen Schuss frei!“