Christchurch. Bei Attentaten auf Moscheen im neuseeländischen Christchurch sind 50 Menschen getötet worden. Wir klären die wichtigsten Fragen.
Terroranschläge auf zwei Moscheen haben die Stadt Christchurch in Neuseeland erschüttert. Dutzende Besucher des Freitagsgebetes sind dabei gestorben, zahlreiche weitere Moscheebesucher wurden mit Schussverletzungen in Krankenhäuser eingeliefert. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist beim Terroranschlag in Neuseeland passiert?
Gegen 13.45 Uhr Ortszeit (1.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit) war am Freitag, 15. März, ein Mann in die Al-Nur-Moschee in der Innenstadt von Christchurch auf der Südinsel Neuseelands eingedrungen und hatte in die Menge geschossen. In der Moschee waren 300 Menschen zum Freitagsgebet zusammengekommen. Der Täter hatte offenbar seine Waffen manipuliert, um die Schusskraft zu erhöhen.
Zeugen zufolge trug der Täter einen Helm und eine kugelsichere Weste. Mit einer Helmkamera filmte er den Anschlag und stellte ein 17 Minuten langes Video ins Internet. Als er wieder in sein Auto stieg, lief ein Song von Arthur Brown aus dem Jahr 1968: „Fire“.
Lesen Sie auch: Messerattacke in Würzburg – Hinweise auf islamistisches Motiv
Die erste Zeile des Songs: „Ich bin der Gott des Höllenfeuers. Und ich bringe euch: Feuer.“ Der Attentäter sagte noch, dass er es bedauere, die Moschee nicht mit dem mitgebrachten Benzin angezündet zu haben. Der Kofferraum seines Auto war laut Polizei voller Waffen.
Anschläge auf Moscheen in Christchurch
Kurze Zeit nach dem Angriff auf die Al-Nur-Moschee fielen Schüsse in einer weiteren Moschee in der Stadt mit 375.000 Einwohnern. Es handelte sich dabei um die Linwood Moschee. Nach Angaben der Polizei gab es danach vier Festnahmen. Darunter ist auch der Hauptverdächtige aus der Al-Nur-Moschee.
Die Kricket-Nationalmannschaft von Bangladesch entkam dem Massaker nur knapp. Sie war auf dem Weg in die Moschee, hörte die Schüsse und kehrte um. Nach Angaben der Polizei vor Ort vergingen vom ersten Alarm bis zur Festnahme 36 Minuten.
Wie viele Opfer gibt es?
Zunächst war von 49 Todesopfern die Rede, am Samstag fand die Polizei aber ein weiteres Todesopfer, also sind mindestens 50 Menschen getötet worden. Allein in der Al-Nur-Moschee und davor starben 42 Menschen, darunter mehrere Kinder. Acht weitere wurden in der zweiten Moschee getötet. Nach neuseeländischen Medienberichten sind alle Todesopfer Muslime, im Alter von zwei bis 77 Jahren.
38 weitere Menschen befanden sich am Sonntag noch mit Schussverletzungen in verschiedenen Krankenhäusern, zwei der Verletzten schwebten in Lebensgefahr.
• Alle Entwicklungen im News-Blog:
Auch interessant
Wer ist der Täter?
Der mutmaßliche Täter ist Brenton Tarrant, ein Rechtsextremist aus Australien, der sich nach Angaben seines bisherigen Pflichtanwalts vor Gericht allein verteidigen will. Dem 28-Jährigen droht wegen vielfachen Mordes lebenslange Haft.
Am Freitag hatte es zunächst vier Festnahmen gegeben. Bei drei der Festgenommenen konnte offensichtlich kein Zusammenhang zu dem Verbrechen hergestellt werden. Nach Einschätzung der Polizei hatte er keine Komplizen. Polizeichef Mike Bush sagte am Montag in der Hauptstadt Wellington: „Wir glauben, dass diese furchtbare Tat von einer einzelnen Person begangen wurde.“ Es gebe keine Hinweise darauf, dass der Täter von irgendjemand anderem Unterstützung hatte.
Der mutmaßliche Todesschütze Tarrant wurde von zwei Polizeibeamten überwältigt, nachdem er die zweite Moschee verlassen und sich mit seinem Auto davongemacht hatte. Offenbar hatte er weitere Morde geplant.
Tarrant arbeitet als Fitnesstrainer. Im Internet kursierte ein 74-seitiges Schreiben, das er kurz vor der Tat veröffentlichte. In dem Manifest bezeichnete er sich als „Kind der Arbeiterklasse“. Seine Vorfahren seien Einwanderer aus Schottland, Irland und England.
