Fukushima/Essen. . Ein Mediziner der Uniklinik Essen erforscht in Fukushima, am Ort einer atomaren Katastrophe, eine neuartige radioaktive Therapie für Krebskranke.
Schon zum fünften Mal in diesem Jahr ist Wolfgang Sauerwein nun in Japan. Wie oft er insgesamt hier war? Das weiß er nicht, er hat aufgehört zu zählen. Japan ist für den Essener sowas wie eine zweite Heimat geworden. Denn seit vielen Jahren erforscht er hier gemeinsam mit seinen japanischen Kollegen eine neue Strahlentherapie, bei der mit atomarer Strahlung Tumorzellen bekämpft werden sollen. Und das an dem Ort, an dem es vor sieben Jahren zu einer der größten atomaren Katastrophen der Geschichte gekommen ist: Fukushima.
Therapie richtet Neutronen gezielt auf Krebszellen
Auch wenn man es an solch einem Ort nicht glauben mag, „aber atomare Strahlung kann auch positiv genutzt werden“, macht Sauerwein, Japan-Beauftragter der Medizinischen Fakultät der Universitätsklinik Essen und Strahlentherapeut, deutlich. Stolz präsentiert er in Fukushima das erste Bestrahlungsgerät, mit dem in einem Krankenhaus Patienten behandelt werden können.
Bei der Bor-Neutronen-Einfang-Therapie werden gezielt Neutronen auf Krebszellen gerichtet. „Während bei anderen Strahlentherapien auch gesundes Gewebe beschädigt wird, werden bei dieser Therapie einzelne Tumorzellen selektiv vernichtet, ohne gesunde Zellen zu zerstören“, erklärt der Professor. Vor der Bestrahlung werden die Tumorzellen durch ein Medikament markiert, wodurch die Neutronen diese gezielt zerstören können. Zum ersten Mal kann diese Methode nun in einem Krankenhaus und nicht nur in einer Forschungseinrichtung realisiert werden. „Wir befinden uns bisher aber trotzdem noch in der Forschung“, erklärt Sauerwein beim Rundgang durch das Southern Tohoku General Hospital, mit dessen Hilfe er die Therapie schon seit vielen Jahren erforscht.
Der Behandlungsraum im Southern General Hospital ist unscheinbar und klein. Einige Lampen lassen den Raum in einem warmen Licht erstrahlen. Zur Anschauung lässt Sauerwein die Liege, auf der die Patienten während der Bestrahlung liegen, in den Raum einfahren und sagt: „Am oberen Bereich der Liege ist eine durchsichtige Gesichtsmaske angebracht. Dort legt der Patient seinen Kopf rein, damit er sich während der Behandlung nicht bewegen kann und so die Neutronen gezielt auf die betroffene Stelle strahlen können.“ Wichtig sei dabei, dass der Tumor nicht weiter als sechs Zentimeter unter der Haut liegt, so dass gewährleistet werden könne, dass kein gesundes Gewebe zerstört wird. Eine Bestrahlung in dem kleinen Raum dauert eine halbe bis eine Stunde.
Viele Fachleute belächelten die Idee zunächst
Auf die Idee kam Sauerwein bereits 1990 in Paris auf einem Kongress. Ein junger Japaner stellte dort als erster die neue Therapie vor. „Er hat hier in Japan als erster Arzt weltweit angefangen, mit dem neuen Molekül Patienten zu bestrahlen. Von vielen Kollegen wurde er nur belächelt, aber ich war von Anfang begeistert von der Idee.“
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Nach langer Forschung in Essen und in Japan können Sauerwein und das Southern Tohoku General Hospital nun bereits erste Erfolge feiern, einige Patienten konnten in Fukushima sogar schon geheilt werden. In Euphorie möchte Sauerwein trotzdem nicht ausbrechen. Schließlich seien die Erfolge noch nicht repräsentativ. „Ich würde mir wünschen, dass das Thema etwas mehr Fahrt aufnehmen würde und wir auch noch mehr Unterstützung aus Europa bekommen würden, um diese Therapie auch weltweit zu verbreiten“, sagt Sauerwein. Dafür fehle aber häufig das Geld. Eine Maschine, so wie sie in Fukushima steht, koste insgesamt 50 Millionen Euro. „Mein Traum wäre natürlich trotzdem, so eine Maschine auch in Essen stehen zu haben.“
4000 Menschen starben beim Unglück von Fukushima
Vor sieben Jahren verloren über 4000 Menschen ihr Leben durch das Reaktorunglück von Fukushima. 44.000 Evakuierte, die damals in unmittelbarer Nähe des Reaktors lebten, können noch immer nicht zurück in ihre Heimat. Die Strahlung ist dort nach wie vor zu hoch. Die meisten von ihnen haben die Präfektur Fukushima komplett verlassen. Denn: „Der geplante Rückbau des Atomkraftwerks wird noch 40 Jahre dauern“, wie ein Sprecher der Stadt berichtet.
Tatsächlich sind seit der Katastrophe die Strahlenwerte in weiterer Entfernung vom Unglücksort deutlich zurückgegangen. So wird in Iwaki, das etwa 20 Kilometer vom Reaktor entfernt liegt, heute eine Strahlung von 0,06 Mikrosievert pro Stunde gemessen – zu Großstädten wie Berlin (0,07) und New York (0,05) gibt es da kaum Unterschiede.