Berlin. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung beleuchtet das Lebensgefühl der 8- bis 14-Jährigen. Viele sorgen sich um die Familienkasse.

Kinder sind nicht naiv. Selbst wenn sie zu Hause ihr eigenes Zimmer haben, Markenturnschuhe tragen und der Sommerurlaub geplant ist: Viele wissen, dass das nur möglich ist, weil Eltern oft an allem sparen – nur nicht bei ihren Kindern. Die Folge: In Deutschland macht sich mehr als die Hälfte der Kinder zwischen acht und 14 Jahren Sorgen um die Familienkasse, wie eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt.

Die wichtigsten Ergebnisse werden an diesem Dienstag vorgestellt – sie lagen unserer Redaktion vorab vor. Dabei fällt auf: Nicht nur Armutsängste bedrücken viele Grundschüler und Teenager. Erschreckend viele Heranwachsende erleben heute ihre eigene Schule als unsicheren Ort, nicht wenige fühlen sich zudem von Eltern und Lehrern alleingelassen. Was ist da los?

Gymnasiasten haben öfter ein eigenes Zimmer

Auf den ersten Blick geht es den Kindern in Deutschland gut. Für nahezu alle gilt: Es gibt genug zu essen, es gibt Platz zum Spielen, in den Wohnungen mindestens ein Badezimmer und mindestens einen Computer in der Familie. Einen ungestörten Arbeitsplatz dagegen haben jedoch nur neun von zehn Kindern, ein eigenes Schlafzimmer nur acht von zehn.

Immerhin 88 Prozent haben schon mal einen Familienurlaub gemacht. Ein Vergleich nach Schultypen verdeutlicht allerdings, dass der Anteil der Schüler, die mit ihren Eltern Urlaub gemacht und die ein eigenes Zimmer haben, in der Gruppe der Gymnasiasten überproportional hoch ist – im Gegensatz zu Haupt- und Realschülern, Sekundarschülern und Gesamtschülern.

Bertelsmann-Studie – das Wichtigste in Kürze:

  • Jedes zweite Kind hat Angst vor Armut
  • Jeder Dritte fürchtet Gewalt an Haupt-, Sekundar- und Gesamtschulen
  • Fast jeder dritte 14-Jährige fühlt sich allein

Eltern sparen eher nicht bei ihren Kindern

Wie sehr Eltern bemüht sind, ihren Kindern eine auch materiell sorglose Kindheit zu ermöglichen, zeigt die Frage nach Konsumgütern: Mehr als 95 Prozent der Kinder sagen, sie hätten „etwas Schönes zum Anziehen“, genug Geld für Klassenfahrten, zwei gute Paar Schuhe, ein Fahrrad, einen Roller oder Inline-Skates und alles, was sie für die Schule brauchen. Immerhin 82 Prozent der Kinder besitzen Markenkleidung.

„Auch wenn die finanziellen Ressourcen der Familie wenig Spielraum ermöglichen, scheinen Eltern nicht bei den Bedarfen der Kinder zu sparen“, bestätigen die Autoren. Doch Kinder sind eben nicht blind.

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Mädchen etwas stärker besorgt als Jungen

Viele sehen die finanziellen Sorgen der Eltern – und sie empfinden sie auch selbst: „Wie oft machst du dir Sorgen darüber, wie viel Geld deine Familie hat?“, wollten die Studienautoren wissen.

Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Kinder zwischen acht und 14 Jahren macht sich immer, oft oder manchmal Sorgen. Mädchen zeigen sich dabei etwas stärker beunruhigt als Jungen.

Sicherheitsgefühl auf Gymnasien höher

Die Grundschulzeit ist für die meisten Kinder noch eine Zeit relativer Geborgenheit. Acht von zehn sagen in diesem Alter: „Ich fühle mich sicher in meiner Schule“. Nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule ändert sich das deutlich – allerdings nur für Kinder, die es nicht aufs Gymnasium geschafft haben.

Während das Sicherheitsgefühl der Gymnasiasten so stabil ist wie das der Grundschüler, fühlen sich Kinder und Jugendliche in anderen Schulformen deutlich unsicherer: Jeder dritte Schüler in Hauptschulen, Sekundarschulen und Gesamtschulen plagt sich laut Studie mit Ängsten.

Angst vor Gewalt auch auf dem Schulweg

Gewalt, Mobbing und Ausgrenzung in der Klasse oder auf dem Schulhof spielen hier eine Rolle – aber auch die Angst, auf dem Weg zur Schule in unangenehme Situationen zu geraten, Gefahren ausgesetzt zu sein.

Da Sicherheit elementar zum Wohlbefinden gehört, mahnen die Studienautoren, diesen Befund besonders ernst zu nehmen: „Kinder und Jugendliche verbringen sehr viel Zeit in der Schule.“ Sie regen an, mit allen Akteuren in diesen Schulen gemeinsam zu überlegen, wie das Gefühl von Sicherheit für alle erhöht werden kann.

