Berlin. Der Verkehrsminister setzt zur Senkung von Treibhausgasen auf Kaufprämien für Elektroautos, neue Kraftstoffe und digitalen Fortschritt.
Als die so genannte Kohlekommission Ende Januar zu ihrer letzten Sitzung zusammenkam, tagte sie fast 21 Stunden am Stück. Am Ende gab es einen dicken Bericht, in dem steht, wie Deutschland künftig ohne Kohleenergie auskommen kann. Aufgelistet ist darin, wann welches Kohlekraftwerk abgeschaltet werden soll, wie viel Entschädigung die Energiekonzerne dafür bekommen und wie steigende Strompreise verhindert werden können. Außerdem sind Maßnahmen aufgelistet, mit denen die Regionen, in denen noch Braunkohle abgebaut wird, den Strukturwandel schaffen können.
Der Zweck der ganzen Unternehmung: Die Bundesregierung muss die Klimaschutzziele erreichen, auf die sie sich international verpflichtet hat. Weniger Treibhausgase wie CO2 sind das Ziel. Der Ausstieg aus der Kohle ist dabei der dickste Brocken. Fast ebenso schwierig aber ist es, den Verkehr in Deutschland klimafreundlicher zu gestalten. Wie können Autofahrer, die Bahn und die Städte zu einer Verkehrswende beitragen?
Die Experten, die sich in den vergangenen Wochen mit diesem Thema beschäftigt hatten, brauchten fast so lange wie die Kohlekommission. Am Montag dieser Woche saßen 20 Vertreter von Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie der Autoindustrie nicht weniger als 17 Stunden lang beisammen. In den frühen Morgenstunden des Dienstag stand dann der Entwurf für einen Bericht, der an diesem Freitag endgültig fertig sein soll. Am Nachmittag soll er dem Spitzengremium der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ übergeben werden.
Das Klimakabinett soll ein Gesetz erarbeiten
Der Bericht soll Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zeigen, wie die Klimaziele im Verkehrssektor erreicht werden können. Scheuer muss dafür demnächst Vorschläge machen, die dann in ein Klimaschutzgesetz von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) aufgenommen werden sollen. Auch Bauminister Horst Seehofer (CSU), Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) müssen sich Gedanken machen, wie sie in ihrem Zuständigkeitsbereich die Klimaziele erreichen können.
So wie es aussieht, wird Scheuer die Vorschläge der Verkehrsexperten nur als Anregung verstehen. Der Bericht sei „eine gute Grundlage für die Erarbeitung des Maßnahmenprogramms der Bundesregierung“, heißt es in einer internen Vorlage des Verkehrsministeriums an Scheuer, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.
Und: Das Ministerium solle „auf Basis des Berichts eigene Vorschläge in die Beratungen des Klimakabinetts einbringen“.
Dieses neu geschaffene Gremium tagt am 10. April das erste Mal. Ihm gehören neben den genannten Ministern noch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) an.
Elektrofahrzeuge sollen mit Kaufprämien attraktiver gemacht werden
Welche Vorschläge Scheuer seinen Kabinettskollegen machen will, steht ebenfalls in der Vorlage, die vom Minister noch abgezeichnet werden muss. Die Maßnahmen umfassen exakt eine Seite. In insgesamt sechs Bereichen will das Verkehrsministerium tätig werden: Personenwagen und Nutzfahrzeuge sollen zur Verringerung der Treibhausgase ebenso beitragen wie alternative Kraftstoffe und die Digitalisierung des Verkehrs. Scheuers Beamte wollen außerdem den öffentlichen Nahverkehr und das Radfahren fördern und mehr Güter auf die Schiene und auf Binnenschiffe verlagern.
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An konkreten Maßnahmen werden Kaufprämien für Elektrofahrzeuge und klimafreundliche Dienstwagen genannt. Auch Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben sollen mit Kaufprämien bezuschusst werden. Für elektrische Pkw und Lkw werden die nötigen Ladesäulen schneller und umfassender aufgebaut. Die Lkw-Maut soll nach dem Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid differenziert werden. Außerdem will das Ministerium die Erzeugung von neuen Kraftstoffen wie Methan und Wasserstoff aus Strom noch stärker fördern. Genannt werden auch der Ausbau des Bahnverkehrs, von S- und U-Bahnen und der Bau von Radschnellwegen.
