Sulaymaniyya. Die Bundesregierung hilft dem Irak beim Zurückdrängen des „IS“. Freiwillige Kämpfer riskieren dabei an der Seite der Kurden ihr Leben
In der Lobby des Hotels Dolphin in der kurdischen Stadt Sulaymaniyya hängen Flaggen aus aller Herren Länder und kitschige Meeresbilder an den Wänden. Hier, in dieser einfachen Absteige im Norden des Irak, begann für Martin Klamper im Juli vergangenen Jahres die Reise in den Krieg, die ihn in die Schlacht um das syrische Rakka und die Kämpfe in Afrin führen sollte.
Seine Reise endete vor wenigen Wochen in einem schmucklosen Verhörzimmer im Frankfurter Flughafen. Die Geschichte des früheren Bundeswehrsoldaten ist die eines Idealisten, und sie zeigt exemplarisch, wie schwer sich der deutsche Staat mit Menschen tut, die ihr Leben im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) riskiert haben.
Manche Kämpfer sind linksradikal, manche unpolitisch
Seit 2014 sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums 240 Menschen aus Deutschland in den Krieg gegen den „Islamischen Staat“ nach Syrien und in den Irak gezogen. Manche von ihnen stammen aus linksradikalen Organisationen, andere, wie Klamper, sind eher unpolitische Menschen.
Mindestens vier starben bislang: die 19-jährige Ivana Hoffmann aus Duisburg, der 21-jährige Kevin Jochim aus Karlsruhe, der 24-jährige Anton Leschek aus Magdeburg, der bei einem türkischen Luftangriff ums Leben kam, und der 55-jährige Günter Helsten, der wie Martin Klamper früher Bundeswehrsoldat war.
Das war der Terror in Paris
Er war nur ein Jahr bei der Bundeswehr
Martin Klamper ist nicht der richtige Name des jungen Mannes aus Nordrhein-Westfalen. Seine Geschichte ist nicht in allen Details überprüfbar, viele Fotos belegen aber, dass er vor Ort war, seine Erzählungen decken sich mit Ereignissen in der Region. Der schlanke, fast schlaksige 22-Jährige mit dem dünnen Vollbart wirkt introvertiert, wägt seine Worte ab. Er ist kein Prahlhans.
Ende 2016 steht Klamper, der insgesamt nur ein Jahr bei der Bundeswehr war, auf der Brücke der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“. Das Schiff patrouilliert im Rahmen der Mission „Sophia“ auf dem Mittelmeer, der Auftrag: Bekämpfung von Menschenschmugglern, Rettung von Schiffbrüchigen. Klamper, damals 21, hat viel Zeit nachzudenken. „Ich habe mich gefragt, woher die Flüchtlinge kommen und ob es nicht besser ist, die Ursachen für ihre Flucht zu bekämpfen anstatt die Schleuser.“
Er sieht sich Videos des „Islamischen Staates“ an, der Terrororganisation, die seit 2014 weite Teile Syriens und des Iraks im Würgegriff hält. Er ist entsetzt und wütend zugleich angesichts der Gräueltaten der Fanatiker. Im Frühjahr 2017 sind die Dschihadisten bereits überall auf dem Rückzug. Klamper beschließt trotzdem, in die Region zu reisen, um sie zu bekämpfen. Er quittiert seinen Dienst bei der Bundeswehr und macht sich auf den Weg.
„Sie haben uns ein bisschen an der Kalaschnikow ausgebildet“
Klamper fliegt nach Sulaymaniyya, er hat im Internet gelesen, dass das Hotel Dolphin die Anlaufadresse für die ausländischen Freiwilligen ist. Tatsächlich trifft er dort einen Österreicher, mit dem er sich auf den Weg in die Shingal-Region im äußersten Nordwesten des Irak macht. Die Region war bis zum Sommer 2014 das Hauptsiedlungsgebiet der jesidischen Minderheit, die von den Dschihadisten besonders brutal verfolgt wurde.
