Essen. . Die Finanzen der Ruhrgebietsstädte beginnen, sich zu erholen. Hohe Soziallasten und Berge von Altschulden bleiben aber ein großes Risiko.

Solch gute Zahlen konnte Martin Junkernheinrich noch nie vorlegen. Erstmals in der Geschichte des Kommunalfinanzberichts, der vom Regionalverband Ruhr (RVR) jährlich erstellt wird, sind wesentliche Kennziffern der städtischen Haushalte an der Ruhr wieder positiv. Die Verschuldung geht zurück. Zudem konnten viele Kommunen 2017 Überschüsse erzielen. Dennoch gibt RVR-Finanzexperte Junkernheinrich keine Entwarnung. Die finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte im Revier stecke weiter voller Risiken. Ein Überblick.

Die Lage

Die gute Konjunkturentwicklung, niedrige Zinsen, die Unterstützung durch den Stärkungspakt Stadtfinanzen des Landes sowie erste Entlastungen bei den Sozialausgaben haben erstmals seit vielen Jahren den Städten und Gemeinden im Ruhrgebiet einen Haushaltsausgleich beschert. Der RVR-Bericht verzeichnet sogar einen rechnerischen Überschuss von 126 Euro je Einwohner. Damit liegt das Ruhrgebiet auf dem Niveau der westdeutschen Flächenländer. Gleichzeitig sanken die so genannten Liquiditätskredite um 3,6 Prozent. Angesichts eines Schuldenbergs von knapp 15 Milliarden Euro aus diesen kommunalen Überziehungskrediten ist der Rückgang aber eher symbolischer Natur. Finanzexperte Junkernheinrich spricht dennoch von einem „Prosperitätsweg“, den das Ruhrgebiet eingeschlagen habe.

ONLINE VERSION Pro Kopf Verschuldung im Ruhrgebiet
ONLINE VERSION Pro Kopf Verschuldung im Ruhrgebiet © Miriam Fischer

Die Risiken

Zeit zum Durchatmen hat das Revier trotz der vielversprechenden Eckdaten nach Einschätzung der Experten nicht. Prof. Junkernheinrich warnte am Montag eindringlich davor, die Hände in den Schoß zu legen. Der Überschuss in den städtischen Haushalten sei vor allem steuer- und beschäftigungsgetrieben, sagte er. Junkernheinrich spricht von einem „steuerlichen Honeymoon“ für die Kommunen, dessen Ende aber absehbar sei. „Wir erleben derzeit den längsten Wirtschaftsaufschwung seit Jahrzehnten. Vieles spricht aber dafür, dass der Höhepunkt bald überschritten wird. Es wäre unverantwortlich, die guten Zahlen einfach fortzuschreiben“, so der Lehrstuhlinhaber für Stadt- und Regionalökonomie an der TU Kaiserslautern. Junkernheinrich: „Der nächste Abschwung kommt bestimmt und dann dürfen sich die Finanzen der Revierkommunen nicht wieder in die entgegengesetzte Richtung entwickeln.“ Entscheidend sei, dass die Städte ihre Haushalte konjunkturfest machten.

Das fünffache Dilemma

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Nach Ansicht von Finanzexperte Junkernheinrich steckt das Ruhrgebiet in einer finanzpolitischen Zwickmühle, die sich aus gleich fünf Bausteinen zusammensetzt: geringe Steuerkraft, hohe Sozialausgaben, niedrige Investitionen, hohe Steuersätze und gigantische Altschuldenberge. Ein Beispiel: Bei den Gewerbesteuereinnahmen liegt das Revier fast 27 Prozent unter dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer, im Vergleich der Sozialausgaben aber mehr als 40 Prozent darüber (siehe Grafik). Bemerkenswert auch der Unterschied bei den Altschulden. Nach RVR-Berechnungen sind die aufgehäuften Kredite der Revierkommunen mehr als viermal so hoch wie im westdeutschen Durchschnitt. „Damit wird die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Frage gestellt“, mahnte die RVR-Verbandsleitung.

Der Ausweg

„Die Sanierung der kommunalen Haushalte geht voran. Wir dürfen aber Bund und Land nicht aus der Pflicht lassen, gemeinsam eine Lösung der Altschuldenproblematik zu erarbeiten“, sagte RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel. Der Bund dürfe die Kommunen zudem bei den Kosten für neu beschlossene Maßnahmen im Sozialbereich nicht alleine lassen.

Auch Martin Junkernheinrich sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Allerdings, räumt der Finanzwissenschaftler ein, könne Berlin Bundesgelder nicht direkt nach Oberhausen oder Duisburg überweisen. Das sei verfassungsrechtlich nicht möglich. „Wir brauchen aber eine rechtssichere Lösung für den Abbau der Altschulden“, sagte er. Junkernheinrich schlägt ein Verfahren vor, das es bereits bei der Förderung des Küstenschutzes und des ländlichen Bereichs gibt. Auf diesem Weg könne es eine gezielte Förderung für von hohen Altschulden betroffene Kommunen in ganz Deutschland geben. Eine echte Sonderbehandlung des Reviers, eine „Lex Ruhrgebiet“, hält Junkernheinrich rechtlich für nicht umsetzbar.