Die Angriffe auf die Moscheen in Christchurch seien die „Rache für Ebba Akerlund“, so Tarrant. Die zwölfjährige Schwedin gehörte 2017 zu den fünf Todesopfern eines Terroranschlags in Stockholm. Ein islamistischer Attentäter war damals am Steuer eines Lastwagens in eine Menschenmenge gerast. Muslime und Immigranten bezeichnet er in dem Manifest als „Invasoren“, sich selbst als Rassisten. Die Tat übertrug er dann auch mit einer Kamera live ins Internet.
Auf der Suche nach einem Anschlagsziel reiste Tarrant im vergangenen Jahr nach Pakistan. Das legen Fotos nahe, die inzwischen in den sozialen Medien aufgetaucht sind. In seinem Manifest übte Tarrant auch scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wenige haben mehr getan, um Europa zu schaden und es von seiner eigenen Bevölkerung zu säubern.“
Der mutmaßliche Täter sitzt im Untersuchungsgefängnis. Er ist bereits am Samstag offiziell wegen Mordes beschuldigt worden, die Anklage wird aber weitere Punkte umfassen. Im Fall einer Verurteilung wegen vielfachen Mordes muss der Täter lebenslang hinter Gitter.
Zu dem Gerichtstermin am Samstag wurde der mutmaßliche Täter in Handschellen und weißer Häftlingskleidung vorgeführt. Dabei zeigte er das „Okay“-Zeichen in die Kameras. Nach neuseeländischen Medienberichten äußerte er sich nicht zu den Vorwürfen. Der nächste Gerichtstermin ist am 5. April vorgesehen.
Der bisherige Pflichtverteidiger Richard Peters sagte dem „New Zealand Herald“, der Australier habe ihn von seinem Mandat entbunden. Peters äußerte die Vermutung, dass der ehemalige Fitnesstrainer den Prozess als Plattform für seine „ziemlich extremen Ansichten“ nutzen will. „Aufgabe des Richters wird sein, damit umzugehen.“ Tarrant habe auf ihn den Eindruck gemacht, bei klarem Verstand und psychisch stabil zu sein und weder Reue noch Mitleid gezeigt.
Wie reagierte die neuseeländische Regierung?
Die Premierministerin Jacinda Ardern sprach mehrmals von einem „Akt des Terrors“ und zeigte sich erschüttert. Sie sprach allen Angehörigen ihr tiefstes Mitgefühl aus. Am Tag nach dem Attentat besuchte sie Verletzte in Krankenhäusern und eine Einrichtung von Flüchtlingen in Christchurch. Über den Täter sagte sie: „Er hatte absolut die Absicht, seine Attacke fortzuführen“. Weiter sagte sie: „Neuseeland ist in Trauer vereint.“
Die Regierung will als Reaktion darauf die Waffengesetze verschärfen lassen. „Unsere Waffengesetze werden sich ändern“, kündigte Ardern an. Ardern sagte, das Kabinett sei sich „im Prinzip“ über härtere Gesetze einig. Details sollen innerhalb der nächsten zehn Tage folgen.
Der Täter hatte fünf Schusswaffen dabei, halbautomatische Gewehre und Schrotflinten. Er hatte seit November 2017 einen Waffenschein und war auch Mitglied in einem Schützenverein.
In dem Pazifikstaat darf man bislang nach einer Überprüfung durch die Behörden schon mit 16 Jahren Waffen besitzen. Dazu benötigt man einen Waffenschein, muss die Waffen aber nicht alle einzeln anmelden.
Ist das Video des Terrorangriffes von Neuseeland im Internet zu sehen?
Ja,trotz aller Versuche, das 17-minütige Video aus dem Netz zu entfernen, kursiert es dort immer noch. Das Video des wurde mehrfach in sozialen Netzwerken geteilt. Die neuseeländische Polizei bemüht sich jedoch darum, die Verbreitung zu stoppen. Facebook, Twitter und Instagram haben inzwischen die Profile des Attentäters gelöscht.
Facebook hat nach eigenen Angaben in den ersten 24 Stunden nach dem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch 1,5 Millionen Videos der Tat aus dem sozialen Netzwerk gelöscht. „Wir arbeiten weiter rund um die Uhr, um gegen die Regeln verstoßende Inhalte zu entfernen“, twitterte Mia Garlick von Facebook Neuseeland am Sonntag.
Unsere Redaktion hat sich bewusst dazu entschieden, Ausschnitte oder Standbilder des Videos nicht zu zeigen. Zum einen verzichten wir generell auf die Darstellung von Opfern von Gewaltverbrechen, zum anderen wollen wir dem mutmaßlichen Täter nicht die Plattform bieten, die er sich selbst durch die Aufnahmen wohl erhofft hat.