Er schließt sich in der Kleinstadt Khanasor der YBS an, einer jesidischen Miliz, die nach dem Überfall des IS als Selbstverteidigungseinheit gegründet wurde. Ausgebildet und bewaffnet wurden die rund 1500 Milizionäre von den militärischen Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit vielen Jahren im Südosten der Türkei für die kurdische Autonomie kämpft und dort, wie in Deutschland auch, als Terrororganisation gilt. Klamper erhält seinen Kampfnamen: Sidar Sengal.
„Sie haben uns ein bisschen an der Kalaschnikow ausgebildet und uns Ausrüstung gegeben“, erzählt er. Wenige Wochen später kommt der Einsatzbefehl. Es geht nach Rakka, die syrische Hauptstadt des IS, die zu dieser Zeit hart umkämpft ist. Die Hauptlast der Kämpfe trägt die syrisch-kurdische Miliz YPG. Sie ist der engste Partner der US-geführten Koalition im Kampf gegen den IS. Auch sie gilt als PKK-nah.
„Ich wollte denen einfach nur helfen“
Die Türkei bezeichnet sie ebenfalls als Terrororganisation. Die allermeisten Freiwilligen aus Deutschland kämpfen in den Reihen der YPG. „Mich interessiert Politik nicht. Ich habe mich zwar mit der Ideologie beschäftigt, aber nur weil ich wissen wollte, was diese Menschen antreibt, mit denen ich kämpfe. Ich wollte denen einfach nur helfen“, betont Klamper.
Deutschland hat ein merkwürdiges Verhältnis zur YPG. Die Miliz ist zwar nicht als Terrororganisation gelistet. Ihre Abzeichen, die amerikanische Spezialtruppen in Syrien auf dem Arm getragen haben, dürfen aber seit März vergangenen Jahres nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Besonders Bayern verfolgt Verstöße hart, dort wurden bereits Dutzende Verfahren gegen Menschen eingeleitet, unter anderem weil sie auf Facebook Zeitungsartikel teilten, die mit YPG-Abzeichen illustriert waren.
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagt, dass nach „vorläufiger Bewertung“ die YPG der PKK zugerechnet werde. Diese Einschätzung würde bedeuten: Menschen, die mit der YPG gekämpft haben, stehen unter Terrorverdacht. Der Einzelfall entscheide, so der Sprecher.
Unter ständigem Beschuss
In Rakka wird Klamper in heftige Kämpfe verwickelt. Seine Kameraden und er stehen unter ständigem Beschuss, manchmal hört er das „Allahu Akbar“ der Dschihadisten direkt aus nahen Häusern. Anfangs hat er eine Höllenangst. „Man gewöhnt sich aber an die Schüsse und die Schreie. Nur an das Blut habe ich mich nicht gewöhnt. Ich habe so viel Blut gesehen.“ Der Gegner flößt ihm Respekt ein: „Das waren keine Hampelmänner, die waren taktisch und operativ sehr gut.“ Er lernt, mit dem Scharfschützengewehr umzugehen.
„Ich weiß, dass ich manchmal getroffen habe. Ich weiß aber nicht, ob ich jemals einen Menschen getötet habe. Ich will es auch nicht wissen.“Mitte Oktober 2017 ist Rakka befreit. Zerschossen, zerbombt, eine Ruinenstadt, aber befreit. Einige Monate später geht es für Klamper nach Afrin. Der kleine kurdische Kanton im Nordwesten Syriens wird zu dieser Zeit von der YPG kontrolliert.
Im Januar 2018 startet die türkische Armee eine Militäroffensive gegen Afrin, unterstützt von islamistischen Milizen. Ein Angriff, der aus Sicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags völkerrechtswidrig war. „Ich wollte da eigentlich nicht hin, die Türkei ist ja ein Nato-Verbündeter“, sagt Klamper. Aber da waren auch die islamistischen Milizen, die sich kaum vom IS unterscheiden. Klamper bricht auf.
