Jahrelang haben Uni-Professoren und Bildungspolitiker die Schwächen des Bologna-Prozesses ignoriert. Jetzt nach den massiven Protesten der Studenten will es keiner gewesen sein - dabei geht das Bachelor- und Masters-Studium völlig am Bedarf der Gesellschaft vorbei.

Immer noch werden Hörsäle besetzt, immer noch protestieren die Studenten. Der Unmut ebbt nicht ab. Die Bologna-Reform, die das deutsche Hochschulssystem modernisieren sollte, die Abschlüsse europaweit vergleichbar machen und die Berufsaussichten der Absolventen verbessern sollte, ist selbst ein Fall für eine Reform geworden: Zwar gibt es Erfolge, doch aufs Ganze gesehen sind die neuen Studiengänge weniger vergleichbar und schlechter studierbar geworden. Pauken statt Denken.

Plötzlich will es keiner gewesen sein

Zehn Jahre nach dem Startschuss für die Reform an den Universitäten will es plötzlich keiner gewesen sein. Sogar Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und die Hochschulrektoren gehen auf Distanz zu Bologna. Auch NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) schwenkte ein und verabredete mit den Universitätslenkern des Landes Problemerforschung und Verbesserungen. Die Ursachen für die Schieflage schieben die Hochschulen der Politik zu, sie habe die mangelhafte Finanzausstattung zu verantworten. Die Politik schiebt die Verantwortung an die Unis zurück, sie hätten die Reform nicht sinnvoll umgesetzt. Und die Studenten sehen beide in der Pflicht. Was nun?

Man müsse den protestierenden Studenten ja geradezu dankbar sein, dass sie den Verantwortlichen zeigen, wo die Schwächen liegen, verkündeten jetzt die Rektoren der wichtigsten Technischen Universitäten Deutschlands. Ausgerechnet, möchte man sagen. Wenn sie Schwächen gesehen haben, wieso warteten die Professoren zehn Jahre lang auf die Proteste der Studenten? Und: Gerade die technischen Fächer haben jahrelang das Diplom verteidigt und sich mit Händen und Füßen gegen die neuen Abschlüsse gewehrt. So wurde Zeit vergeudet.

Es geht um "Mitspieler"

Den ernsthaft protestierenden Studenten geht es ja im Kern um ein gutes Studium, um Berufsbefähigung und Bildung. Die Gesellschaft benötigt mehr davon, das sagt inzwischen jeder. Es darf dabei aber nicht nur um mehr Absolventen oder schnellere Studienzeiten gehen, um mehr Ingenieure oder Physiker, die für das Wirtschaftswachstum sorgen sollen. Es geht auch darum, die Zahl der „Mitspieler” in unserem Gemeinwesen zu erhöhen, die Zahl derer also, die sich interessieren für die gesellschaftlichen Vorgänge, die das ökonomische und demokratische System verstehen und dafür einstehen. Denn die Zahl derer, die sich von unserem Gemeinwesen verabschiedet haben – ob oben oder unten – ist bereits zu groß. Deshalb ist Bildung wichtig, und deshalb ist das Bologna-Desaster so fatal.