Berlin. Der Präsident des Rechnungshofs, Kay Scheller, beklagt im Interview einen zu nachlässigen Umgang der Bundesregierung mit Steuergeldern.
Seit 2014 gelingt es der Bundesregierung jedes Jahr, keine neuen Schulden aufzunehmen. Doch trotz der schwarzen Null steigen die Ausgaben immer weiter – im kommenden Jahr auf mehr als 350 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof in Bonn sieht in der Haushaltspolitik viele Missstände: Der Staat müsse jetzt Steuervergünstigungen auf den Prüfstand stellen, fordert der Chef der Prüfbehörde, Kay Scheller.
Die Bundesregierung schwimmt im Geld. Spart sie auch genug?
Kay Scheller: Die Bundesregierung betreibt eine expansive Ausgabenpolitik und weitet nicht nur im Sozialbereich viele Leistungen aus. Sie muss darauf achten, dass sie ihre Schulden tilgt und zugleich in die Infrastruktur investiert. Die Steuern sprudeln, die Zinsen sind niedrig. Die Konjunktur brummt, und wir haben nahezu Vollbeschäftigung. Aber es gibt mehrere Unsicherheitsfaktoren: Demografie, Brexit, Atomausstieg, Zinsen.
Wie sorgfältig geht die Bundesregierung mit den Rekordeinnahmen um?
Scheller: Sie macht zumindest seit Jahren keine neuen Schulden. Das ist positiv. Aber die Bundesregierung läuft Gefahr, mit ihrer jetzigen Ausgabenpolitik künftige Haushalte stärker zu belasten. Das macht mir schon Sorgen. Wir erwarten von der Politik einen Dreischritt: Tilgen, Konsolidieren, Investieren. Und Konsolidieren und Investieren sind dabei am wichtigsten. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir die Infrastruktur zukunftsfest machen. Wir haben marode Straßen, marode Brücken und marode Schienen. Und Konsolidieren heißt: Wir müssen steuerliche Vergünstigungen immer wieder auf den Prüfstand stellen.
Bleiben wir bei der Schiene. Die Deutsche Bahn ist eine 100-prozentige Unternehmenstochter des Bundes – und in der Dauerkrise. Was ergeben hier Ihre Prüfungen?
Scheller: Wir stellen immer wieder fest, dass die Bahn die Bundesmittel für den Schienenwegebau unwirtschaftlich einsetzt oder zweckwidrig verwendet. Die Infrastruktur wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren. Wir können uns aber nicht zu allem äußern. Zwar können wir prüfen, wie einzelne Baumaßnahmen bei der Bahn ablaufen. Die Bahn selbst können wir aber nicht prüfen, sondern nur, wie die Ministerien ihre Aufsicht über die Bahn wahrnehmen. Das ist zu wenig. Bei der Bahn läuft offensichtlich einiges schief. Der Erneuerungs- und Finanzierungsaufwand ist enorm. Der Staat muss seiner Aufgabe als Eigentümer und Aufseher über die Geschäfte der Bahn besser gerecht werden. Da ist zuletzt zu wenig passiert.
Was muss sich ändern?
Scheller: Der Bund sollte wieder mehr Finanzkontrolle über die Bahn erhalten. Er gibt Milliarden Euro, aber das Unternehmen entscheidet über die Verwendung des Geldes. Der Einsatz der Mittel durch die Bahn ist teilweise intransparent. Der Bundesrechnungshof muss die Finanzen der Bahn umfassend kontrollieren können. Sie ist zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes und bekommt derzeit rund sechs Milliarden Euro Zuschuss pro Jahr aus Steuergeld. Die Verwendung dieses Geldes müssen wir prüfen können.
Ist es überhaupt zu rechtfertigen, dass der Bund die Bahn laufend finanziell unterstützt?
Scheller: Früher hatte die Bundesbahn den gesetzlichen Auftrag der Daseinsvorsorge. Diese Verantwortung hat nun der Bund. Die Privatisierung der Bahn war mit der Hoffnung verbunden, sie zu einer Art Cashcow zu machen. Sie sollte regelmäßig Überschüsse erwirtschaften und an den Bundeshaushalt abführen. Das hat bekanntermaßen nicht funktioniert. Wenn der Bund nun das laufende Geschäft der Bahn wieder mit vielen Milliarden Euro unterstützt, dann wäre es konsequent, dass er auch besseren Einblick erhält. Gewinnmaximierung und weltweite Unternehmensbeteiligungen vertragen sich schlecht mit dem Auftrag des Bundes, verlässliche Schienenmobilität für die Bürger sicherzustellen.