Sein bester Freund ist ein Spanier
In einem Bus, den ein iranischer Soldat steuert, werden der Deutsche und andere ausländische Freiwillige durch vom syrischen Regime kontrolliertes Gebiet nach Afrin gebracht. Unter den Ausländern sind Spanier, Franzosen, Iren, Engländer, Norweger, Neuseeländer, Amerikaner, darunter Klampers bester Freund, ein Spanier namens Samuel Prada Leon. Bei den Kämpfen lernt er den Mut der kurdischen Frauen schätzen: „Diese Kämpferinnen haben mehr Eier als Männer. Sie sind unglaublich tapfer.“
Am 10. Februar dieses Jahres stirbt Leon zusammen mit dem Franzosen Olivier Francois Jean Le Clainche bei einem Luftschlag. „Ich bin kein Mensch, der Emotionen zeigt, ich heule innerlich. Aber das war sehr schwer für mich.“ Wenige Tage später wird Klamper bei einem Mörsergranaten-Angriff verletzt, es ist sein 22. Geburtstag. Als auch die junge Britin Anna Campbell stirbt, befehlen die Kurden den Ausländern den Rückzug. Mitte März fällt Afrin.
„In Katar habe ich mich erst mal mit Haribo vollgestopft“
In den Monaten danach wird Klamper in Deir ez-Zor im Südosten Syriens eingesetzt, wo die kurdisch dominierten Demokratischen Streitkräfte Syriens (SDF) mit Unterstützung von amerikanischem, britischem und französischem Militär gegen die Reste des „Islamischen Staates“ vorgehen. Klamper und die anderen werden mit amerikanischen Transportern an die Front gebracht.
Wieder kämpft er. Wieder sieht er einen Freund sterben, der von einer Sprengfalle zerfetzt wird. Im Juli entscheidet sich Klamper, dass es nun genug ist. Er will wieder nach Hause. „Diese Leute waren meine Familie. Das Shingal-Gebirge wurde zu meiner zweiten Heimat. Es war sehr schmerzhaft, sie zu verlassen.“
Er reist wieder nach Sulaymaniyya und fliegt am 15. August über Katar nach Deutschland. „In Katar habe ich mich erst mal mit Haribo vollgestopft, das hatte ich so vermisst.“ Am Frankfurter Flughafen greift ihn die Polizei ab. Er hat Abzeichen der YPG und der YBS mitgebracht, als Andenken. Gegen Martin Klamper wird ein Verfahren eingeleitet wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation.
Bislang 120 Rückkehrer aus dem Irak und Syrien
Er versteht nicht, warum. Er bereut nichts: „Mir war klar, dass ich den Krieg nicht gewinnen oder beenden kann. Aber dass wir Ausländer gekommen sind, hat die Menschen glücklich gemacht. Es war für ihre Moral unglaublich wichtig, dass wir für sie da waren.“
Bislang sind 120 Menschen aus dem Irak und Syrien zurückgekehrt, die mit den Kurden gegen den IS gekämpft haben. Zwei werden als Gefährder eingestuft. Gegen wie viele ermittelt wird, will die Bundesanwaltschaft nicht sagen. Das bayerische Landeskriminalamt sagt: Gegen alle, die zurückkommen.
Das Verfahren gegen einen aus Bayern stammenden Deutschen, der 2015 auf Seiten der YPG kämpfte, wurde zwar eingestellt. Noch heute bereitet ihm sein Einsatz aber Ärger. „Ich wollte dieses Jahr nach Thailand. Am Flughafen in München musste ich mich komplett ausziehen, wurde gefilzt und verhört.“ Es sei ja richtig, sagt er, „dass alle, die aus Syrien kommen, genau überprüft werden“. Die Repressalien sind ihm aber zu viel geworden, deswegen ist er jetzt ins Ausland gegangen.
Die Repressalien sind ihm aber zu viel, er lebt jetzt im Ausland. Das Landeskriminalamt in NRW sagt: Wer sich der kurdischen YPG anschließe, erfülle den Anfangsverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Einen Prozess gegen Martin Klamper gibt es aber noch nicht.