Essen. Was tun, wenn Lehrkräfte fehlen? Die GEW fordert, Lehrer den Schulen zuzuteilen. Doch es gibt kritische Stimmen, ob das den Lehrermangel löst.
„Es ist dramatisch. Und es wird die nächsten fünf Jahre nicht besser werden“, sagt Schulleiter Martin Nölkenbockhoff. Seine Schule, die Albrecht-Brinkmann-Grundschule, befindet sich in der Dortmunder Nordstadt. Einem Stadtteil, der nicht gerade dafür bekannt ist, dass sich hier sehr viele neue Lehrer bewerben würden. Aktuell kann der Schulleiter etwa 80 Schulstunden pro Woche nicht besetzen, das seien etwa vier ganze Stellen, rechnet er vor, „eine Katastrophe“.
Weil Tausende Stellen vor allem im sozial schwierigen Vierteln unbesetzt sind, fordert die GEW, das bisherige Bewerbungsverfahren zu ändern. Die Gewerkschaft schlägt vor, die bisher üblichen Bewerbungen direkt an den Schulen für drei Jahre auszusetzen und Kräfte gezielt dorthin zuzuweisen, wo die Not am größten ist. Das „schulscharfe Einstellungsverfahren“ solle demnach durch ein „landesweiten Listenverfahren“ abgelöst werden. Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW unterstützt den Vorschlag.
„Eine Listenziehung bringt uns momentan nicht weiter“
Doch Stefan Behlau vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht die Forderung kritisch: „Die Listenziehung wie es sie in den achtziger und neunziger Jahren gab, würde uns momentan nicht ans Ziel bringen.“ Bei dem aktuellen Lehrkräftemangel, „brauchen die Kollegen nur zu warten bis eine Stelle für sie frei ist“. Die unattraktiveren Standorte gingen dann wieder leer aus.
Martin Nölkenbockhoff aus Dortmund kennt das: „Wir hatten bei uns an der Grundschule schon den Fall, dass zwei Stellen im ersten Durchgang nicht besetzt wurden. Und wir hatten den Fall, dass auf eine Sonderpädagogenstelle auch nach dreimaligem Ausschreiben keine einzige Bewerbung einging“, erzählt der Schulleiter. Aktuell seien 86 Prozent der Stellen an seiner Schule zwar gedeckt, allerdings fällt darunter nicht allein der reguläre Unterricht, sondern auch die Stellen für die Ganztagsbetreuung und sogenannte Integrationsstellen für besondere Aufgaben. „Und gerade die sind bei uns besonders wichtig“, sagt der Schulleiter.
Mehr Lehrer gehen in Rente, der Nachwuchs fehlt
Ein weiteres Problem sind die zunehmenden Pensionierungszahlen bei steigender Geburtenrate, heißt es seitens der GEW. Es sei damit zu rechnen, sagt Sprecher Paschert, dass Anfang Februar weitere Lehrkräfte in Rente gingen. Der Lehrer-Nachwuchs ist aber erst im Mai mit der Ausbildung fertig.
Dass Lehrer ausgerechnet an Grund- und Förderschulen fehlen, sei kein Wunder, sagt Nölkenbockhoff. „Wer schlau ist, geht ans Gymnasium. Da verdient er nämlich 500 Euro mehr im Monat als an der Grundschule.“ Zwei Pädagogen haben deshalb gegen die ungleiche Besoldung von Lehrern vor dem nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof Klage eingereicht. Die GEW unterstützt sie dabei. „Obwohl Lehrer seit der Schulgesetzreform 2009 gleich lange und gleichwertig ausgebildet werden“, so Paschert. „verdienen sie nicht gleich. Das ist ungerecht.“ Gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordert auch der VBE.
Der Sozialindex hilft, um neue Lehrstellen zu schaffen
Der Bund hat nun beschlossen, Schulen in benachteiligten sozialen Lagen, besser zu unterstützen. Für das Programm, das vorerst zehn Jahre laufen soll, sind bundesweit 125 Millionen Euro angesetzt, davon zwei Millionen bereits im Haushaltsjahr 2019. Die Länder sollen dabei die Auswahl der Schulen übernehmen.
Das Schulministerium betont, dass die Landesregierung bereits jetzt verstärkt den sogenannten Sozialindex anwendet, um Stellen in Schulen zu schaffen, die aufgrund ihrer sozialen Lage, benachteiligt sind. „Die 600 neuen sozialpädagogischen Fachkräfte an den Grundschulen sind beispielsweise zu 70 Prozent nach dem Sozialindex verteilt worden und zu 30 Prozent nach der Schülerzahl“, so Staatssekretär Mathias Richter. Derzeit werden landesweit aber nur knapp 2800 Lehrerstellen nach einem Sozialindex verteilt.
Martin Nölkenbockhoff ist sich jedoch sicher: „Wenn man Kollegen an Schulen schickt, an die sie nicht wollen, dann merkt man das.“ Entweder die Qualität oder die Quantität leide darunter. Er habe sowohl mit der schulscharfen Einstellung als auch mit der Zuweisung gute und schlechte Erfahrungen gemacht, eine „Mischgeschichte“ könne er sich vorstellen. Das Problem aber sei vielmehr: „Es gibt nix zu verteilen, es sind einfach zu wenig Lehrer auf dem Markt.“
>>>> Maßnahmen der Landesregierung
Im August vergangenen Jahres stellte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ein „zweites Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Lehrerversorgung“ vor. Dieses sieht zum Beispiel vor, dass sich Lehrer, die für den Unterricht an der Sekundarstufe II (Klasse 10 bis 13) ausgebildet wurden, für eine Stelle der Sekundarstufe I (Klasse 5 bis 9) bewerben können und sofort in eine dauerhafte Beschäftigung übergehen. Auch eine schnellere Verbeamtung soll nun für sie möglich sein. Desweiteren soll der Lehrerberuf für Seiteneinsteiger erweitert werden und Pensionäre sollen dazu motiviert werden, ihre Dienstzeit zu verlängern, etwa durch einen Besoldungszuschlag.
Der GEW gehen diese Maßnahmen nicht weit genug. Sie sagt: „Man muss jetzt die Kapazitäten an den Unis ausweiten, denn die können nicht ausreichend ausbilden.“