Kigali. Der afrikanische Staat gilt als entwicklungspolitisches Musterland. Daran haben Frauen ihren Anteil. Es ist eine Erfolgsgeschichte mit Haken.
Die rote Baya macht einen Höllenlärm, als sie in den Hof einfährt. Routiniert parkt Claudine Nyiramajyambere die schwere Maschine rückwärts ein, steigt ab, setzt den grünen Helm ab und begrüßt Sandrine Nikuze, die ihr bei der Erfüllung ihres Traums geholfen hat. Frau Nyiramajyambere, 43, ist Motorrad-Taxifahrerin in Kigali, der Hauptstadt Ruandas. Der kleine Staat gilt, obwohl noch immer bettelarm, aus entwicklungspolitischer Sicht als ein Musterland Afrikas. Frauen haben an der Erfolgsgeschichte einen erheblichen Anteil.
Auch interessant
Frau Nyiramajyambere ist eine kleine, zierliche Frau mit schmalem Gesicht. Während sie leise von sich erzählt, spielt sie nervös mit ihrem goldenen Smartphone. Sie spricht Kinyarwanda, eine der vier Amtssprachen in Ruanda. „Ich habe es immer geliebt, Motorrad zu fahren, schon bevor ich Mutter wurde.“
Lange Zeit musste sie sich als Straßenverkäuferin durchschlagen. Dann traf sie auf Sandrine Nikuze und brach in eine Männerdomäne ein. Es gibt 30.000 Motorrad-Taxifahrer in Kigali. Nur fünf von ihnen sind Frauen. Das ändert sich.
Sandrine Nikuze ist 22. Sie war noch nicht geboren, als radikale Hutus und ihre Gefolgsleute im Jahr 1994 in Ruanda innerhalb von nur hundert Tagen knapp eine Million Tutsis und gemäßigte Hutus ermordeten. Nach dem Völkermord gab es in Ruanda erheblich mehr Frauen als Männer. Die Frauen nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand, viele machten Karriere in Politik, Justiz und Wirtschaft.
Die allmächtige Regierungspartei RPF hat die Gleichberechtigung zu einem zentralen Bestandteil ihrer Politik gemacht. Ruanda erntet viel Lob dafür, dass beispielsweise das Parlament mit 64 Prozent den höchsten Frauenanteil weltweit hat. Dass die Abgeordneten so gut wie machtlos sind, geht dabei fast immer unter.
Sandrine Nikuze arbeitet bei SafeMotos, einem kleinen Start-Up, das eine App entwickelt hat, die das Fahrverhalten der Motorrad-Taxifahrer kontrolliert, es also sicherer macht, und sie mit Kunden zusammenbringt. 400 registrierte Fahrer hat das 2014 gegründete Unternehmen bereits. Ähnliche Start-Ups wie dieses finden sich immer häufiger in Kigali.
„Es macht mich stolz, dass ich Frauen helfen kann“
Das autokratische Regime unter dem charismatischen Präsidenten Paul Kagame will Ruanda in den nächsten Jahren zum Drehkreuz für IT-Technologie in Ostafrika ausbauen. Internationale Geberländer wie Deutschland, das zwischen 2017 und 2020 über 100 Millionen Euro Entwicklungshilfe an Ruanda zahlt, unterstützen die digitale Offensive.
Ein wirtschaftlich prosperierendes Ruanda ist ein stabiles Ruanda, so die Hoffnung. Bislang hat das Land die Geber nicht enttäuscht. Zwischen 2011 und 2016 lag das durchschnittliche Wirtschaftswachstum bei 7,2 Prozent. Noch immer ist das Land aber eines der ärmsten der Welt.
Nikuze leitet bei SafeMotos ein Programm, in dem speziell Fahrerinnen trainiert werden. „Frauen fühlen sich sicherer, wenn sie mit Frauen fahren“, sagt sie mit einem breiten Grinsen. Für die freundliche junge Frau mit den kurzen Dreadlocks ist das Programm auch ein Beitrag zur besseren Gleichberechtigung: „Es macht mich sehr stolz, dass ich Frauen helfen kann, ihr eigenes Geld zu verdienen. Es gibt aber noch viel zu tun.“
„Ich kann jetzt meine Kinder unterstützen“
Aktuell sind 47 Frauen in dem Programm. Claudine Nyiramajyambere war die erste Frau, die das Training absolvierte. Das Start-Up stellte ihr danach die Ausrüstung und das Motorrad aus indischer Produktion. Auch wenn sie für jede Fahrt eine Gebühr an das Unternehmen entrichten muss, verdient sie deutlich mehr als früher, täglich rund 7000 ruandische Franc, umgerechnet etwa sieben Euro. „Ich kann jetzt mein Haus finanzieren und meine Kinder unterstützen.“
Nach Sake wird Claudine Nyiramajyambere wohl niemals mit ihrem Motorrad fahren, obwohl die Kleinstadt nur 45 Kilometer Luftlinie südöstlich von Kigali liegt. Die Hauptstadt Ruandas ist eine moderne Metropole, mit nervösem Verkehr, fast klinisch sauber, voller klimatisierter Hotels und Bürogebäude. Außerhalb Kigalis präsentiert sich Ruanda anders.
Nach einer knappen Stunde Fahrt über die gut ausgebaute asphaltierte Hauptstraße geht es über eine staubige, holprige Landstraße weiter in eine andere Welt, durch kleine Dörfer, in denen viele Menschen noch in einfachsten Lehmhütten leben, ohne Strom- oder Wasserversorgung. Männer quälen sich mit alten Lastfahrrädern ab, auf denen sie Kanister voller Wasser oder Futter für die Tiere transportieren. Frauen balancieren schwere Säcke auf den Köpfen, Kinder spielen im Staub.
