Berlin. Bahn-Vorstand Ronald Pofalla spricht über die Pünktlichkeitskrise, das Nadelöhr Ruhrgebiet und seine Erwartungen an die Digitalisierung.

Ronald Pofalla empfängt im 26. Stock des Bahn-Towers in Berlin. Von hier sieht die Welt klein aus. Doch die Probleme, die der ehemalige Kanzleramtschef gerade meistern muss, sind riesig. Als Bahn-Vorstand soll er die Pünktlichkeitskrise bewältigen, als Vorsitzender der „Kohlekommission“ die Energiewende schaffen. Und nebenher engagiert sich der 59-jährige Niederrheiner noch in der „Ruhrkonferenz“ der Landesregierung.

Herr Pofalla, Sie sind Bahn-Vorstand, Co-Vorsitzender der „Kohlekommission“ und engagieren sich jetzt auch noch als Verkehrsexperte in der „Ruhrkonferenz“ der Landesregierung. Warum?

Ronald Pofalla: Nordrhein-Westfalen ist das Mobilitätsland Nummer eins. Der Fernverkehr der Bahn befördert weit über 20 Millionen Fahrgäste pro Jahr in NRW. Täglich nutzen an Rhein und Ruhr etwa 1,2 Millionen Menschen unsere Busse und Bahnen im Regionalverkehr. Ohne das Ruhrgebiet und die DB ist Mobilität in Nordrhein-Westfalen nicht denkbar. Ich will im Rahmen der Ruhrkonferenz helfen, in den kommenden Jahren mit der Landesregierung innovative Projekte für den Verkehr anzuschieben.

Woran krankt der Verkehr im Ruhrgebiet?

Im Ballungsraum Rhein-Ruhr mit mehr als fünf Millionen Einwohnern potenzieren sich alle Probleme, die wir bundesweit auf der Straße wie auf der Schiene haben. Die Infrastruktur hat ihre Belastungsgrenze längst erreicht. Die Initiative „Robustes Netz NRW“ von Verkehrsminister Wüst wird hier sicher helfen. Der Streckenabschnitt zwischen Köln und Dortmund ist zum Beispiel die engste Stelle, die wir im gesamten deutschen Schienennetz haben. Die Auslastung liegt hier bei 140 Prozent.

Wie schaffen Sie Abhilfe?

Die Digitalisierung ist auf Sicht die einzige Antwort, um mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen. Unser Programm Digitale Schiene Deutschland schafft Platz, um bundesweit bis zu 20 Prozent mehr Züge fahren zu lassen, ohne einen einzigen zusätzlichen Gleiskilometer zu bauen. Ab Mitte der 2020er Jahre könnte man auf diesem Wege durch die nächste Stufe der Digitalisierung sogar noch einmal 15 Prozent an zusätzlichen Kapazitäten gewinnen. Das wäre ein riesiger Fortschritt.

Was bedeutet „Digitalisierung der Schiene“?

Wir brauchen keine Signale mehr an der Strecke. Die Züge können flexibel computergesteuert auf Bremsabstand hinter einander fahren. So verringern sich Zugabstände und wir gewinnen mehr Kapazität im Netz.

Wie ist der Stand der Digitalisierung in NRW?

In Nordrhein-Westfalen werden bis 2022/2023 bereits mehrere Hundert Gleiskilometer digitalisiert. Beispielsweise auf dem Korridor Emmerich-Oberhausen über Bonn Richtung Basel wird man so mehr Züge fahren lassen können und Verspätungen verringern.

Das kostet viel Geld und wirkt erst mittelfristig …

Wir müssen es jetzt beherzt angehen. Die Grundsatzentscheidung ist auch gefallen. Die wirtschaftlichen Argumente liegen auf der Hand: Wenn man 20 Prozent Kapazität im Netz schaffen wollte, müssten Sie 50 Milliarden Euro für Gleise, Kabel und Signalanlagen verbauen. NRW ist ein Investitionsschwerpunkt der Bahn. Wir investieren hier zwischen 2018 und 2022 bereits rund 5,7 Milliarden Euro.

Was wirkt kurzfristiger gegen Verspätungen?

Die Bahn erprobt auf der hochbelasteten Strecke Köln-Dortmund bereits ein neues Engpass-Management. Das kostet allein auf diesem Abschnitt rund zehn Millionen Euro im Jahr. Unser Ziel: Verspätete Züge sollen pünktliche Züge nicht mehr so oft blockieren und so den Fahrplan noch stärker durcheinander bringen. Spezielle Steuerungsteams sorgen dafür, dass unpünktliche Züge schneller oder langsamer unterwegs sind oder umgeleitet werden.

Was kann das bringen?

Wir wollen zwischen Dortmund und Köln die Pünktlichkeit unserer Fernverkehrszüge um sechs Prozentpunkte steigern, im Nahverkehr um vier Prozentpunkte ebenfalls deutlich verbessern. Auch bei den Baustellen kommen wir voran. Die Störungen durchs Bauen haben um 27 Prozent abgenommen. Wir müssen aber auch die Störungen an den Zügen in den Griff kriegen und so stabiler werden.

Herbststürme, Hitzewelle, Schneechaos – wie wird die Bahn wetterunabhängiger?

Die Digitalisierung macht uns auch wetterunabhängiger. Zurzeit brauchen wir noch bundesweit 400.000 Kilometer Kabel, die bei extremer Hitze oder Kälte angegriffen werden können. Das gleiche gilt für 160.000 Signale, die ausfallen können.

Wie bewegen Sie Autofahrer zum Umstieg auf die Bahn?

Wir machen die Bahn zuverlässiger, bequemer und pünktlicher. Auch schon heute kann es doch keine Alternative sein, zwei Stunden auf der A 40 im Stau zu stehen! Mit Blick auf die Klimaziele geht es auch gar nicht anders. Der Verkehr soll seinen Jahresausstoß an CO2 von 160 Millionen Tonnen bis 2030 auf unter 100 Millionen Tonnen reduzieren. Das funktioniert nur mit Verkehrsverlagerungen auf die Schiene, die schon heute mit einem einen Anteil von 57 Prozent erneuerbarer Energien fährt.