Düsseldorf. . Für obdachlose Frauen fordert die Diakonie Notschlafstellen und Einrichtungen. Sie stellen inzwischen ein Drittel der 32.000 Betroffenen in NRW.

Eher wäre Isa Dickers auf die Straße gegangen als in eine Notschlafstelle zusammen mit Männern. „Unter Männern zu leben, hätte ich nicht durchgestanden.“ Die 61-Jährige hatte Glück in ihrem Unglück: Als sie durch eine schwere Krankheit ihre Wohnung verlor, fand die Düsseldorferin Hilfe in einem Frauen-Wohnheim der Diakonie. Einem von nur fünf seiner Art im ganzen Land.

Viel zu wenig, sagt das Diakonische Werk Rheinland Westfalen Lippe (RWL) und hat das mit einer Studie untermauert. Nach der Befragung von betroffenen Frauen und Mitarbeiterinnen in den rund 260 eigenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe fordert Diakonie-Vorstand Christian Heine-Göttelmann: „Wir brauchen dringend mehr Notübernachtungsstellen, Wohnhilfen und Beratungsangebote in NRW, die sich gezielt an Frauen richten.“

Isa Dickers bekam von ihrem Mann „mehr Prügel als Essen“

42 Prozent der wohnungslosen Frauen gaben an, bereits Gewalt und sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Nicht unbedingt auf der Straße: Dort landen die wenigsten weiblichen Wohnungslosen, die zunächst private Netzwerke ausnutzen. Aber in früheren Lebensphasen. Bei Isa Dickers etwa liegt eine kurze Ehe mehr als 40 Jahre zurück, in der sie „mehr Prügel als Essen“ bekam. Bis heute kann sie laute Männerstimmen nicht ertragen, „dann sitze ich weinend in der Ecke“. Unvorstellbar für sie, Küche und Toilette mit männlichen Obdachlosen zu teilen.

In der Düsseldorfer Einrichtung „Icklack“ lebt die 61-Jährige nun seit Juni 2017 in einer Wohngemeinschaft mit fünf anderen Frauen. Sie lernte dort, „wieder selbstständig zu leben“ und würde gern „ein normales Leben führen, wenn ich eine Wohnung fände. Aber das ist schwer.“ Bis zu zwei Jahre dürfen die Frauen, im Schnitt zwischen 18 und 65 Jahre alt, eigentlich bleiben, immer weniger aber schaffen den Rückweg in den Wohnungsmarkt.

Zahl der Wohnungslosen stieg um knapp 30 Prozent

Denn der ist eng: Die Zahl der Wohnungslosen im Land stieg von 2016 auf 2017 um knapp 30 Prozent auf mehr als 32.000 – jeder dritte Betroffene ist weiblich. Bei den Unter-18-Jährigen wuchs ihre Zahl gar um die Hälfte. „Die Wohnungsfrage ist eine entscheidende geworden“, sagt Heine-Göttelmann. Und: „Wohnungslosigkeit ist keine selbst gewählte Lebensform“, sagt Roland Meier, Vorstand des zuständigen Fachverbands innerhalb der Diakonie. „Es gibt keine Tippelschwestern“, die bewusst Konventionen entfliehen. „Hinter jedem Notfall steht eine tragische Lebensgeschichte.“

Bei Isa Dickers war es der Tod der Schwester, der die gelernte Masseurin vollends aus dem Tritt brachte. Aus einer schweren Depression konnte sie sich allein nicht mehr befreien, unternahm mehrere Suizidversuche. 40 bis 50 Prozent der wohnungslosen Frauen, auch das ergab die Studie, sind psychisch krank. Eine Notschlafstelle sei da keine Hilfe, weiß man bei der Diakonie: „Eine Notschlafstelle ist keine Unterkunft“, sagt Roland Meier, es gebe dort keine Chance der Reintegration.

Wenige Notschlafstellen nur für Frauen

Zumal es von 31 Notschlafstellen in Trägerschaft des evangelischen Wohlfahrtsverbands nur sechs gibt, die allein Frauen offenstehen. Drei davon im Ruhrgebiet, in Duisburg, Mülheim und Dortmund, in ländlichen Gebieten aber so gut wie gar keine. Eine stationäre Einrichtung wie das „Icklack“ in Düsseldorf besteht im Revier lediglich in Duisburg.

„Das Thema“, sagt Christian Heine-Göttelmann, „ist größer als die Parkbank.“ Die aber sei das Wenige, was viele Menschen vom Problem der Wohnungslosigkeit wahrnähmen. Dabei: „Es kann nicht mehr als Randthema betrachtet werden.“ Die Konkurrenz einkommensschwacher Menschen auf dem Wohnungsmarkt sei inzwischen „riesengroß“. Und das gelte besonders für Frauen. „Sie suchen bei uns nicht nur ein Obdach“, sagt Icklack-Chefin Stefanie Volkenandt, „sondern auch Schutz vor Ausbeutung und Übergriffen.“

Die Diakonie RWL will nun ihre eigenen Angebote überprüfen. Und die Kommunen in die Pflicht nehmen. „Wir können“, sagt Vorstand Heine-Göttelmann, „Frauen in Not nicht einfach sich selbst überlassen.“