Essen. . Professor Bofinger zu Gast beim Politischen Forum Ruhr in Essen: Brexit bietet der EU auch Chancen. Kritik an der Flüchtlingspolitik.
Als Wirtschaftsweiser hat Peter Bofinger gern einmal eine abweichende, eine „links angehauchte“ Meinung vertreten. Nach dem Ausscheiden aus dem Sachverständigenrat, der die Bundesregierung ökonomisch berät, will sich der Professor nun ganz dem Projekt Europa widmen. Wenige Wochen vor der Europawahl folgt der Wissenschaftler der Einladung des Politischen Forums Ruhr. In der Messe Essen richtet Forumsvorsitzender und NRW-Minister Stephan Holthoff-Pförtner einen Appell an die Zuhörer: „Wir müssen aus der Defensive heraus und für Europa streiten.“
Auch Peter Bofinger ist besorgt. „Bricht Europa auseinander?“, fragt er und redet nicht lange um den heißen Brei herum. Auch er hat kein Verständnis dafür, dass die EU den Krümmungsgrad von Gurken regelt. Er vermisst die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit im Euroraum. Einschneidend sei die Migration von mehr als zwei Millionen Flüchtlingen gewesen. „Die EU erwies sich dabei als wenig handlungsfähig“, so Bofinger. Das Prinzip, dass ein EU-Land für einen Asylsuchenden verantwortlich ist, bei dem er erstmals die EU-Außengrenze überschreitet, habe Südeuropa überfordert.
Brexit eröffne auch Chancen
Bofinger warnt aber davor, die EU wegen ihrer Fehler bei der Euro- und bei der Flüchtlingskrise ganz in Frage zu stellen. „Und ist es nicht vor allem so, dass sich Europa auch gut als Sündenbock eignet, um von den tieferliegenden Problemen der Globalisierung und der Digitalisierung abzulenken?“, fragt der Professor spitz. Weil die Briten die EU zum Sündenbock für die Unzufriedenheit mit ihrer wirtschaftlichen Situation gemacht hätten, wollten sie nun die Europäische Union verlassen. „Sie amputieren sich ein Bein, in der Hoffnung, mit einer Prothese besser laufen zu können“, so Bofinger.
Gleichwohl eröffne ein Brexit Chancen. „Ohne Großbritannien haben wir größere Möglichkeiten, die politische Integration voranzutreiben“, sagt er. „Die Probleme, die Großbritannien mit dem Brexit hat, verdeutlichen die Vorteile der EU-Mitgliedschaft und die Naivität, durch einen nationalen Alleingang die Kontrolle zurückgewinnen zu können.“
Bofinger ist überzeugt, dass Deutschland unter dem Strich von der Mitgliedschaft in der EU profitiere. Durch den Wegfall des Wechselkursrisikos habe die Industrie ihre starke Stellung behaupten können.
Arbeitslosigkeit geht zurück
Lobend äußert sich der Professor über die umstrittene Nullzins-Politik von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank. „Der Euroraum ist wieder auf den Wachstumspfad gelangt und die Arbeitslosigkeit geht merklich zurück“, meint Bofinger. Dass Geldanleger kaum noch Zinsen bekommen, nimmt Bofinger in Kauf: „Sparer in Deutschland haben noch nie gute Renditen bekommen.“