Ziemlich intransparent ist auch die Steuergesetzgebung – für den Rechnungshof ein Dauerthema. Ist die Politik hier unfähig zur Reform?
Scheller: Gerade in Zeiten der Hochkonjunktur muss die Bundesregierung klären, ob die vielen Steuervergünstigungen noch ihre ursprünglichen Ziele erreichen. Es kann mit dem Ausnahmewildwuchs bei der Stromsteuer, der Dieselsteuer und der Mehrwertsteuer nicht ewig weitergehen.
Ist eine einheitliche Mehrwertsteuer die Lösung?
Scheller: Das zu fordern, ist nicht meine Aufgabe. Ich frage mich aber, ob alle Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer noch Sinn ergeben. Sieben Prozent auf Gänseleber, aber 19 Prozent auf verpacktes Mineralwasser – wer soll das verstehen? Wir sehen an dem System der Mehrwertsteuer, wie gut jeweils eine Lobbygruppe gearbeitet hat. 1968 wurden erstmals Güter des lebensnotwendigen Bedarfs steuerreduziert. Seitdem hat sich diese Maßnahme verselbstständigt. Die berühmte Hotelsteuer ist das beste Beispiel.
Warum?
Scheller: Die seit 2010 geltende Steuerermäßigung auf Hotelbetriebe hat keinerlei Effekt gezeigt. Sie sollte die Wettbewerbssituation Deutschlands im europäischen Vergleich stärken. Aber dafür war diese Steuervergünstigung völlig irrelevant. Die Bürger übernachten in Bayern doch nicht signifikant günstiger als in Österreich. Die Maßnahme hat ihren Zweck verfehlt. Wenn der Staat freiwillig auf Einnahmen verzichtet, muss es einen sichtbaren Effekt geben. Den gibt es in dem Übernachtungsgewerbe nicht. Haushaltspolitisch ist die Hotelsteuer nicht zu rechtfertigen. Diese Ermäßigung von geschätzten 1,4 Milliarden Euro im laufenden Jahr gehört definitiv auf den Prüfstand.
Vor Kurzem ist bekannt geworden, dass das Verteidigungsministerium pro Jahr bis zu 150 Millionen Euro an externe Berater zahlt. Darf es das?
Scheller: Die Kernaufgaben eines Ministeriums müssen von den Beamten des Ministeriums geleistet werden. Da muss der Sachverstand sitzen. Hier darf nicht ausgehöhlt werden. Der Staat muss sich genau fragen, welche Aufgaben er an Externe abgibt. Das Verteidigungsministerium gibt in der Tat viel Geld für Beratungsleistungen aus. Wir haben dem Ministerium unsere Prüfungsergebnisse mitgeteilt und erwarten eine Stellungnahme. Ein abschließendes Urteil kann ich daher nicht fällen.
Gibt es die Häufung an externen Beratungsleistungen auch in anderen Ministerien?
Scheller: Wir beobachten diesen Trend seit vielen Jahren. Manche Ministerien nehmen immer häufiger externe Beratungsleistungen in Anspruch. Auch die Ministerien für Inneres, Finanzen und Verkehr fallen hier auf. Das ist für uns ein großes Thema. Der Staat begibt sich in Teilen in eine Abhängigkeit von Beratungsunternehmen. Er muss aber unabhängig bleiben und sich Kernkompetenzen erhalten, auch wenn manche Probleme komplizierter werden. Er darf bestimmtes Wissen nicht an Unternehmen auslagern. Man sollte eines nicht vergessen: Die Berater bekommen ihre Gehälter nicht vom Staat, sondern von ihren Firmen.
Besonders beliebt ist der Rechnungshof nicht bei der Regierung. Werden Sie auch mal bei Ihrer Arbeit behindert?
Scheller: Ich persönlich habe noch keine Behinderung bei meiner Arbeit erlebt. Manchmal versucht man, den Prüfern das Leben schwer zu machen. Da heißt es dann: Ihr dürft hier nicht hinein, ihr habt keine Prüfungsrechte. Dann müssen wir auch mal Verwaltungsakte erlassen, um zu unserem Recht zu kommen.
• Zur Person: Das ist Kay Scheller
Kay Scheller wurde 1960 in Kiel geboren, wo er auch sein Jura-Studium absolvierte. Seine berufliche Laufbahn begann er 1991 als Referent in der Schweriner Staatskanzlei, danach wechselte er ins Bundesministerium für Frauen und Jugend, später ins Bildungsministerium. 1997 bis 1999 arbeitete Scheller für Helmut Kohl im Bundeskanzleramt, später für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2014 verständigten sich die Spitzen von Union und SPD auf Scheller als Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Rhöndorf bei Bonn, wo auch Konrad Adenauer wohnte.