Düsseldorf/Essen. . Experten sehen in NRW großes Rekrutierungspotenzial. Die Szene wandelt sich – auch weil normale Bürger mit auf die Straße gehen.

Gespenstische Szenen in Mönchengladbach: Ein Donnerstag im September, 250 Männer und Frauen aus der rechten Szene marschieren auf. Anlass ist der Suizid des polizeibekannten Marcel K., Mitgründer des rechtsextremen Bündnisses „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa). Am selben Tag laufen durch Dortmund-Dorstfeld 100 Personen, schwarz-weiß-rote Fahnen schwenkend. Sie skandieren: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“

Es sind Momente wie dieser, die Extremismusforscher in Nordrhein-Westfalen beunruhigen. „Es sind Risse in der Gesellschaft spürbar“, sagte Philipp Sanke. Er ist seit knapp einem Jahr Leiter der vor zehn Jahren geschaffenen Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus (LKS) und beobachtet als solcher die rechte Szene intensiv. Diese habe sich in jüngerer Vergangenheit gravierend verändert: „Rechtsextreme haben Netzwerke geschaffen, in denen sie sich schnell austauschen und organisieren können“, sagt Sanke. Nicht zuletzt durch soziale Medien gelänge es rechten Gruppen zudem immer mehr, auch Bürger aus der Mitte der Gesellschaft zu erreichen.

Szene hat wieder an Fahrt aufgenommen

Diese Entwicklung irritiert selbst Fachleute. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Szene in den vergangenen Jahren wieder so an Fahrt aufnehmen konnte“, sagt Lenard Suermann. Der 38-Jährige arbeitet seit 2012 bei der mobilen Beratungsstelle gegen rechts in Düsseldorf, er berät und betreut Schulen und Firmen - mit zunehmender Nachfrage: Seit 2015 habe es über 300 Beratungsfälle gegeben, so Suermann. Eine Ursache für den Auftrieb rechter Strömungen ist Suermann zufolge, dass diese Gruppen inzwischen andere Themen besetzen und ihre Ansichten nicht zuletzt durch den Einzug der rechtsnationalen Partei AfD in deutsche Parlamente salonfähig geworden ist. „Über Jahre vermieden es Rechtspopulisten, öffentlich über die angeblich so großartige deutsche Geschichte zu sprechen. Weil sie wussten, dass man ihnen widersprechen würde. Das ist jetzt völlig anders“, erklärt er.

Wenn junge Mütter auf hartgesottene Rechte treffen

Rechte erreichten mit ihren Parolen mehr und mehr die Mitte der Gesellschaft. Inzwischen erscheine es „völlig okay, dass man neben sichtbar harten Rechtsextremen steht und gemeinsam für eine Sache demonstriert“, sagt Beate Küpper, Konfliktforscherin an der Hochschule Niederrhein. Als Beispiel nennt sie die selbst ernannte Bürgerbewegung „Mütter gegen Gewalt“. Organisatoren nutzen Ängste vor Kriminalität, um gegen Zuwanderer mobil zu machen. Bei Demonstrationszügen in Duisburg liefen Pegida-Mitglieder und Radikale neben Senioren und jungen Frauen.

Ein Grund dafür ist nach Ansicht der Beobachter die intensive Arbeit rechter Gruppen in sozialen Netzwerken. Akteure schalteten sich strategisch auf breiter Front in Debatten ein, um diese zu beeinflussen. Meinungen vor allem zur Asylpolitik würden immer schärfer formuliert und fänden trotzdem Anklang: „Da sind kulturrassistische Aussagen dabei, die mit einem friedlichen demokratischen Miteinander nicht vereinbar sind“, macht Lenard Suermann klar.

Suermann beobachtet zudem, dass Rechtsradikale innerhalb kurzer Zeit mobilisierten. Das gelte etwa für Fußball-Hooligans: „Wir haben in NRW starke Strukturen, was den Fußball betrifft.“ Die Szene sei in der Lage, spontan tausende Personen zu organisieren. Besorgniserregend sei die Hasskriminalität, so Konfliktforscherin Küpper. „Die machen nicht einmal mehr vor Journalisten, Unterstützern von Flüchtlingen oder Sanitätern Halt.“

Das Gegeneinander verhindern

Auch politisch motivierte Straftaten von rechts sind auf weiter hohem Niveau. 3764 Straftaten wurden 2017 vom Verfassungsschutz verzeichnet. Dabei machen 73,4 Prozent Propagandadelikte oder Volksverhetzungen den überwiegenden Anteil an Straftaten aus.

Die Forscher sehen Politik und Zivilgesellschaft in der Pflicht, einen weiteren Rechtsruck zu unterbinden. „Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Wir müssen lernen, miteinander umzugehen“, fordert Philipp Sanke. Suermann ergänzt, dass Bund und Land den Fokus nicht zu sehr auf die Migrationspolitik, sondern auf soziale Fragen und Herausforderungen legen müssten. „Es sollte deutlich gemacht werden, was demokratische Politik ist. Dann verhindert man auch das ständige Gegeneinander.“