An Rhein und Ruhr. . Über 14.000 Straftaten in drei Jahren. Clan-Kriminalität ist ein ernstes Problem. Eine stärkere Vernetzung soll im Kampf dagegen helfen.

Ein Polizist geht nach Dienstschluss zu seinem Wagen. An seinem Auto lehnt ein Mann. Er wünscht dem Beamten einen schönen Feierabend und sagt: „Hoffentlich bleibst du gesund.“ Vor der Haustür eines anderen Polizisten lungern drei Männer herum, die er vor einigen Tagen festgenommen hat. „Subtile Bedrohungsszenarien“ nennt der Essener Polizeipräsident Frank Richter das.

Richter wertet solche Zwischenfälle aber auch als Indiz dafür, dass die Nadelstiche gegen die kriminellen Strukturen in den Clans die Szene nervös gemacht haben. Die Repression wirkt. Wie der Kampf gegen die Clan-Kriminalität noch intensiver und effizienter geführt werden kann, darüber sprachen gestern in Essen 560 Experten.

„Es gibt keine rechtsfreien Räume“

„Wir werden den Clans deutlich machen, dass es hier keine rechtsfreien Räume gibt“, betonte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU). Die Zahlen machen die Dimension des Problems deutlich. Zwischen 2016 und 2018 zählten die Ermittlungsbehörden in NRW nach Angaben des zuständigen Abteilungsleiters im Landesinnenministerium 14.225 Straftaten, die dem Clan-Milieu zugerechnet werden. Ein Drittel waren Delikte aus dem Bereich Gewaltkriminalität, darunter 26 versuchte oder tatsächliche Tötungsdelikte.

Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) und Essens Polizeipräsident Frank Richter (r)
Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) und Essens Polizeipräsident Frank Richter (r)

Insgesamt 6.449 Tatverdächtige wurden ermittelt, davon war zur Überraschung der Fahnder rund ein Fünftel weiblich. Rund fünf Prozent der Tatverdächtigen waren Intensivtäter, die für ein Drittel aller ermittelten Straftaten verantwortlich gemacht werden. NRW-weit zählen die Ermittler momentan etwa 100 Clans.

Essen ist die Clan-Hauptstadt in NRW, sagen die Sicherheitsbehörden. In den vergangenen drei Jahren wurden dort mehr als 1270 Straftäter aus dem Milieu ermittelt. Dort führt die Polizei auch beinahe im Wochentakt Razzien durch. Oberbürgermeister Thomas Kufen ist zwiegespalten. „Essen ist die sicherste Großstadt in NRW“, betont er.

„Bewusste Provokation von Stadt und Staat“

Er weiß, dass die Schlagzeilen über die Clan-Machenschaften imageschädigend sind. Sie stehen für Gewalt, Prostitution, Drogenhandel, Geldwäsche, Schutzgelderpressung. Die Tagung zur Clan-Kriminalität „hätte sich die Tourismuszentrale nicht ausgedacht“.

Andererseits gebe es durch die Kriminellen in den Clans eine „bewusste Provokation von Stadt und Staat“. Bedrohliche Zusammenrottungen, Massenschlägereien, Selbstjustiz? Nicht mehr länger hinnehmbar.

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Im Haus der Technik haben sie eine kleine Leistungsschau zusammengestellt, die zeigt, auf welchen Ebenen der Kampf gegen die Clan-Kriminalität geführt wird. Die Gelsenkirchener Polizei klärt über Shisha-Bars auf, häufig Anlaufpunkte oder im Besitz der Szene. Sechzig sind landesweit bereits dicht gemacht worden.

Beleidigung von Polizisten: „Ihr seid ein Witz“

Die Staatsanwaltschaft und die Polizei in Duisburg zeigen banal anmutende Fotos von protzigen Autos, die dort sicher gestellt wurden. Die Szene stellt ihren Reichtum gerne zur Schau. Autos sind Statussymbole. Die Beschlagnahmung von Autos tut weh. Die Abschöpfung von mutmaßlich illegal erwirtschaftetem Vermögen ist eine der schärfsten Waffen gegen die Clans.

Razzia gegen Clan-Kriminalität (2018).
Razzia gegen Clan-Kriminalität (2018).

Die Essener Polizei präsentiert Beleidigungen, mit denen Einsatzkräfte konfrontiert wurden: „Scheiß Bullen, verpisst euch, das ist unsere Straße“ oder „Ihr wollt die Staatsmacht repräsentieren? Ihr seid ein Witz.“ Der Staat versucht, sich wieder Respekt zu verschaffen. Und er versucht, die Clanstrukturen aufzubrechen.

Es sei schwer, in die „Gedankenwelt dieser Strukturen“ einzudringen, die streng hierarchisch geordnet und abgeschottet sind. Auch Gefängnisstrafen seien häufig nicht abschreckend, sagte Frank Richter.

Der Clan-Experte Mathias Rohe sieht die Behörden auf dem richtigen Weg: Es brauche „die Rückeroberung des sozialen Raums“. Er mahnt aber auch: Nur die Zugehörigkeit zu einem Clan bedeute nicht, dass der Betreffende kriminell sei. „Man muss den Eindruck verhindern, dass sich die Repression gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen richtet.“

Abschottung als Überlebensstrategie

Er erklärt auch, warum die Clans abgeschotteter als die Mafia oder Rockerbanden sind. In den Ländern, aus denen sie vor drei Jahrzehnten einwanderten, sei die strikte Loyalität zur Familie häufig eine Überlebensstrategie gewesen. „Der Staat war der Feind.“

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Aus dem Kollektiv auszubrechen, sei schwierig. Man müsse im Dialog mit den Clans auch menschliches Verständnis zeigen. „Diese Leute sind keine Monster.“ Viele Clan-Mitglieder führten ein normales, ein bürgerliches Leben. „Das sind mögliche Brückenbauer“, so Rohe.

Höherer Druck auf die Szene

Bei dem Kampf gegen die Clan-Kriminalität wird ein ganzheitlicher, vernetzter Ansatz gesucht. Polizei, Zoll, Ordnungs- und andere kommunale Ämter, auch Jobcenter, sollen immer enger zusammenarbeiten, auch städteübergreifend.

„Wir müssen unseren Zusammenhalt dem Zusammenhalt der anderen Seite entgegensetzen“, sagte Daniela Lesmeister, die oberste Polizistin in NRW.

In jüngster Zeit haben die Ermittlungsbehörden den Druck auf die Szene deutlich erhöht. Allein in diesem Jahr wurden bei Razzien 245 Objekte kontrolliert. Das zeigt bereits Wirkung, berichtet Frank Richter.

„Der dicke Kern um die Clans hat Risse bekommen“

Es gibt mittlerweile Informanten innerhalb der Clan-Strukturen. „Der dicke Kern um die Clans hat leichte Risse bekommen. Es dringt manches nach außen“, so Richter. Andererseits führe die erhöhte Repression zu einer „sehr viele höheren Aggressivität gegen Beamte“.

Der Kampf gegen die Clans wird lange dauern, da waren sich in Essen alle Beteiligten einig. „Wir befinden uns in den ersten Minuten der ersten Halbzeit“, so Frank Richter. Er gibt sich aber sicher, dass „wir das austrocknen werden.“ Sie haben jetzt ein Konzept für den Schutz ihrer Mitarbeiter aufgelegt. „Am Ende siegt das Gute.“