Ist es ein Anschlag von Einzeltätern, oder steckt eine rechtsextremistische Terrororganisation dahinter?
Nach bisherigen Erkenntnissen der Behörden in Australien und Neuseeland gibt es keine direkten Verbindungen zwischen den Attentätern von Christchurch und einer rechtsextremistischen Terrororganisation. Die Ermittlungen stehen allerdings erst am Anfang.
Mehrere französische Medien berichteten, dass der mutmaßliche Attentäter 2017 nach Frankreich gereist sei und sich über eine angebliche „feindliche Übernahme“ Europas durch muslimische Migranten und Flüchtlinge erkundigt habe. Demnach habe er sich von rechten Verschwörungstheorien radikalisieren lassen. Ideologisch zeigt das Manifest des Täters klare Verbindungen zu weltweit agierenden rechtsextremen und rechten Gruppen.
Hat der mutmaßliche Täter Vorbilder?
Der Verdächtige Brenton Tarrant malte Namen von anti-islamischen Vorbildern auf Militärausrüstung und Maschinengewehrmagazine, deren Fotos er über Twitter veröffentlichte. Der bekannteste unter ihnen dürfte Luca Traini sein. Der Italiener schoss im Februar 2018 in Macerata auf Immigranten und verletzte dabei sechs Afrikaner. Ein anderes Vorbild des Attentäters ist Sebastiano Venier, ein gewähltes Oberhaupt (Doge) der Republik Venedig. An der Spitze der sogenannten Heiligen Liga besiegte er 1571 in der Schlacht von Lepanto die Osmanen und verhinderte so deren Vorrücken nach Westen.
Auf einem von Tarrants Magazinen steht der Name der mittelenglischen Stadt Rotherham. Dort wurde 2014 ein Pädophilie-Skandal aufgedeckt. Zwischen 1997 und 2013 wurden dort insgesamt 1400 Kinder und Jugendliche missbraucht. Die meisten Täter stammten aus der örtlichen pakistanisch-britischen Gemeinschaft. Ein weiteres Vorbild suchte sich der Täter in Alexandre Bissonnette. Der Kanadier erschoss 2017 in einer Moschee in Quebec sechs Menschen. Auch weitere solcher Namen finden sich auf den Waffen Tarrants.
Welche Bezüge gibt es zum rechtsterroristischen Anschlag des Norwegers Anders Breivik am 22. Juli 2011?
Sowohl in der Taktik als auch in der Ideologie zeigen sich Parallelen des Attentäters von Christchurch zum
Auch interessant
auf den sich Tarrant in seinem Manifest beruft. Breivik hatte 2011 Dutzende vor allem junge Menschen mit einer Schusswaffe auf der norwegischen Insel Utoya ermordet. Auch er veröffentlichte ein Propaganda-Pamphlet, auch er war klar rechtsextrem motiviert und nutzte Schnellfeuerwaffen und Sprengstoff zum Töten. Zugleich unterscheidet sich das Ziel der Täter: Breivik nahm ein Zeltlager junger Sozialdemokraten ins Visier. Tarrant tötete Muslime in einer Moschee.
Warum der Tatort Neuseeland?
Wenn es ein Land gibt, das ein Heile-Welt-Image hat, dann ist es Neuseeland. Seine Markenzeichen sind eine fantastische Berg- und Meerkulisse, hoher Wohlstand, kaum Kriminalität. Vermutlich war es genau das, was den Attentäter Brenton Tarrant provozierte: „Ich habe mich für Neuseeland entschieden, weil ich beim Training gesehen habe, dass meine Aktion weltweit großes Aufsehen erregen würde“, begründete er seinen Anschlag in seinem 74-seitigen Manifest.
Wie reagieren die Europäer?
Nun wächst auch in Europa wieder die Furcht vor extremistischen Anschlägen. Frankreich und Großbritannien erhöhten am Freitag die Sicherheitsvorkehrungen rund um religiöse Einrichtungen. Der französische Innenminister Christophe Castaner kündigte Kontrollen rund um religiöse Stätten an. Die britische Terrorabwehr erklärte, es werde verstärkt Polizeistreifen im Umkreis von Moscheen geben. In Berlin verwies das Innenministerium darauf, dass eine Erhöhung der Sicherheitsvorkehrungen Sache der Bundesländer sei. Bisher sei dem Ministerium dazu nichts bekannt.
• Der Terrorexperte Peter Neumann im Interview:
Auch interessant
• Kommentar:
Auch interessant
Update: Hatte der Attentäter Verbindungen in die österreichische Rechtsextremen-Szene?
Auch interessant
(mit dpa/aba/les)