Essen. Der Chefausbilder der Uniklinik Essen kritisiert, dass zu viele Leute zum Arzt gehen. Wenn die nicht kämen, bliebe mehr Zeit für akute Fälle.
Eine alternde Gesellschaft benötigt mehr Mediziner. Aber ausgerechnet die Zahl der Hausärzte sinkt dramatisch. Warum es so schwer ist, Nachwuchs-Mediziner zu Hausärzten zu machen und warum Hausarzt dennoch ein Traumberuf ist, erzählt Prof. Stefan Gesenhues im Gespräch mit Matthias Korfmann.
Professor Gesenhues, ist Hausarzt kein Traumberuf? Wollen Medizinstudenten lieber Chirurg oder Internist werden?
Gesenhues: Wenn wir Erstsemester fragen, wer es sich vorstellen kann, Hausarzt zu werden, dann melden sich von 240 Studenten maximal zehn. Am Ende des Studiums sagen in Essen aber 51 Prozent, dass sie sich das vorstellen können. Das liegt daran, dass wir hier die Allgemeinmedizin besonders fördern. Ich schätze, dass in Deutschland etwa 40 Prozent der Studierenden in der Allgemeinmedizin landen. Kein schlechter Wert, aber das reicht nicht.
Warum nicht?
Die Nachfrage übertrifft das Angebot bei Weitem. Es gibt zu viele Fachärzte und zu wenige Allgemeinmediziner. In unserer Praxis in Ochtrup arbeiten neben mir fünf Hausärzte für die Behandlung von ca. 30.000 Patienten pro Jahr. Wir könnten noch drei Ärzte einstellen, aber die gibt der Markt nicht her, und wir anderen arbeiten immer am Limit. Daher gibt es bei uns – wie in vielen Praxen auf dem Land – leider einen Aufnahmestopp für Patienten. Immer mehr Menschen sind ärztlich unterversorgt.
Was reizt Sie am Hausarzt-Beruf?
Es gibt keine schönere Tätigkeit in der Medizin. Nirgendwo sonst ist die Beziehung zum Patienten so eng. Oft betreuen Hausärzte ganze Familien über Generationen hinweg. Viele Studenten meinen zunächst, Hausärzte seien „Trivialmediziner“, zuständig für Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Und dann sehen sie in der Ausbildung, das 90 Prozent aller Gesundheits-Probleme von Allgemeinmedizinern gelöst werden.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagt, NRW nutze den ganzen Werkzeugkasten, um Ärztemangel zu bekämpfen: Neue Medizinfakultät in Bielefeld, mehr Studienplätze in Witten/Herdecke, Angebote für Quereinsteiger aus der Medizin, Prämien und die neue Landarztquote.
Kein Gesundheitsminister in Deutschland unternimmt so viel gegen den Hausärztemangel wie Laumann. Er kann nichts dafür, dass alle Maßnahmen in den Ländern viel zu spät kommen. Der dramatische Hausärztemangel steht uns sogar erst noch bevor. Jeder zweite Allgemeinmediziner ist älter als 55 Jahre, zehn Prozent sind älter als 65.
NRW erleichtert den Weg ins Medizinstudium für Menschen, die sich verpflichten, später zehn Jahre als Landarzt zu arbeiten. Glauben Sie, dass die Landarztquote wirkt?
Die Hürde vor dem Medizinstudium, die Top-Abinote, frustriert viele, die vom Arztberuf träumen. Es ist gut, dass mit der Landarztquote vielleicht auch Schulabgänger mit einem 2,0-Abi Medizin studieren können. Aber ich bezweifele, dass ein 18-Jähriger einschätzen kann, wie und wo er nach zwölf Jahren ärztlicher Ausbildung arbeiten möchte.
Wer den Landarzt-Vertrag später bricht, muss 250.000 Euro Strafe zahlen. Das diszipliniert, oder?
Das ist sehr viel Geld. Aber Kliniken locken heute schon Medizinstudenten mit Stipendien. Dann kommen andere Kliniken und bieten noch bessere Stipendien an. Die jungen Mediziner werden sehr umworben und viele von ihnen werden so gute Verdienstmöglichkeiten haben, dass nicht jeder, der sich heute als Landarzt verpflichtet, später wirklich Landarzt werden dürfte. Und die Frage ist: Halten solche Verpflichtungen möglichen Klagen stand?
Was schlagen Sie vor, um die Versorgung zu verbessern?
Der Zugang zur Arztpraxis ist heute zu niedrigschwellig. Es gehen zu viele Patienten zum Arzt, die es nicht müssten, die vielleicht nur einen leichten Schnupfen haben. Wenn die nicht kämen, dann hätte der Arzt mehr Zeit für jene, die seine Hilfe wirklich brauchen.
Wie kann man das erreichen?
Wir brauchen ein neues Filtersystem für den Arztbesuch. Es gab mal einen – allerdings keinen guten – Filter: die Praxisgebühr. Besser wäre ein neuer Berufsstand in den Hausarztpraxen, der Medizinische Assistent, der die leichten von den schweren Fällen trennt und hilft, ohne gleich den Arzt einbeziehen zu müssen. Medical Assistents werden schon an Fachhochschulen in NRW akademisch ausgebildet, und wir bräuchten viel mehr von ihnen, um die Hausärzte und Sprechstundenhilfen auf dem Land zu entlasten. Gutes Assistenzpersonal unter Leitung des Arztes wäre ein wirksames Mittel, um die Versorgung wieder zu verbessern. Übrigens: In den Niederlanden und in England sind diese Systeme bereits seit langem weitestgehend etabliert.