Berlin. Was folgt aus der Debatte um das Video des YouTubers Rezo? Ein Medienanwalt erklärt, warum neue Regelungen wohl gefährlich wären.
Die Sätze waren nicht mehr einzufangen: Annegret Kramp-Karrenbauer hat mit ihren Äußerungen zur „Meinungsmache“ im Netz eine Diskussion losgetreten, die ihr heftige Kritik einbrachte. Zwar machte sie später deutlich, dass es ihr nicht um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit gehe, doch die heißgelaufenen Kritiker kümmerte das kaum.
In dem millionenfach geklickten „Zerstörungs-Video“ hatte YouTuber Rezo unter anderem gesagt, die CDU zerstöre „unser Leben und unsere Zukunft“. Ein zweites Video versammelte Dutzende YouTuber mit ähnlichem Tenor.
Kramp-Karrenbauer sagte am Montag nach der Europawahl dann wörtlich: „Die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein.“
Der Berliner Medienanwalt Tim Hoesmann erklärt im Interview, warum für YouTuber der Blick in den Pressekodex lohnen kann und wieso schärfere Regeln verheerende Reaktionen im Netz provozieren könnten.
Herr Hoesmann, welche Regeln gibt es für Meinungsmache im Wahlkampf?
Hoesmann: Zunächst haben wir juristische Regelungen: Volksverhetzung, Beleidigung oder Holocaust-Leugnung sind nicht erlaubt. Ansonsten kann eine Einzelperson alles sagen, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Wenn eine Person aber wie der YouTuber Rezo über eine enorme Reichweite verfügt, agiert sie prinzipiell eher wie ein Medium.
Was folgt daraus?
Hoesmann: YouTuber sollten im Grunde auch presserechtlich-ethische Regelungen kennen, wie sie zum Beispiel im Pressekodex festgeschrieben sind: Dazu gehört zum Beispiel, dass sich Zeitungen im Wahlkampf mit klaren Wahlempfehlungen zurückhalten und alle Parteien zu Wort kommen lassen.
Wer dagegen verstößt, kann vom Presserat gerügt werden, dem droht aber aus guten Gründen keine strafrechtliche Verfolgung. Diese Selbstregulierung der Presse in Deutschland ist eine Lehre aus 1930er und 1940er Jahren, als sich der Staat wie wir wissen zu stark einmischte. Sehr umstritten ist unter Juristen indes, ob für YouTuber auch der Rundfunkstaatsvertrag gilt, der politische Werbung verbietet. Wenn überhaupt greift dieser aber nur bei Live-Streams, das Rezo-Video fiele also so oder so nicht darunter.
Sehen sie Kramp-Karrenbauers Äußerung als „Angriff auf die Meinungsfreiheit“, den ihr Kritiker vorwerfen?
Hoesmann: Nein, definitiv nicht. Ich habe den Eindruck, dass sie sich einfach sehr unglücklich ausgedrückt hat. Vermutlich wollte sie in ihrem Statement auf bestimmte ethische Standards hinweisen, die im Wahlkampf gelten.
Es ist ja so: Mit YouTubern wie Rezo, die sich unmissverständlich politisch äußern, sind grundlegend neue Spieler auf dem Markt gekommen, die eine Reichweite haben, welche früher Medienhäusern vorbehalten war.
Der Unterschied ist nur, dass ein Leitartikel ganz klar als Meinungsbeitrag für den Leser erkennbar und die Darstellung ausgewogen ist. Eine Darstellungsform wie das Rezo-Video ist im politischen Geschäft neu und passt nicht in die Mechanismen, die Kramp-Karrenbauer kennt.
Was können YouTuber und Politiker aus der Debatte lernen?
Hoesmann: YouTuber könnten mitnehmen, dass sie im Prinzip fast alles sagen und fordern können. Wer Wert auf Fairness und Redlichkeit legt, sollte einen Blick in den Pressekodex werfen. Von den publizistischen Grundsätze können auch ihre Videos profitieren: Wahrhaftigkeit, Sorgfalt, unangemessene Darstellung.
Der Gesetzgeber ist gut beraten, Regelungen nicht zu verschärfen. Wie sollten die auch aussehen? Eine Woche vor der Wahl politische YouTube-Videos zu verbieten, wäre fahrlässig. Das würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verheerenden Reaktionen im Netz führen und Kritikern, die von Zensur sprechen, erst recht Argumente liefern.