Fast jeder dritte 14-Jährige fühlt sich allein

Die meisten Kinder und Jugendlichen fühlen sich zu Hause geliebt und umsorgt. Doch mit Sorge schauen die Studienautoren auf die anderen: „In meiner Familie gibt es jemanden, der sich um mich kümmert“ – diesen Satz verneinen immerhin gut fünf Prozent der Achtjährigen und damit jedes zwanzigste Kind in diesem Alter. Bei den Vierzehnjährigen ist es sogar jeder Zehnte.

„Meine Eltern verbringen genug Zeit mit mir“ – diesen Satz verneint ebenfalls immerhin jeder zehnte der befragten Kinder und Jugendlichen. Bei den Älteren fällt zudem auf: Die Zahl derjenigen, die immer oder zumindest oft das Gefühl haben, alleingelassen zu werden, ist bei den 14-Jährigen mit rund 30 Prozent am größten. „Überraschenderweise beklagen gerade ältere Kinder häufiger die fehlende Zeit ihrer Eltern“, schreiben die Experten.

Die richtige Portion Nähe zu finden, ist nicht einfach

Doch ist das wirklich so überraschend? Es gibt schließlich viele Gründe, warum die Aufmerksamkeit der Eltern abnimmt: Jüngere Geschwister fordern Zeit und Energie. Hinzu kommt: Je älter die Kinder werden, desto mehr Raum nimmt die Berufstätigkeit der Mütter ein.

Und schließlich signalisieren Teenager nicht immer eindeutig, wie viel Fürsorge, Aufmerksamkeit und gemeinsame Zeit sie sich wünschen – im Gegenteil: Der Abnabelungsprozess läuft, die Freunde werden wichtiger – und es braucht viel Einfühlungsvermögen, um als Eltern jetzt die richtige Portion Nähe auszuhandeln.

Lehrer können Defizite im Elternhaus ausgleichen

Viele der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich aber auch mit Blick auf Vertrauenspersonen in der Schule alleingelassen: Während bei den Achtjährigen nur knapp jeder Fünfte zu wenig Hilfe und Fürsorge wahrnimmt, ist es bei den 14-Jährigen bereits jeder Zweite. „Meine Lehrerinnen und Lehrer kümmern sich um mich und helfen mir, wenn ich Probleme habe“ – ganz fraglos stimmen diesem Satz bei den älteren Kindern nur noch 17 Prozent zu.

Dabei können gerade Lehrer ausgleichen, was im Elternhaus nicht funktioniert. Das zeigen auch die Interviews, die die Studienautoren mit einem Teil der befragten Kinder führten: „Wenn ich Hilfe brauche oder sowas“, sagt eine 14-Jährige dort, „oder gerade, wenn es um mehr zwischenmenschliche Beziehungen geht, da würde ich eher nicht meine Eltern fragen, weil die irgendwie so zu nah an mir selber dran sind.“

Die Studie mahnt deswegen: Die Schule könne als Ort, an dem Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen und in einem anderen Nähe-Distanz-Verhältnis zu Erwachsenen stehen als in der Familie, Möglichkeiten eröffnen, um jungen Menschen vertrauensvolle Zugänge zu Hilfen zu bieten – nicht nur bei Schulthemen.

Was folgt aus der Studie?

Die Autoren beklagen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht regelmäßig befragt und an politischen Entscheidungen beteiligt werden. „Notwendig ist daher eine neue, umfassende und repräsentative Erhebung der Bedarfe von Kindern und Jugendlichen.“ Gerade auch mit Blick auf die Debatte um die Regelsätze von Kindern in Familien im Hartz-IV-Bezug.

Zahlreiche Studien hätten belegt, dass Kindern und Jugendlichen im Grundsicherungsbezug ein „normales“ oder „durchschnittliches“ Aufwachsen verwehrt bleibe und sie nur geringe Spielräume für Bildung und Entwicklung hätten. Politik für Kinder müsse in Zukunft stärker „vom Kind“ her gedacht werden.

Wer wurde befragt?

Im Schuljahr 2017/2018 haben Forscher der Universität Frankfurt für die repräsentative Studie gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung rund 3450 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 14 Jahren befragt.

Rund 44 Prozent der beteiligten Kinder wuchsen in einer Familie auf, in der zu Hause Deutsch gesprochen wird, in rund 41 Prozent der Fälle wurden Deutsch und eine andere Sprache gesprochen. Bei den restlichen 15 Prozent wurde hauptsächlich eine andere Sprache als Deutsch gesprochen.

Knapp jedes fünfte Kind lebte mit einem alleinerziehenden Elternteil zusammen, ähnlich viele Kinder wuchsen als Einzelkinder auf. Befragt wurden Kinder aller Schulformen.

Hintergrund:

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