Berlin. Die SPD will Hartz IV „hinter sich lassen“. Doch was bedeutet das eigentlich? Wird Hartz IV abgeschafft? Das muss man jetzt wissen.

Unter dem Druck von immer tiefer sinkenden Umfragewerten will die SPD den Befreiungsschlag wagen und sich von den Hartz-Reformen distanzieren. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, kündigte Parteichefin Andrea Nahles am Wochenende auf dem Debattencamp der SPD an.

Doch was bedeutet das? Wird Hartz IV jetzt komplett abgeschafft? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum möglichen Kurswechsel der Sozialdemokraten.

• Warum plant die SPD den Abschied von Hartz IV?

Mit den Hartz-Gesetzen plagt sich die SPD seit 15 Jahren. Sie sind einer der Gründe, weshalb die Linkspartei so stark geworden ist und die Sozialdemokraten so schwach. Teile der SPD haben sich nie mit Hartz IV und den Reformen der Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder abfinden können. Die Partei hat Hartz IV deshalb nie geschlossen verteidigt.

Gerhard Schröder (l.) hatte Hartz IV im Zuge seiner Agenda 2010 eingeführt – Merkel verteidigt die Maßnahme.
Gerhard Schröder (l.) hatte Hartz IV im Zuge seiner Agenda 2010 eingeführt – Merkel verteidigt die Maßnahme. © dpa | Peer Grimm

Parteichefin

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gehörte früher zu den scharfen Kritikern der Reformen. Später, als Bundesarbeitsministerin (2013 bis 2017), lobte sie den großen Anteil der Agenda-Reformen an der „erfolgreichen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit“.

Die SPD habe dafür aber „einen hohen Preis gezahlt“. Die Hartz-Gesetze ließ Nahles als Ministerin weitgehend unangetastet. Jetzt versucht sie offenbar eine politische Kehrtwende.

• Was soll denn anders werden?

Das ist noch unklar.

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Konkreter wurde sie nicht. Auch die Formulierung, dass die SPD Hartz IV „hinter sich lassen“ werde, bedeutet streng genommen nicht, dass Hartz IV abgeschafft wird.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nannte in einem Interview mit dem „Focus“ einige Punkte, an denen es Veränderungen geben könnte. Ein Beispiel: Jemand, der seinen Job verloren hat und sich in einer Weiterbildungsmaßnahme befindet, solle nicht „nach zwölf Monaten in die Grundsicherung rutschen“. Klingbeil will damit Arbeitnehmern die Abstiegsängste nehmen und eine neue Sicherheit geben.

Andrea Nahles brachte ein Ende von Hartz IV ins Gespräch.
Andrea Nahles brachte ein Ende von Hartz IV ins Gespräch. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Auch die Sanktionen für jugendliche Hartz-IV-Empfänger will die SPD abmildern – das aber schon seit längerem. Juso-Chef Kevin Kühnert sagte jetzt, er wolle mehr Unterstützung für Kinder in Hartz-IV-Familien, damit sie nicht in Armut leben müssen. Auch soll das private Vermögen von Empfängern länger verschont bleiben.

Kühnert warb außerdem dafür, Sanktionen durch positive Anreize zu ersetzen. „Wer Anreize schaffen will, der sollte diese positiv ausgestalten, beispielsweise durch stärkere Vergünstigungen bei der Nutzung von Freizeitangeboten“, sagte er der „Rheinischen Post“. Bei Verstößen sollten diese Vergünstigungen wieder gestrichen werden.

Kühnert forderte eine Abschaffung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger, die beispielsweise einen Termin im Jobcenter verpassen. Eine Grundsicherung könne niemals relativierbar sein, sagte der Juso-Chef.

Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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• Wie schnell soll Hartz IV geändert werden?

Das ist ebenfalls unklar. Die „Sozialstaatsreform“, die Nahles nun fordert, zielt auf das Jahr 2025. Das wäre in sieben Jahren.

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(SPD), der aktuell in der schwarz-roten Koalition für das Thema zuständig ist, sieht zwar die Notwendigkeit, dass sich die SPD vom Begriff „Hartz“ distanziert. Er hat auch gesagt, man müsse „Hartz IV“ schnell „in die Werkstatt schieben“. Zu konkreten Änderungen an den Gesetzen hat er aber noch nicht gesagt.

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Heil war bisher Unterstützer von Hartz IV: In der Zeit von Schröders Agenda-Reformen war er SPD-Generalsekretär. Vor allem aber sind der SPD durch ihren Koalitionspartner die Hände gebunden: Mit CDU und CSU wird es keine schnellen Änderungen geben.

Experten wie der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, der früher für die SPD Arbeitssenator in Hamburg war, warnen vor grundlegenden Korrekturen.

Und: Den Begriff „Hartz IV“ aus dem Sprachgebrauch zu tilgen, dürfte nach 15 Jahren so gut wie unmöglich sein. Offiziell heißt die Sozialleistung nämlich schon seit jeher „Grundsicherung“.

• Wurde Hartz IV überhaupt schon geändert?

Die Reformen wurden bereits in einigen Punkten nachgebessert. Beispielsweise rutschen keineswegs alle Arbeitslosen nach einem Jahr sofort in Hartz IV. Nur wer noch nicht 50 Jahre alt ist oder weniger als 30 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, erhält maximal ein Jahr lang Arbeitslosengeld.

Kevin Kühnert will die Sanktionen bei Hartz IV abschaffen.
Kevin Kühnert will die Sanktionen bei Hartz IV abschaffen. © dpa | Gregor Fischer

Ab 55 Jahren kann es bis zu 18 Monate gezahlt werden und ab 58 Jahren sogar für 24 Monate. Erst dann würde die Grundsicherung greifen. Auch das Vermögen, das Empfänger von Hartz IV für ihre private Altersvorsorge behalten dürfen, wurde erhöht.

Gescheitert sind bislang alle Forderungen, die Regelsätze für Hartz IV spürbar zu verändern. An ihrer Höhe wollte auch SPD-Chefin Nahles in ihrer Zeit als Arbeitsministerin nichts grundlegend verändern.

Debatte um Hartz IV

Die Debatte in der SPD ist nicht neu. Im März

Grünen-Chef

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