Berlin/Dortmund. Marco Bülow verlässt frustriert die SPD. Sein Bundestagsmandat will der Dortmunder behalten. Manche in der Partei weinen ihm keine Träne nach.

Ganz allein sitzt der Rebell in seinem blauen Hemd vor einer mit Hunderten Löchern perforierten weißen Wand. Kein Logo ist in dem kleinen Sitzungssaal in einem Nebengebäude des Bundestages zu sehen. Jeder Hinweis auf seine politische Heimat SPD ist bereits getilgt, der Marco Bülow jetzt mit seinem Parteiaustritt nach 26 Jahren den Rücken kehrt. Fast 40 Minuten trägt der Dortmunder vor, warum er die Partei verlässt. Es ist eine knallharte Abrechnung mit der SPD-Spitze und der Arbeit der großen Koalition, die der Parteilinke Bülow seit Jahren als Hauptgrund für den Niedergang der Sozialdemokratie ausgemacht hat.

Die Parteiführung hält er für unbelehrbar. „Die SPD ist nicht in der Lage, sich zu erneuern.“ Trotz unglaublicher Verluste bei den Wahlen gebe es nur Lippenbekenntnisse und ein Weiter-so. Die SPD sei von Angst getrieben, vor Neuwahlen, vor der Union, vor Lobbyisten. Die von Andrea Nahles angeführte Fraktion sei zu einem stromlinienförmigen „Karriereverein“ verkommen, kritische Geister würden unterdrückt.

Bülow war in der Tat zunehmend isoliert, nur noch wenige Abgeordnete wechselten ein Wort mit ihm. „Er hat sich nie einbinden lassen. Der Graben war zuletzt beidseitig ziemlich groß“, sagte gestern ein Fraktionskollege. Nahles‘ Leute straften ihn mit Missachtung, gaben ihm keine Redezeit im Parlament. Im Sommer hatte Bülow den Gründungsaufruf der von Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht ins Leben gerufenen linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ mitunterzeichnet, zuletzt kämpfte er für einen vorgezogenen SPD-Parteitag und einen Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz, um Nahles zu stürzen.

Die Überraschung und Enttäuschung, dass der Einzelkämpfer sein Parteibuch zurückgibt, hält sich daher in Berlin in Grenzen. „Er war ein ständiger Störfaktor“, sagte ein bekannter SPD-Mann. Der Leverkusener Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach attestierte Bülow „Selbstmitleid pur“ und verwies auf den Widerspruch, dass Bülow immer einen Linkskurs verlangt habe, aber in einem Moment austrete, in dem die SPD mit Hartz IV breche. Der Zeitpunkt der Entscheidung stößt vielen in der Fraktion sauer auf.

Buchautor und Hoffnungsträger

Johannes Kahrs, der Sprecher des konservativen Parteiflügels, wird deutlich: „Der Typ ist kein Verlust. Eine ewige Ich-AG. Der hat mit der SPD noch nie was zutun gehabt.“ Das ist natürlich überzogen. Wer wie Bülow vier Mal infolge seinen Wahlkreis Dortmund I direkt gewann, zuletzt 2017 mit 38,8 Prozent der Erststimmen, muss einen ganz guten Draht zu den Bürgern haben. In der „roten“ Hochburg Dortmund galt Marco Bülow einst als Hoffnungsträger der Partei. Als er 2002 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, war er gerade Anfang 30. Bülow war nie der Typ für Hinterzimmerpolitik. Das gefiel vielen. Mit seinem Buch „Wir Abnicker“, einer Fundamentalkritiker am Berliner Politik-Betrieb, machte er 2010 als Rebell mit Hang zum Spielverderber auch bundesweit auf sich aufmerksam.

Von der eigenen Parteibasis war der 47-Jährige zuletzt enttäuscht. Nach den Pleiten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen habe er einen Aufstand erwartet, gegen die Parteispitze und die GroKo. Nichts sei passiert. Da sei ihm klar geworden, dass er austreten müsse. Gerade in NRW werden das nicht alle verteufeln. „Marco Bülow vertritt Positionen, die viele in der Dortmunder SPD teilen“, sagt ein Dortmunder Sozialdemokrat. Bülow habe aber von sich aus den Kontakt zu seinem Unterbezirk nach und nach abgebrochen.

Ein Stuhl ganz weit hinten

Auch die Dortmunder Parteispitze reagiert zumindest offiziell nicht scharf. „Wir bedauern diesen Schritt von Marco Bülow. In der Sache waren wir oft einig, häufig jedoch unterschiedlicher Meinung über den besten Weg, um unsere Ziele zu erreichen“, heißt es in einem unter anderem von Nadja Lüders, der Dortmunder Parteichefin und Generalsekretärin der Landes-SPD unterzeichneten Papier.

Zum Ärger auch der Dortmunder Genossen will Bülow sein Mandat behalten: „Mein Chef ist die Bevölkerung“, sagt er. Auf die Frage, ob er zur Linkspartei wechseln könnte, wird Bülow schmallippig. Er müsse sich erst einmal sammeln. Im Bundestag wird er ein „Outlaw“ sein, so wie Ex-AfD-Chefin Frauke Petry, die nach ihrem Parteiaustritt von ihren einstigen Fraktionskollegen gemieden wird und auf einem einzelnen Stuhl sitzen muss. Ganz weit hinten.