Gegenüber einem gewaltigen Johannisbrotbaum, unter dem Menschen und Kühe Schatten suchen, liegt in Sake das Gemeindezentrum. Dahinter steht das Gewächshaus der Frauenkooperative „Terimgere Mugore Wa Sake“. Die Landwirtschaft macht noch immer 80 Prozent der Wirtschaftsleistung Ruandas aus. 60 Prozent der Bauern sind Frauen. Zahllose von ihnen haben sich zu Kooperativen wie der in Sake zusammengeschlossen.
Eine lokale Hilfsorganisation hat den Frauen das Gewächshaus finanziert, mit der Unterstützung von UN Women, der Gleichstellungsorganisation der Vereinten Nationen. Cécile Mukamezi ist siebenfache Mutter und die Präsidentin der Kooperative, eine starke, selbstbewusste Frau. Sie haben seit dem Start vor drei Jahren viel gelernt über den Anbau von Tomaten, die richtige Verwendung von Pestiziden, die Vermarktung, aber vor allem aber auch darüber, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind.
„Die Jungs wickeln auch die Babys“
„Früher wussten wir nur wenig über unsere Rechte“, erzählt Frau Mukamezi im Kreis ihrer Mitstreiterinnen. Es habe viel häusliche Gewalt gegeben. „Früher war der Mann der König im Haus. Jetzt gibt es keinen König mehr im Haus.“ Die anderen Frauen, die heute alle in prächtigen, farbenfrohen Kleidern erschienen sind, lachen fröhlich, während ihre Präsidentin berichtet, dass die Männer jetzt manchmal kochen müssen. Ihre Kinder erzieht Frau Mukamezi jetzt auch gleichberechtigt, betont sie. „Die Mädchen machen jetzt Arbeiten, die früher von den Jungs gemacht wurden. Die Jungs wickeln auch die Babys.“
Die ganze Gemeinde profitiert von der Kooperative mit ihren 48 Mitgliedern. „Wir haben viel über Bewässerung und Garten-Techniken gelernt. Das wenden wir jetzt auch zu Hause an, unsere Familien und Nachbarn haben etwas davon“, sagt Cécile Mukamezi. Umgerechnet 600 Euro haben sie im vergangenen Jahr mit der Ernte eingenommen, das Geld wird an alle Mitglieder verteilt. Jetzt wollen sie zusätzlich gemeinsam mit Maisanbau beginnen.
Zurück in Kigali: Für Sandra Kayitesi ist das Leben der Kooperative-Mitglieder auf dem Land eine fremde Welt. Geschminkt, mit raspelkurzen Haaren, modischer grauer Strickjacke und enger schwarzer Hose, sitzt sie auf der Dachterrasse des Ubumwe-Hotels, einem Edelquartier in der Hauptstadt. Von hier hat man einen wunderbaren Blick über das glitzernde nächtliche Kigali, eine sanfte Brise weht, die Gäste unterhalten sich in etlichen unterschiedlichen Sprachen.
Die Familie der 17-Jährigen gehört zur ruandischen Elite, ihr Großvater war Minister, der Vater wurde im Exil in Uganda geboren und kam nach dem Völkermord nach Ruanda, wo er heute Unternehmer ist. Für Sandra ist die Gleichberechtigung in Ruanda noch längst nicht vollendet. „Die Mentalität muss sich ändern“, sagt sie, während sie mit dem Strohalm ihres 4-Euro-Milchshakes spielt. Noch immer gebe es zu viele Jungs, die Sport für eine reine Jungensache hielten, oder Lehrer, die speziell die Mädchen aufforderten, das Klassenzimmer aufzuräumen.
Sandra ist engagiert, setzt sich in ihrer Schule für die Erinnerung an den Genozid 1994 ein, und für Gleichberechtigung, den Kampf gegen den Klimawandel und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung in Ruanda, sie diskutiert mit in Debattierclubs über Politik – und sie ist eine glühende Patriotin. Ihr Engagement ist für sie kein Selbstzweck, sondern Ausdruck der Überzeugung, dass „ich Ruanda in einem besseren Zustand verlassen soll, als ich es aufgefunden haben“. Dass der Präsident Ruandas im Westen als Diktator bezeichnet wird, ist für sie unverständlich. „Wenn dir jemand einen Platz zum Schlafen gibt und Essen, wie kann das ein Diktator sein. Die Menschen mögen ihn“, sagt sie.
Der Aufstieg von Frauen hat Grenzen
Bald will Sandra Ruanda verlassen. Aber nur, um im Ausland Medizin zu studieren. In Deutschland vielleicht, oder in Kanada. „Dann werde ich nach Ruanda zurückkommen, um meinem Land zu helfen.“
Der gesellschaftliche Aufstieg von Frauen ist in Ruanda gewollt. Bis zu dem Punkt, wo er die Macht des Präsidenten in Frage stellt. Diane Rwigara, eine der schärfsten Regierungskritikerinnen des Landes, wollte im vergangenen Jahr als unabhängige Präsidentschaftskandidatin antreten. Der Vater der 36-jährigen Geschäftsfrau, einst ein enger Unterstützer Kagames, starb 2015 bei einem Autounfall, ein politischer Anschlag, so wird gemunkelt. Wenige Wochen nach ihrer Kandidatur wurde Diane Rwigara von der Wahl ausgeschlossen. Im August 2017 wird sie festgenommen. Der Vorwurf: Fälschung von Unterschriften sowie Steuerhinterziehung. Seitdem sitzt sie im Gefängnis.
Die Reportage ist im Rahmen einer Journalistenreise der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) entstanden.