Experten schätzen Sparpotenzial auf 52 bis 55 Millionen Tonnen Treibhausgase
Alle diese Maßnahmen haben Scheuers Beamte in Millionen Tonnen Treibhausgase umgerechnet, die damit eingespart werden können. Beispielsweise sollen im Bereich Pkw neun bis 13 Millionen Tonnen weniger ausgestoßen werden. Bei Nutzfahrzeugen sollen die Maßnahmen Einsparungen bei Treibhausgasen von 16 bis 19 Millionen Tonnen bringen.
Großzügig verbuchen Scheuers Experten auch den Ausbau des Mobilfunknetzes und digitale Verkehrslenkung als Beitrag zum Klimaschutz: Bis zu acht Millionen Tonnen Einsparungen soll das bringen. Auch die Vorteile durch neue Kraftstoffarten, die das Papier auf acht bis zwölf Millionen Tonnen beziffert, wirken angesichts der aktuellen Verfügbarkeit dieser Treibstoffarten und des Forschungsstands dazu optimistisch kalkuliert.
Alles in allem kommen die Experten im Ministerium auf ein Sparpotenzial von 52 bis 55 Millionen Tonnen. In einer Fußnote machen die Beamten eine Rechnung auf, die ihren Minister positiv stimmen dürfte: Erforderlich sei bekanntermaßen eine Reduktion der im Verkehrssektor produzierten Treibhausgase von 163 Millionen Tonnen auf 98 Millionen Tonnen. Da bereits beschlossene Maßnahmen den Ausstoß der klimaschädlichen Gase schon auf 150 Millionen Tonnen senken würden, reiche die genannte Summe von rund 55 Millionen Tonnen völlig aus: „Durch die Klimaschutzstrategie wird somit das Ziel erreicht.“
Scheuer will Ziele möglichst schmerzfrei erreichen
Dieses Ergebnis steht in gewissem Widerspruch zu den Ergebnissen, die die Verkehrsexperten in ihrer Nachtsitzung Anfang der Woche errechnet hatten. In einem Entwurf für den Bericht, der an diesem Freitag übergeben werden soll, sind zwar eine Reihe der auch in Scheuers Haus genannten Maßnahmen aufgelistet. Es heißt dort aber auch: „Diese Instrumente werden jedoch nicht ausreichen, um das Klimaziel zu erreichen. Es bleibt noch eine signifikante Lücke in Höhe von 16 bis 26 Millionen Tonnen CO2.“
Allerdings steht auf der Titelseite dieses Entwurfs auch, dass der Text keinen abgestimmten Stand wiedergebe. Und: „Alle Zahlen sind als Platzhalter zu verstehen.“ Das eröffnet politischen Spielraum für das, was die Expertengruppen Scheuer am Ende tatsächlich überreichen werden. Seit Wochen schon ist der Verkehrsminister mit der Botschaft unterwegs, dass die Klimaziele möglichst schmerzfrei erreicht werden müssten: „Einschränkungen, Verteuerungen, Verbote, das ist nicht mein Weg“, betont der CSU-Politiker immer und immer wieder.
Deutschland könnte anderen EU-Staaten Verschmutzungsrechte abkaufen müssen
Ob Scheuer mit dieser Haltung und mit seiner Rechnung durchkommen wird, ist offen. Denn die Mengen an Treibhausgasen, die er nicht spart, müssen nach derzeitigem Stand seine Kabinettskollegen aufbringen. An der Gesamtsumme des Klimaschutzbeitrags, die die Bundesregierung bis 2030 liefern muss, ändert sich nämlich nichts: Um 40 Prozent müssen die Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 gesenkt werden. Klappt das nicht, muss Deutschland anderen EU-Staaten Verschmutzungsrechte abkaufen – und das kann teuer werden: Für die bereits unerreichbaren Klimaziele 2020 hat Finanzminister Scholz bereits mehrere hundert Millionen Euro für solche Emissionszertifikate eingeplant.
Bisher ist das nur eine pauschale und vergleichsweise kleine Summe im Bundeshaushalt. Werden die Klimaziele 2030 gerissen, dürften Kosten für Scheuer und Kollegen deutlich höher ausfallen.